Exklusiv

Mutmaßlicher Verrat beim BND Spione und Diamanten

Stand: 02.02.2023 12:01 Uhr

Arthur E. soll einem BND-Mitarbeiter dabei geholfen haben, geheime Informationen an Russland zu verraten. Wer ist der Ex-Soldat, der immer wieder nach Moskau flog und neben Diamanten offenbar auch mit Geheimpapieren handelte?

Von Von Manuel Bewarder, Florian Flade und Palina Milling, WDR/NDR

Am 6. Oktober 2022 startete Arthur E. offenbar eine seiner letzten Reisen nach Moskau. In ein Land, dass Monate zuvor einen Angriffskrieg in Europa begonnen hatte. Aus Deutschland gab es zu diesem Zeitpunkt schon keine Direktflüge mehr nach Russland. Der deutsche Staatsbürger E. soll deshalb per Aeroflot-Airline über den Istanbuler Atatürk-Flughafen gekommen sein. So zeigen es jedenfalls russische Flugdatenbanken, die WDR, NDR und "Süddeutsche Zeitung" (SZ) gemeinsam mit dem Dossier Center auswerten konnte, einer vom Kremlkritiker Michail Chodorkowski finanzierten Rechercheplattform.

Deutsche Ermittler gehen inzwischen davon aus, dass Arthur E. auf dieser Reise geheime Dokumente des Bundesnachrichtendienstes (BND) bei sich hatte. Bei einem offenbar sehr konspirativ eingefädelten Treffen in Moskau soll er die Informationen direkt an Mitarbeiter eines russischen Nachrichtendienstes übergeben haben. Wenige Tage später soll  E. dann wohl zurück nach Istanbul geflogen sein. Als Reisegrund steht in den Flugdokumenten: Geschäftliches.

Umtriebiger Weltenbummler

Arthur E., 31 Jahre alt, wurde in Russland geboren, ist seit 1999 nur noch deutscher Staatsbürger. Seit Kurzem wird er als zweiter Beschuldigter in einem der wohl spektakulärsten Spionagefälle hierzulande geführt. Der Generalbundesanwalt wirft E. vor, dem BND-Mitarbeiter Carsten L. geholfen zu haben, geheime Unterlagen an den russischen Nachrichtendienst FSB weitergegeben zu haben. L. war kurz vor Weihnachten in Berlin festgenommen worden.

Vieles an dem Fall ist noch unklar. Was aber wohl fest steht: Der Ex-Soldat Arthur E. war ein umtriebiger Weltenbummler. In Flugdatenbanken finden sich hunderte Einträge. E. soll unter anderem mit Diamanten und Edelmetallen gehandelt haben - und wohl auch mit Geheimpapieren.

Komplize packte aus

Seit Russlands Überfall auf die Ukraine im vergangenen Februar soll E. den Datenbanken zufolge mindestens sechs Mal nach Russland geflogen sein. Er wählte dafür neben dem Weg über die Türkei auch Dubai als Abflugort. Offenbar war aber nicht nur Moskau sein Ziel in Russland: E. soll laut den Einträgen auch in Sotschi, Kasan, Kirow oder Nischnekamsk gewesen sein. Eine Auswertung der vergangenen Jahre zeigt außerdem Ziele wie New York, Los Angeles, Dubai, Baku, Belgrad, Tiflis, Prag, Doha, Schanghai, Genf, Zürich - und dann immer wieder Russland. Warum gelangte jemand wie E. nicht viel früher auf den Radar deutscher Sicherheitsbehörden?

Es sollen Ende 2022 schließlich amerikanische Grenzbeamte gewesen sein, die E. bei einem Besuch von Verwandten in den USA zur Seite nahmen und befragten. Vielleicht waren ihnen seine Vielfliegerei und die häufigen Russlandreisen aufgefallen. Noch in den USA soll E. schließlich von der US-Bundespolizei FBI befragt worden sein.

Als er dann Ende Januar von Miami zurück nach München flog, wo er zuletzt gelebt haben soll, warteten dort bereits Beamte des Bundeskriminalamtes (BKA). Wie der "Spiegel" zuerst berichtete, soll E. in den USA und in Deutschland umfassend über die Vorwürfe reden. Die Übergabe der BND-Papiere hat er angeblich zugegeben. Von Landesverrat könne demnach aber keine Rede sein: E. soll nämlich erklärt haben, er sei davon ausgegangen, in konspirativer Mission für den BND unterwegs gewesen zu sein. Im Auftrag von Carsten L. also. Laut dem Nachrichtenmagazin soll E. noch einen weiteren BND-Mitarbeiter belastet haben: Geld, das für die Informationen gezahlt worden sei, habe er nicht direkt an Carsten L., sondern einen seiner BND-Kollegen übergeben.

Wie glaubwürdig ist E.?

Inhaltliche Nachfragen beantworteten die Anwälte von Carsten L. bislang nicht. WDR, NDR und SZ konnten bislang auch keine Anfragen an Arthur E. stellen. Auch der Generalbundesanwalt wollte sich zu den laufenden Ermittlungen nicht äußern. Den Recherchen zufolge sind für die Ermittler derzeit vor allem die Aussagen von E. von großer Relevanz. Seine Glaubwürdigkeit könnte daher noch sehr wichtig werden.

Für einen 31-jährigen Geschäftsmann hinterließ E. bislang erstaunlich wenig öffentliche Spuren. Man findet keine offiziellen Profile bei Facebook oder LinkedIn. Es gibt für sein Diamantengeschäft auch keine Website. Umtriebiger war E. allerdings mutmaßlich bei Online-Bewertungen: Mehr als 1000 Mal hat er offenbar Hotels, Bars, Restaurants oder Supermärkte bewertet, von Brasilien über Dubai, Israel und Russland bis in die bayerische Provinz. Vor wenigen Monaten erst hinterließ er offenbar eine Bewertung zu einem Gasthof im Heimatort des BND-Mitarbeiters. Ein paar Wochen später übernachtete E. mutmaßlich in einem Hotel nahe der BND-Zentrale in Berlin.

Begegnung beim Fußball

Geboren wurde Arthur E. offenbar im russischen Wolgograd. 2009 soll er dann zur Bundeswehr gegangen sein. Dort arbeitete er unter anderem im IT-Bereich und war zwischenzeitlich in Mainz eingesetzt. Früher als geplant verließ er dann aber die Bundeswehr. Er lebte offenbar in München, soll seit ein paar Jahren mit Diamanten und anderen Edelsteinen handeln. In Nordrhein-Westfalen meldete er offenbar mit einer Partnerin eine Im- und Exportfirma an. Er soll auch Geschäftsführer einer Handelsfirma in Sierra Leone sein. Sogar im Zusammenhang mit Öl-Geschäften in Nigeria taucht sein Name auf. Sein mutmaßlicher Geschäftspartner erklärt, er habe E. seit rund einer Woche nicht mehr erreicht.

Eine wichtige Frage ist, wie der mutmaßliche Verrat an Russland eingefädelt wurde: Der Vielflieger und der BND-Mitarbeiter sollen sich 2021 am Rande eines Fußballfestes in Oberbayern kennengelernt haben. Eine Zufallsbegegnung? L. war viele Jahre Fußballtrainer bei seinem Heimatverein und im Beruf leitender Mitarbeiter bei der Technischen Aufklärung (TA) des Nachrichtendienstes. Die Technische Aufklärung hat ihren Hauptsitz in Pullach bei München. Die Beamten dort überwachen in enger Zusammenarbeit mit anderen Nachrichtendiensten weltweit elektronische Kommunikation. Was dort zusammenläuft, ist gerade im Krieg von großer Bedeutung. L. war mit seiner Arbeit offenbar schon länger unzufrieden, wovon wohl auch einige in seinem Umfeld wussten.

Brisante Informationen bekannt

Irgendwann sollen die beiden dann übereingekommen sein, geheime Dokumente zur Ukraine an Russland weiterzureichen. Doch erst im Oktober 2022 wurde der BND durch einen Hinweis aus dem Ausland auf den Verrat aufmerksam. Innerhalb weniger Wochen war L. als möglicher Maulwurf gefunden. Im November übernahm der Generalbundesanwalt. Kurz vor Weihnachten erfolgte die Festnahme von Carsten L., der gerade erst befördert worden war - ausgerechnet in führender Position in die Sicherheitsabteilung, die die BND-Mitarbeiter kontrollieren soll.

Den Ermittlern stellt sich zudem unter andere zunehmend die Frage, warum Carsten L. alle Sicherheitsüberprüfungen bestanden hatte. Nach Informationen von WDR, NDR und SZ sollen beim BND durchaus brisante Informationen bekannt gewesen sein. So sollen Personen aus dem Umfeld von L. schon früher angegeben haben, der BND-Mann denke "national", sogar "sehr national". Er sympathisiere möglicherweise mit der Alternative für Deutschland (AfD), die mittlerweile vom Verfassungsschutz beobachtet wird. Man habe auch Parteimaterial bei ihm gesehen. 

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 26. Januar 2023 um 23:35 Uhr.