Fähnchen mit dem Logo der AfD liegen auf einem Tisch. (Archiv)
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Europa-Parlament AfD will Europäische Partei gründen

Stand: 23.08.2024 06:00 Uhr

Die AfD arbeitet nach NDR/WDR-Recherchen derzeit intensiv daran, eine Europäische Partei zu gründen. Unterlagen zufolge will sie damit schon 2025 an öffentliche Gelder gelangen. Welche Rolle spielten dabei zwei umstrittene Politiker?

Von Sebastian Pittelkow, NDR, und Katja Riedel, WDR

"Diese EU muss sterben, damit das wahre Europa leben kann", hatte Björn Höcke noch vor einem Jahr auf dem Europaparteitag in Magdeburg gefordert. Doch in seiner Partei, der AfD, arbeitet ein Team aus Europaabgeordneten und Vorständen nach Informationen von WDR und NDR gerade mit Hochdruck daran, finanzielle Vorteile aus der "alten" EU zu ziehen.

Dafür soll eine neue Partei gegründet werden, die auf Europaebene wirken soll, eine sogenannte Europäische Partei. Bislang ist die AfD nur Teil einer Fraktionsgemeinschaft auf EU-Ebene. Europäische Parteien setzen sich aus nationalen Parteien in mehreren Mitgliedsstaaten zusammen. Auch die anderen großen europäischen Fraktionen im Europaparlament haben solche Parteien gegründet. Der Vorteil für die Parteien ist, dass sie so auf europäischer Ebene öffentliche Gelder erhalten können.

Bei den größeren europäischen Parteien kann es um bis zu zweistellige Millionenbeträge gehen. Auch die AfD hat augenscheinlich die Fördermittel im Blick, wie Dokumente zeigen, die WDR und NDR vorliegen. Zudem soll die Gründung einer europäischen parteinahen Stiftung geplant werden.

Öffentliche Gelder zuvor immer kritisiert

Mit der Gründung der neuen Partei hat es die AfD auch deshalb eilig, weil die Fristen für die Budgetierung 2025 eingehalten werden sollen. So heißt es zumindest im Beschluss des Bundesvorstandes. Zustimmen muss nun noch der Konvent der AfD, das formal höchste Parteigremium, das Mitte September dazu tagen soll. Der Antrag, die Europäische Partei anzuerkennen und vom Budget für das nächste Jahr zu profitieren, muss bis Ende September bei der EU eingegangen sein. Die Entscheidung, ob und wie hoch die Zuwendungen aus dem EU-Haushalt dann sein werden, trifft das Europäische Parlament.

Dass die AfD nun auch in Europa mittels einer eigenen Partei öffentliche Gelder erhalten will, überrascht auch deshalb, weil sich seit ihrer Gründung Spitzenfunktionäre immer wieder gegen den Bezug öffentlicher Gelder ausgesprochen hatten. Ihr Argument: Die Partei solle unabhängig von diesen sein. Geschimpft wurde zum Beispiel auf die öffentliche Subventionierung parteinaher Stiftungen. Inzwischen hat sich auch die AfD-nahe Desiderius-Erasmus-Stiftung um öffentliche Gelder bemüht.

Zusammengehen mit extrem rechten Parteien

Um rechtlich eine Europäische Partei gründen zu können, gründeten AfD-Vertreter offenbar in Absprache mit der Parteispitze Mitte August in Berlin in ihrer Bundesgeschäftsstelle einen Vorläuferverein namens "Europa der souveränen Nationen - ESN e.V.". So heißt auch die kürzlich gegründete neue Fraktion der AfD im Europäischen Parlament, die derzeit aus 25 Abgeordneten aus acht EU-Staaten besteht, darunter 14 von der AfD.

Mitglieder sind mehrere extrem rechte Parteien, etwa die Wasraschdane aus Bulgarien, die Konfederacja aus Polen oder die Reconquête aus Frankreich. Geplant ist offenbar, dass diese der neuen Europäischen Partei beitreten. Denn als Europäische Partei wird nur anerkannt, wer in mindestens einem Viertel der Mitgliedsstaaten mindestens drei Prozent der Stimmen erzielt hat. Bei der AfD und ihren wahrscheinlichen Partnern wäre dieses Kriterium erfüllt.

Bekenntnis zu den Werten der EU

Mitglieder des Gründungsvereins sind neben den beiden Parteichefs Tino Chrupalla und Alice Weidel der Bundesschatzmeister, Carsten Hütter, sowie die Europaabgeordneten Marc Jongen, Alexander Jungbluth und Alexander Sell. Hinzu kommen mehrere Mitarbeiter von Bundestagsabgeordneten. WDR und NDR konnten die Satzung und eine Tagesordnung des AfD-Parteivorstandes einsehen. Daraus gehen die geplante Symbolik - "blauer Olivenbaum mit Schriftzug" - und weitere Details der Gründungsarbeiten hervor.

"Der Verein dient der Vernetzung und Zusammenarbeit von politischen Vereinigungen sowie dem Zusammenschluss von Mandatsträgern auf europäischer, nationaler, regionaler und lokaler Ebene aus Mitgliedstaaten der Europäischen Union und Drittstaaten, die gemeinsame politische Ziele verfolgen und die politische Programmatik unterstützen", heißt es in der Satzung. Im Einladungsschreiben zur Gründungsversammlung wird zudem betont, dass das politische Programm "zwingend" ein Bekenntnis zu den Werten der EU beinhalten müsse. Dazu gehört laut Statuten auch die Menschenwürde. Die AfD steht in Deutschland unter Verdacht des Verfassungsschutzes, mit ihren Äußerungen immer wieder gegen die Menschenwürde zu verstoßen.

ID-Fraktion verlassen

Jahrelang war die AfD im Europaparlament Mitglied der Fraktion Identität und Demokratie gewesen, die ebenfalls eine Partei gegründet hatte. So hatte die AfD auch früher schon Gelder bezogen. Seit einem Jahr war die AfD auch Mitglied der ID-Partei. Doch seit sie dort ausgeschieden ist, war sie gezwungen, sich neu zu sortieren: Kurz vor der Europawahl hatte sie im Zuge der umfangreichen Vorwürfe gegen ihre beiden Spitzenkandidaten für die Europawahl, Maximilian Krah und Petr Bystron, die bisherige Fraktion Identität und Demokratie verlassen müssen.

Offenbar hatte die tonangebende französische Rechtsaußen-Politikerin Marine Le Pen die AfD-Chefs schon lange aufgefordert, sich zu deradikalisieren. Den Ausschlag hatte letztendlich ein Interview Krahs gegeben, in dem nicht nur Le Pen verharmlosende Äußerungen über die SS sah. Krah bestreitet das. Heftige Kritik hatte es auch an dem zweiten Europakandidaten gegeben: Petr Bystron. Gegen ihn wurde zuletzt unter anderem wegen des Verdachts der Geldwäsche und Bestechlichkeit im Zusammenhang mit einem russischen Einflussnetzwerk ermittelt. Bystron hielt das für eine Kampagne. Die AfD hatte ihre beiden vordersten Europakandidaten im Wahlkampf daraufhin jedoch nicht mehr auftreten lassen.  

Welche Rolle spielten umstrittene Politiker?

Umso bemerkenswerter ist, dass in den Unterlagen ausgerechnet Petr Bystron genannt wird. Auch ein zweiter ebenfalls intern und extern umstrittener Politiker taucht in den Dokumenten auf: Frank Pasemann, einst Bundestagsabgeordneter aus Magdeburg, der wegen des Vorwurfs antisemitischer Äußerungen 2020 aus der Partei ausgeschlossen worden war. Pasemann war jahrelang auch der informelle Finanzverwalter des formal aufgelösten rechtsextremen Flügelnetzwerks.

Nach Informationen von WDR und NDR forderte der Bundesvorstand unter anderem von Bystron und Pasemann Stellungnahmen, "ob sie und wenn ja aus welchem Grund und wenn ja in wessen Auftrag Verhandlungen mit möglichen europäischen Partnerparteien der AfD über die Neugründung einer Europäischen Partei geführt haben".

Bystron bestreitet jegliches Engagement und betont, er habe mit der Sache nichts zu tun. Pasemann war auf Anfrage nicht für eine Stellungnahme erreichbar. Auch die AfD antwortete nicht.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete BR24 am 23. August 2024 um 07:10 Uhr.