Holz- und Papiererzeugnisse Zertifikate für ein gutes Gewissen
Zertifikate sollen Kunden von Holz- und Papier Orientierung geben. Sie versprechen, dass die Produkte sozial- und umweltverträglich hergestellt wurden. Doch die Realität sieht oft anders aus - auch beim TÜV Rheinland und bei FSC.
Das Dorf Lubuk Mandarsah liegt ziemlich versteckt, fast in der Mitte der indonesischen Insel Sumatra. Noch vor einigen Jahren war der Ort von Regenwald umgeben. Doch heute fährt, wer in das Dorf will, stundenlang durch endlose Plantagen. Vom Regenwald ist nichts mehr geblieben. Der Grund dafür: Vor 15 Jahren erwarb die Firma PT Wira Karya Sakti (WKS) Konzessionen an dem Land, um Holz für ihren Mutterkonzern Asia Pulp and Paper zu produzieren, einem der größten Papierkonzerne der Welt.
Für die Dorfbewohner von Lubuk Mandarsah begann damals eine Zeit des Schreckens, so berichtet es Frandody Taruna Negara, der Vorsitzende einer lokalen Bauernvereinigung. Seither habe der Konzern mehr als Zehntausend Familien in der Region enteignet und viele Menschen vertrieben. Durch die Abholzung des Regenwaldes und die Pflanzung von Monokulturen seien die Flüsse ausgetrocknet. "WKS sagt, dass diese Art von Pflanzungen umweltfreundlich ist. Das ist eine Lüge", so Negara. Einen traurigen Höhepunkt fand der Konflikt zwischen den Dorfbewohnern und WKS vor acht Jahren. Damals prügelten Wachleute der Firma den 21-jährigen Indra Pelani tot, nachdem es zu einem Streit gekommen war.
Zertifikate trotz illegaler Abholzung und Gewalt
Trotz all dieser Konflikte hielt die Firma WKS bis 2019 ein Zertifikat des TÜV Rheinland, das ihr die legale Herkunft des Holzes bescheinigte. Auf Nachfrage bestätigte der TÜV, dass er das Zertifikat auch nach dem Tod des Aktivisten aufrechterhalten habe, und zwar nachdem man eine Prüfkommission eingesetzt habe. Der TÜV Rheinland wies darauf hin, dass er seine Prüfaufträge "sorgfältig, gewissenhaft und unabhängig" ausführe. Frandody Taruna Negara sieht das anders. "Diese Zertifikate sind nur ein Weg, um die Verbrechen dieser Unternehmen und deren Verkäufe auf dem Markt zu legitimieren", sagte Negara im Interview mit Reportern des NDR-Magazins Reschke Fernsehen.
Zu den 39 an den Recherchen beteiligten Medien gehören in Deutschland NDR, WDR, "Süddeutsche Zeitung" und der "Spiegel". International waren unter anderen CBC in Kanada, der ORF in Österreich, "Le Monde" und "Radio France" in Frankreich sowie "The Indian Express" in Indien involviert.
Das Projekt konzentriert sich auf die weltweit fortschreitende Entwaldung und fokussiert unter anderem auf den fragwürdigen Handel mit Nachhaltigkeitszertifikaten, auf den illegalen Handel mit Edelholz und auf die rumänische Holzmafia. Alle Rechercheergebnisse werden international veröffentlicht.
Das Dorf Lubuk Mandarash ist kein Einzelfall. Das zeigen Recherchen von NDR, WDR, "Süddeutscher Zeitung" und dem "Spiegel". Demnach stellte allein der TÜV Rheinland in den vergangenen 15 Jahren in mindestens 48 Fällen Zertifikate für Unternehmen in Indonesien aus, denen unter anderem illegale Abholzung, Gewalt und Vertreibung indigener Gemeinden oder illegale Brandrodung vorgeworfen werden.
Den Recherchen zufolge unterhält der TÜV mit 24 dieser Unternehmen auch aktuell noch Geschäftsbeziehungen. Auf Anfrage bestätigt der TÜV die Zahlen. Man habe die geschäftlichen Beziehungen zu 24 Unternehmen unter anderem wegen ungelöster Konflikte vor Ort beendet. Zu den anderen 24 Unternehmen unterhalte man weiterhin Geschäftsbeziehungen und verfahre "gemäß dem vorgeschriebenen Prozess", dieser sehe unter anderem "Berichte an die zuständigen Behörden" vor.
Weiter konnten insgesamt 48 Prüfunternehmen identifiziert werden, die Holzfirmen für nachhaltig erklärt haben, obwohl diesen das Abholzen von Waldgebiete indigener Gemeinschaften und der Handel mit illegal geschlagenem Holz vorgeworfen werden. Seit 1998 bekamen damit mindestens 340 Holzfirmen Nachhaltigkeitssiegel, denen Umweltverbrechen und andere Verfehlungen vorgeworfen werden.
Standards gesenkt
Als eines der bekanntesten Zertifizierungsunternehmen gilt der Forest Stewardship Council (FSC). In der Vergangenheit sah sich das Unternehmen wiederholt dem Vorwurf ausgesetzt, die eigenen Zertifizierungs-Standards gesenkt zu haben. Die Nichtregierungsorganisationen Greenpeace, die zu den Gründungsmitgliedern zählte, trat deshalb 2018 aus dem FSC aus.
Das Rechercheprojekt Deforestation Inc. zeigt nun, dass seit 2004 mindestens 140 Unternehmen FSC-Zertifikate hielten, denen Vergehen wie Umweltverschmutzung, illegaler Holzeinschlag oder anderes Fehlverhalten vorgeworfen wurden. Gegen 48 von ihnen wurden Ermittlungsverfahren eingeleitet. Unter den Unternehmen befinden sich auch mehrere deutsche Firmen. FSC erklärte hierzu, man gehe aktiv gegen betrügerische Firmen vor und habe in der Vergangenheit deshalb mehrere Geschäftsbeziehungen eingestellt. FSC akzeptiere weder den illegalen Handel noch den illegalen Einschlag von Holz.
Die Recherche von WDR, NDR, SZ, "Spiegel" sowie weiterer Medien wirft einen Schatten auf die boomende Zertifizierungsindustrie. Seit rund zwanzig Jahren machen Firmen, die holzverarbeitenden Unternehmen Nachhaltigkeit und Umweltverträglichkeit per Zertifikat bestätigen, blendende Geschäfte. Mittlerweile sind Umwelt-Zertifikate wie FSC ein wichtiges Werbeinstrument für Holz- und Papierprodukte.
Kritiker wie Pierre Ibisch, Professor für Naturschutz an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung in Eberswalde, bemängeln eine häufig zu große Nähe zwischen Zertifizierern auf der einen Seite und den zu überprüfenden Unternehmen auf der anderen Seite: "Selbstverständlich bestehen da Interessenkonflikte, weil die Zertifizierer letztlich von dem zu zertifizierenden Unternehmen abhängen". Ibisch bezieht sich dabei auf die in der Branche gängige Praxis, wonach Unternehmen, die ein Nachhaltigkeitszertifikat erwerben wollen, sich ihre Prüfer selbst aussuchen und diese auch bezahlen.