Nach Skandal um Mitarbeiter Wie sicher ist der BND?
Ein leitender BND-Mitarbeiter soll für Russland spioniert haben. Der Fall wirft die Frage auf, wie sicher die Sicherheitsbehörden eigentlich sind - und wie Geheimnisse besser geschützt werden können.
Die Position, an der Carsten L. saß, ist höchst sensibel. Seine Abteilung im Bundesnachrichtendienst (BND), die Technische Aufklärung, überwacht weltweit Telefonate, Funksprüche und Internetkommunikation. Der Krieg in der Ukraine, die Krisen im Nahen Osten und in Afrika, das iranische Atomprogramm - was L. und sein Team abhören und mitlesen, ist oftmals brisant. Aus ihrer Abteilung kommt etwa die Hälfte der täglichen BND-Meldungen. Die Erkenntnisse gelten als Kronjuwelen des Dienstes.
Es sind solche Informationen, die Carsten L. an einen russischen Geheimdienst verraten haben soll. Der Generalbundesanwalt wirft dem BND-Mann daher Landesverrat vor und hat ihn kurz vor Weihnachten festnehmen lassen. Während das Bundeskriminalamt (BKA) nun den Ablauf des mutmaßlichen Verrats ermittelt, beschäftigt sich der Bundesnachrichtendienst (BND) mit den ebenfalls wichtigen Fragen: Wie konnte es so weit kommen? Gab es schon früher Hinweise auf einen "Maulwurf"? Und wie können die Geheimnisse des Landes besser geschützt werden?
Routineprüfung bestanden
Eine Rolle spielen die Sicherheitsüberprüfungen des BND-Personals - auch wenn im Fall L. nach Informationen von WDR und NDR zunächst offenbar keine Verstöße festgestellt wurden. Der ehemalige Bundeswehr-Oberst, der seit rund zwölf Jahren beim BND tätig ist, wurde routinemäßig überprüft, es gab nichts zu beanstanden.
Der letzte bekannte Fall eines Innentäters beim BND liegt Jahre zurück. Nach der Festnahme von Markus R. 2014 kam heraus, dass er mehr als 200 geheime Dokumente an den US-Geheimdienst CIA verkauft hatte. Die Papiere hatte er zum Teil im Büro kopiert und einfach nach Hause getragen. R. war wohl nie beim Verlassen des Gebäudes kontrolliert worden. Nach dem Fall soll der BND bei den Regeln nachgeschärft haben. Wie genau? Das ist geheim.
Hohe Sicherheitsanforderungen im Alltag
Im Alltag gelten für die Arbeit beim BND hohe Sicherheitsbestimmungen. Wer ein Dienstgebäude betritt, muss sein Handy im Schließfach verstauen. Unterschiedliche Karten regeln den Zugang für die Sicherheitsschleusen am Eingang, für die verschiedenen Gebäudetrakte und die einzelnen Büros. Jeder Zugriff auf Computerdateien wird protokolliert und kann nachvollzogen werden. Bei Stichproben werden Taschen kontrolliert - damit Dokumente nicht herausgeschmuggelt werden.
Bereits vor dem Karrierestart nehmen Sicherheitsbehörden wie der BND ihr Personal genau unter die Lupe. Pflicht ist eine Sicherheitsüberprüfung (SÜ). Beim BND, Verfassungsschutz und teilweise auch bei Polizeibehörden gilt die besonders strenge Stufe III. Das heißt, die Person wird nicht nur wie bei Stufe I in den Datenbanken von Polizei und Nachrichtendiensten abgefragt. Es reicht auch nicht wie bei Stufe II, weitere Details aus dem Lebenslauf sowie das nähere private Umfeld abzuklopfen. Bei Stufe III schauen die Behörden noch einmal genauer hin.
Privatleben wird streng überprüft
Wer sich bewirbt, muss mehrere Referenzpersonen benennen, die dann befragt werden: Trinkt die jeweilige Person viel Alkohol oder nimmt Drogen? Ist sie spielsüchtig oder hoch verschuldet? Sind Affären bekannt? So sollen Erpressungspotenziale ermittelt werden. Der Dienst interessiert sich auch für die Reiseziele oder Kontakte in bestimmte Länder. Aktuell gibt es 26 sogenannte "Risikostaaten", dazu zählen Russland, China, Afghanistan, Iran, Syrien und Nordkorea - aber auch Kuba, die Ukraine, Libanon und Vietnam. Solche Sicherheitsüberprüfungen werden schließlich generell alle fünf oder zehn Jahre wiederholt.
Es gibt ein paar Statistiken zu den Checks bei Behörden und Ministerien. Zwei Trends fallen auf: In den vergangenen Jahren hat sich die Zahl der Prüfungen etwa verdoppelt auf mehr als 20.000 pro Jahr - was vor allem an vielen Neueinstellungen liegt. Die Verfahren dauern meist viele Monate.
Deutlich mehr Auffälligkeiten
Etwa vervierfacht hat sich der Anteil der Checks mit "sicherheitserheblichen Erkenntnissen" oder mit der "Feststellung eines Sicherheitsrisikos". Das wiederum liegt nach Einschätzung aus Sicherheitskreisen nur zum Teil an strengeren Regeln. Es soll vor allem damit zu tun haben, dass nach diversen Vorfällen - vor allem bei der Bundeswehr - schlichtweg genauer hingeschaut wird.
Islamist als Islamistenbeobachter?
Bei aller Vorsicht - in den vergangenen Jahren wurden auch Grenzen der Sicherheitsüberprüfungen deutlich. Denn es werden eben nicht alle außerdienstlichen Aktivitäten mit Risikopotenzial bekannt. Da war beispielsweise ein Mitarbeiter des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV), der Islamisten beobachten sollte.
Was in der Behörde niemand ahnte: Der Mann war selbst zum Islam konvertiert und hatte sich offenbar radikalisiert. In einem Online-Chat prahlte er damit, Verfassungsschützer zu sein, schwadronierte von einem möglichen Anschlag auf die BfV-Zentrale. Er flog auf, weil sein Chatpartner kein gleichgesinnter Islamist, sondern ein verdeckt ermittelnder Verfassungsschutzkollege war.
Vermehrte Überprüfung von Social-Media-Aktivitäten
Im BKA gab es einen Fall, der ebenfalls für Gesprächsstoff innerhalb der Behörde sorgte: Eine Sekretärin der Leitung soll nebenbei als Escort gearbeitet haben. Die Behörde erfuhr erst davon, als die Frau von Kollegen angeschwärzt wurde, die ihr Angebot im Internet entdeckt hatten. Beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) wiederum war ein Mitarbeiter mit der Rückführung von Asylbewerbern befasst, der von Sicherheitsbehörden längst als Rechtsextremist eingestuft worden war.
Solche Vorfälle haben zu Nachjustierungen bei den Sicherheitsüberprüfungen geführt. Zum Teil wird jetzt geschaut, in welchem Zusammenhang Personen im Internet auftauchen, was sie dort schreiben oder mit wem sie vernetzt sind. Solche Online-Recherchen gelten als sehr aufwendig, aber durchaus ergiebig. Öffentlich einsehbare Bereiche von sozialen Netzwerken sind kein Tabu mehr. Unter bestimmten Voraussetzungen müssen Social-Media-Konten angegeben werden.
Im Geschäftsbereich des Bundesverteidigungsministeriums wurde im vergangenen Jahr sogar eine neue Prüfstufe eingeführt - die auch "SÜ 4" genannt wird. Mit besonders strengen Digital-Checks, und Wiederholungsprüfungen alle fünf statt zehn Jahre. Es ist eine Reform, die vielleicht auch bald beim BND Einzug halten könnte. Das für den Auslandsnachrichtendienst zuständige Kanzleramt wollte sich zu möglichen Fehlern oder Reformen offiziell jedenfalls nicht äußern.
In den USA, die ebenfalls mit hohen Prüfzahlen und langen Verfahren ringen, vertraut man auf ein weiteres Instrument: Per Lügendetektor wird die Verlässlichkeit von Polizisten und Geheimdienstlern geprüft. Dabei geht es weniger um konkrete Fragestellungen - sondern um mögliche Auffälligkeiten, denen man dann weiter nachgeht. Fest steht jedoch: Mitarbeiter, die später als Verräter enttarnt wurden, hatten zuvor den Lügendetektor ausgetrickst.
In Deutschland wird der Lügendetektor bislang nicht eingesetzt; das Verfahren gilt vielen Sicherheitsexperten als unwissenschaftlich, zu hoch sei die Fehlerquote. Viele Überprüfte würden nicht bestehen - obwohl sie wahrheitsgemäß antworten.