Verpackung des Medikaments Ozempic (Archiv)
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Gefälschte Abnehm-Spritzen Neue Spur führt nach Bayern

Stand: 20.08.2024 18:00 Uhr

Drei Österreicherinnen sollen durch gefälschte Abnehmspritzen gefährliche Nebenwirkungen erlitten haben. Die Staatsanwaltschaft hat Anklage gegen die mutmaßlichen Händler erhoben. Nach Informationen von NDR, WDR und SZ führt die Spur nach Bayern.

Drei Frauen, die laut Anklage von einem Salzburger Arzt im September 2023 gefälschte Abnehmspritzen erhalten haben, haben teils schwere Nebenwirkungen erlitten: Bei einer 32-Jährigen aus Fuschl am See sei es sogar zu einer lebensbedrohlichen Unterzuckerung gekommen, die in der Notaufnahme behandelt werden musste. Bei einer weiteren Frau habe die Unterzuckerung zu Erbrechen, bei einer dritten Patientin zu Schwindel, Krämpfen und Schweißausbrüchen geführt, heißt es in der Anklage.

Alle drei sollen von ihrem Arzt, dem Salzburger Schönheitschirurgen Christian Wolf, gefälschte Abnehmspritzen erhalten haben. In den Spritzen soll statt des tatsächlichen Medikaments Ozempic lediglich Insulin enthalten gewesen sein. Wer sich jedoch ohne medizinischen Grund Insulin spritzt, kann in einen lebensgefährlichen Unterzuckerungszustand geraten.  

Ermittlungen gegen mutmaßliche Händler

Gegen mutmaßliche Händler gefälschter Ozempic-Abnehmspritzen gibt es in Deutschland und Österreich bei mindestens fünf Staatsanwaltschaften Ermittlungsverfahren. In einem Fall hat die Staatsanwaltschaft Steyr in Oberösterreich inzwischen Anklage erhoben. Hierbei geht es um die direkten Lieferanten des Salzburger Schönheitschirurgen. Dieser soll laut der Anklage die Spritzen vom Betreiber eines Fitnesstudios und dessen Geschäftspartner gekauft haben.

Die beiden sollen zunächst versucht haben, gefälschte Ozempic-Pens aus Südkorea über Ungarn zu besorgen. Als dies gescheitert sei, sollen sie 225 gefälschte Pens von einem Unternehmen aus Deutschland bezogen haben, so die Anklage. Dabei soll es sich nach Informationen von NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung (SZ) um das nicht registrierte Unternehmen "Young Trade Generation" aus Fürth in Bayern handeln. Am Telefon räumte der Inhaber Goran M. zunächst ein, die Pens vermittelt zu haben. Allerdings hätten er und sein Geschäftspartner Aleks S. keine Ahnung gehabt, dass es sich um offenbar gefälschte Pens handelte.

Aussage widerrufen

Woher er und sein Partner Aleks S. wiederum die offenbar gefälschten Spritzen bezogen haben, ist unklar. Gegenüber der Herstellerfirma Novo Nordisk soll Goran M. eigenen Angaben zufolge alle Karten auf den Tisch gelegt und der Pharmafirma auch die entsprechenden Messenger-Nachrichten zur Verfügung gestellt haben. NDR, WDR und SZ sagte er, er wäre bereit, seine Erkenntnisse mit der Polizei und der Staatsanwaltschaft zu teilen. Drei Tage nach dem Telefonat widerrief Goran M. jedoch seine Aussagen in einer Handynachricht und wies darauf hin, dass er nichts sage. Novo Nordisk ließ eine Anfrage dazu unbeantwortet.

Laut der Anklage überwies der Salzburger Schönheitschirurg Dr. Wolf für die gefälschten Ozempic-Spritzen 44.895 Euro an den Betreiber des Fitness-Studios. Dieser wiederum habe 38.322 Euro an das Unternehmen von Goran M. im bayerischen Fürth überwiesen, wobei eine Vermittlungsprovision in Höhe von 5.697 Euro enthalten gewesen sein soll. Goran M. sagte, die Beträge seien falsch. Welche Beträge richtig sein sollen, gab er nicht an. 

Ermittlungen gegen Pharmagroßhändler

Zumindest einer Patientin soll der Salzburger Schönheitschirurg nach Angaben ihrer Anwältin inzwischen ein Schmerzensgeld in Höhe von 2.000 Euro gezahlt, außerdem Behandlungskosten von mehr als 1.000 Euro und die Kosten für ihre Rechtsanwältin erstattet haben. Wolf selbst ließ Fragen zum Fall ebenso unbeantwortet wie der Betreiber des Fitnessstudios. Sein ebenfalls angeklagter Geschäftspartner, der vor einigen Monaten gegenüber NDR, WDR und SZ versichert hatte, "niemals Geschäfte mit Ozempic gemacht" zu haben, ließ nun über seinen Anwalt mitteilen, "dass er sich zum laufenden Verfahren nicht äußern möchte". Eine Anklage gegen den Salzburger Schönheitschirurgen soll unmittelbar bevorstehen.   

Andere Staatsanwaltschaften, etwa im baden-württembergischen Lörrach, befinden sich noch mitten in ihren Ermittlungen. So soll ein Pharmagroßhändler aus Lörrach mehr als 800 gefälschte Ozempic-Spritzen gekauft haben, in denen ebenfalls nur Insulin enthalten gewesen sein soll. Die Ermittlungen richten sich nach Angaben der Staatsanwaltschaft Lörrach "gegen mehrere Personen, die im Verdacht stehen, an der Lieferung von gefälschten Ozempic-Produkten beteiligt gewesen zu sein".

Hinweise auf Pharmafirma in Ankara

Bezogen haben soll der Pharma-Großhändler die Ware von der österreichischen Esoterik-Firma AZ Naturemed. Gegen diese Firma weitete die Staatsanwaltschaft Graz inzwischen die Ermittlungen aus. Während zunächst nur gegen die Gründerin Dagmar Z. ermittelt wurde, richten sich die Ermittlungen nun gegen die Firma selbst sowie gegen zwei weitere Personen, wie die Staatsanwaltschaft auf Anfrage bestätigte. AZ Naturemed teilte auf Anfrage mit, das Strafverfahren nicht kommentieren zu wollen.

In Berichten europäischer Arzneitmittel-Aufsichtsbehörden gibt es allerdings Hinweise, dass sowohl im Fall des Salzburger Schönheitschirurgen als auch im Fall der Lörracher Pharmahandelsfirma die gefälschten Spritzen ursprünglich von einer Pharmafirma im türkischen Ankara stammen könnten. 

Internetvertrieb ohne Genehmigung

Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) hat nach eigenen Angaben keine Hinweise darauf, dass sich derzeit gefälschte Präparate im Umlauf befinden. Die Vorsichtsmaßnahme, wonach Apotheken jede Ozempic-Packung vor der Abgabe öffnen und überprüfen müssen, wurde bereits wieder eingestellt. Weltweit tauchen allerdings immer wieder Fälschungen auf, wie die Weltgesundheitsorganisation WHO warnte.

Eines der größten Probleme ist der Internethandel. Die US-Vereinigung National Association of Boards of Pharmacy, die sich für eine hohe Qualität von pharmazeutischen Produkten einsetzt, identifizierte nach eigenen Angaben Tausende Webseiten, die ohne entsprechende Genehmigung Ozempic oder verwandte Medikamente anbieten. Oft drohe den Kunden dort simpler Betrug. Sie erhalten keine Ware, sind aber ihr Geld los. In anderen Fällen erhalten die Käufer gestreckte oder verunreinigte Wirkstoffe - oder wie im Fall der Österreicherinnen komplett gefälschte Präparate.

Betreiberin eines Schönheitssalons verurteilt

Nach Angaben der Vereinigung nutzen die Betreiber der Websites aus, dass die Abnehmmedikamente ebenso populär wie teuer sind und die Kosten oft nicht von den Krankenversicherungen übernommen werden: "Das bedeutet, dass verzweifelte Patienten aus eigener Tasche zahlen und hoch motiviert sind, billigere Optionen online zu finden." Hinzu komme, dass längst nicht überall alle Präparate bereits ausreichend verfügbar sind. "Daher suchen Patienten eher nach Alternativen außerhalb ihrer örtlichen Apotheke", heißt es in einem aktuellen Bericht der Vereinigung.

Ein erstes Urteil in einem Fall gefälschter Abnehmspritzen gab es vor zwei Wochen am Landgericht Wien. Dort wurde die 28-jährige Betreiberin eines Schönheitssalons zu einer Bewährungsstrafe von 15 Monaten verurteilt, weil sie Kundinnen ebenfalls mit Insulin gefüllte Ozempic-Pens verkauft hatte. Auch hier blieb allerdings unklar, woher die gefälschten Spritzen stammten. "Die Dame nannte nur Vornamen", teilte die Sprecherin des Gerichts, Christina Salzborn, auf Anfrage mit. Die Frage, warum sich das Gericht nicht für die Hintermänner interessierte, beantwortete Salzborn mit dem Hinweis, dass das Gericht "Sachverhalte, die nicht angeklagt sind", auch nicht erheben könne.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete NDR 'Hallo Niedersachsen' am 13. August 2024 um 19:30 Uhr.