Behördenbericht Gefälschte Abnehmspritzen im Umlauf
Mehrere hundert gefälschter Abnehmspritzen sollen in Umlauf sein. Deren Verbleib ist unklar. Die gefährlichen Ozempic-Fakes sollen nach Informationen von NDR, WDR und SZ aus der Türkei stammen und über eine Firma in NRW vertrieben worden sein.
Der Verbleib von mehr als 1.000 gefälschten Abnehmspritzen der Marke Ozempic ist nach Recherchen von NDR, WDR und "Süddeutscher Zeitung" unklar. Das geht aus internen Mitteilungen der europäischen Working Group of Enforcement Officers (WGEO) hervor. In dieser Arbeitsgruppe informieren sich die Leiter staatlicher Arzneimittelbehörden gegenseitig über gefälschte Arzneimittel.
Aus Deutschland zählt etwa das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) zu dieser Runde. So soll laut einem WGEO-Bericht vom Oktober der Großhändler Pharma Medtec im baden-württembergischen Lörrach neben den bisher bekannt gewordenen 200 gefälschten Ozempic-Spritzen weitere 600 Packungen in Österreich gekauft haben.
Lebensgefährliche Unterzuckerung
Der Verbleib dieser Packungen sei "unbekannt", wie es in dem Bericht heißt. Der Geschäftsführer von PharmaMedtec ließ Fragen zu dem Fall unbeantwortet. Inzwischen hat das BfArM mitgeteilt, dass in den von Pharma Medtec gekauften Spritzen statt des Wirkstoffs Semaglutid Insulin enthalten gewesen sein soll. Wer sich ohne medizinischen Grund Insulin spritzt, kann in einen lebensgefährlichen Unterzuckerungszustand geraten. Die Behörden warnen deshalb eindringlich vor umetikettierten Insulinspritzen.
Lieferant der gefälschten Spritzen soll nach den WGEO-Berichten die in Österreich ansässige Firma AZ Naturemed sein. Bei Naturemed handelt es sich um eine Unternehmensgruppe, zu der ein Arzneimittelgroßhandel gehört. Naturemed rühmt sich auf seiner Website aber auch damit, "Partner für den Vertrieb russischer Impfstoffe" zu sein und handelt mit "Druidenpflanzen" und anderen esoterischen Produkten.
Neben den 800 Packungen gefälschter Ozempic-Spritzen an die deutsche Firma soll Naturemed weitere 300 Packungen direkt an einen britischen Großhändler verkauft haben. Das Geld für diese insgesamt rund 1.100 Packungen soll Naturemed an die Firma ILTS-Forwarding in Neuss in Nordrhein-Westfalen überwiesen haben. Die Staatsanwaltschaft Graz bestätigt auf Anfrage ein Ermittlungsverfahren gegen die Gründerin von Naturemed. Die Firma ließ alle an sie gestellten Fragen unbeantwortet.
Durchsuchungen bei Firma in Neuss
Bei ILTS-Forwarding in Neuss gab es vor zwei Wochen eine Durchsuchung durch Polizisten des Düsseldorfer Kommissariats für Wirtschaftskriminalität. Laut einer Mitteilung der Polizei besteht bei der durchsuchten Firma der Verdacht, "von einer türkischen Firma mehr als 1.000 Einheiten der gefälschten Diätspritzen bezogen und teilweise vertrieben zu haben".
Die Geschäftsführerin von ILTS beantwortete keine der Fragen von NDR, WDR und SZ. Sie teilte lediglich per Kurznachricht mit: "Die Infos, die sie haben, sind alles Halbwissen" und "setzen Sie ihr Können woanders ein und stören Sie nicht die Ermittlungen". Während der Corona-Pandemie hatte ILTS mit FFP2-Masken gehandelt. Sie verklagte das Bundesgesundheitsministerium auf Zahlung von 85 Millionen Euro für angeblich nicht bezahlte Maskenlieferungen, was das Landgericht Bonn aber in einem Urteil aus dem Juni dieses Jahres als unbegründet zurückwies.
Laut den WGEO-Berichten und ersten Erkenntnissen der Ermittler sollen die nach Deutschland und Österreich gelieferten Fake-Ozempic-Spritzen ursprünglich aus der Türkei stammen, und zwar von dem in Ankara ansässigen Pharmaunternehmen AUB Healthcare. Auf seiner Website rühmt sich AUB, zu mehr als 2.500 ausländischen Unternehmen Verbindungen zu haben. Auf Anfrage teilt AUB Healthcare allerdings mit, dass sie keine Geschäfte zu den im Zusammenhang mit den Ozempic-Fälschungen genannten Firmen unterhalten und keine Produkte geliefert hätten.
Mit Rettungswagen ins Krankenhaus
Die Charge der gefälschten Abnehmspritzen, die laut WGEO-Berichten von der türkischen Firma AUB an die österreichische Naturemed gegangen sein sollen, trägt die Nummer MP5E511.
Aus der gleichen Charge landeten offenbar auch gefälschte Ozempic-Spritzen bei dem Salzburger Schönheitschirurgen Christian Wolf. Zu den Patienten von Wolf zählt eine 32-jährige Salzburgerin, die Reportern von STRG_F (Funk/NDR) ein Interview gegeben hat. Sie schilderte, dass der Arzt ihr die Pens mit dem gefälschten Wirkstoff direkt in der Praxis verkauft habe.
Die 32-jährige Frau geriet, nachdem sie sich eine der mutmaßlich mit Insulin gefüllten angeblichen Ozempic-Spritzen verabreicht hatte, in eine lebensgefährliche Unterzuckerung. Sie musste mit dem Rettungswagen ins Krankenhaus gebracht und dort auf der Intensivstation behandelt werden.
In Österreich wird Ozempic für rund 120 Euro pro Pen verkauft, wobei ein Pen immer vier Dosen enthält, also für vier Wochen reicht. Wolf habe ihr die Pens anfangs für 250 Euro pro Stück verkauft, später für 399 Euro und schließlich für 499 Euro, angeblich wegen der Lieferknappheiten.
Wolf selbst wollte die Preise auf Anfrage nicht kommentieren, sein Anwalt teilt telefonisch mit, dass der Arzt derzeit überhaupt keine Fragen beantworten möchte. Aus den WGEO-Berichten geht hervor, dass Wolf zehn gefälschte Pens an Patienten abgegeben haben soll. Insgesamt habe er 250 Pens erhalten. Wolf soll die Pens laut einem WGEO-Bericht an seinen Lieferanten zurückgegeben haben. Auch hierzu ließ Wolf Nachfragen unbeantwortet.
Ermittlungen gegen "Beauty-Doc"
Der weitere Verbleib dieser "gefälschten Packungen bleibt unklar", wie es in dem Bericht vom 7. November heißt. Nach Informationen von NDR, WDR und "Süddeutscher Zeitung" gibt es in Österreich inzwischen staatsanwaltschaftliche Ermittlungen gegen Wolf wegen des Verdachts auf schweren Betrug und schwere Körperverletzung.
Wolf, der in den Medien gern als "Beauty-Doc" bezeichnet wird, hatte vor Bekanntwerden der Fälschungsfälle mehrere Interviews über die Abnehmspritze gegeben. In einem Bericht im Magazin "Focus" über ihn heißt es, er wisse Lieferengpässe zu umgehen. "Er beschafft sich das Diabetesmedikament Ozempic seit mehr als zwei Jahren über eine internationale Apotheke direkt aus den USA und behandelt Patienten in Wien, Salzburg, München und Mallorca off-label gegen Fettleibigkeit." Mehr als 100 Patientinnen, darunter "einige Promis", habe er "damit schon erfolgreich behandelt".
Wolf wirkt in diesen Interviews eher wie ein Ozempic-Verkäufer als wie ein Arzt. In einer eigenen Pressemitteilung behauptet er sogar, dass bei der Abnehmspritze "auch der gefürchtete Jojo-Effekt ausbleibt". Das widerspricht allerdings dem Tenor von Zulassungsstudien über das Medikament. Belege für seine Behauptung nennt Wolf auch auf Nachfrage nicht.
Die Staatsanwaltschaft Steyr hat ein Ermittlungsverfahren nicht nur gegen Wolf eingeleitet, sondern auch gegen seine mutmaßlichen österreichischen Lieferanten, die Firmen TCHmed und die Kairos 13. Beide Firmen verfügen nach Erkenntnissen der Ermittler über keine Zulassung zum Handel mit Arzneimitteln. Kairos 13 ließ eine Anfrage unbeantwortet. Der Geschäftsführer der TCHmed sagte, seine Firma habe "niemals Geschäfte mit Ozempic gemacht".