Innenansicht der evangelischen St.-Petri-Kirche in Cuxhaven mit Orgel und Altar.
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Missbrauch in der Evangelischen Kirche Verhinderte Aufklärung?

Stand: 24.01.2024 06:00 Uhr

Erstmals will eine deutschlandweite Studie umfassende Einblicke zu Missbrauch in der Evangelischen Kirche liefern - und konkrete Fallzahlen nennen. Doch Monitor-Recherchen ergeben, dass viele Fälle nicht untersucht wurden.

Von Katharina Köll und Christina Zühlke, WDR

Die diese Woche erscheinende bundesweite Studie zu sexuellem Missbrauch in der Evangelischen Kirche wird auf einer eingeschränkten Quellenlage basieren. Nach Recherchen des ARD-Magazins Monitor haben am Projekt beteiligte Forscher bereits intern beklagt, dass sie für die Erhebung der Gesamtzahlen auf Daten aus Personalakten verzichten mussten. Gerade diese Akten hätten erst einen Überblick über das tatsächliche Ausmaß der Missbrauchsfälle liefern können. So zeige die Studie nur die Spitze des Eisbergs.

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Nur eine Landeskirche lieferte die Daten aus Personalakten wie gewünscht, während alle anderen der insgesamt 20 Landeskirchen der Evangelischen Kirche Deutschland (EKD) sowie die Diakonischen Werke dem Forschungsteam lediglich Details aus Disziplinarakten über Beschuldigte bereitstellten. Diese Akten geben jedoch nur Auskünfte über einen Bruchteil der Missbrauchsfälle.

Begründung der Kirche: Personalmangel

Wie Monitor weiter erfuhr, erklärten die Landeskirchen im Verlauf des Forschungsprojekts, nicht genügend Personal zu haben, um die geforderten Daten bereitstellen zu können. Die Folge: Während 2018 für das katholische Pendant, die sogenannte MHG-Studie, fast 40.000 Personalakten ausgewertet wurden, konnten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler im neuen evangelischen Projekt nicht auf die gleichen Daten zurückgreifen.

Daraus ergibt sich ein reduzierender Effekt: Die anhand von Akten recherchierten Zahlen von Missbrauchstätern wird deutlich geringer ausfallen als es bei der eigentlich geplanten Personalakten-Analyse der Fall gewesen wäre. Auch die Zahl von Betroffenen droht laut den Recherchen von Monitor aufgrund der selektiven Datenlage unterschätzt zu werden.

Bei der Vorstellung der sogenannten ForuM-Studie am Donnerstag dürften die Hindernisse bei der Datenerhebung auch öffentlich benannt werden. Vorher wollten sich mehrere an der Studie beteiligte Wissenschaftler trotz Nachfrage von Monitor nicht dazu äußern.

Wollen die Landeskirchen wirklich aufarbeiten?

Indes kritisierte der Kölner Staatsrechtsprofessor Stephan Rixen, der nicht an der Studie mitgearbeitet hat, im Gespräch mit Monitor das Verhalten von EKD und Diakonie. Oftmals seien bei Taten von sexualisierter Gewalt gar keine Disziplinarakten angelegt worden. "Es ist völlig absurd, dass nicht die Personalakten untersucht werden, weil sich bei realistischer Betrachtung auch in Personalakten Anhaltspunkte für Fehlverhalten finden", sagt Rixen, der der Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs der Bundesregierung angehört. "Wenn die Landeskirchen und die Diakonie Personalakten nicht zur Verfügung stellen, müssen sie sich die Frage gefallen lassen, ob sie den Missbrauch in der evangelischen Kirche wirklich umfassend aufarbeiten wollen."

"Größtmögliche Transparenz"

Ein Sprecher der EKD sagte auf Anfrage, die evangelische Kirche habe extra ihr Datenschutzgesetz geändert, um den Forschenden zum Beispiel für Fallanalysen Einblick in Personalakten zu ermöglichen. Er bestätigte, dass die Bereitstellung von Daten "eine besondere Herausforderung und schwieriger als ursprünglich angenommen" gewesen sei. Daraus folgende Verzögerungen hätten Einfluss auf den weiteren Projektverlauf gehabt. Auf Basis umfangreicher Gespräche hätten die Forschenden einen geänderten Plan vorgeschlagen, "der einen Fokus auf Disziplinarakten vorsah." Der Sprecher erklärte, das Ziel der Kirche sei weiterhin "größtmögliche Transparenz".

Betroffene von Missbrauch befürchten, dass die Dunkelziffer in diesem Fall noch höher ausfallen wird als bei anderen Studien. "Ich habe die Befürchtung, dass die Studie schöngeredet wird. Dass die Landeskirche und die Diakonie sagen: 'So schlimm ist es ja gar nicht'", sagte Detlev Zander im Gespräch mit Monitor. Er ist einer der Sprecher der Betroffenen der Evangelischen Kirche. Zander wurde als Kind in einem evangelischen Kinderheim missbraucht.

Auch Vertuschung steht in Personalakten

Jahrelang habe die evangelische Kirche seine Missbrauchsvorwürfe nicht ernst genommen. Erst nachdem er an die Öffentlichkeit ging, habe sich die Kirche um Aufklärung bemüht. Er findet die Analyse der Personalakten entscheidend, weil dort auch Vertuschungsversuche stehen könnten. "Vielleicht wollte die Landeskirche die Akten deshalb aus Angst nicht herausgeben."

Nancy Janz ist die zweite Sprecherin der evangelischen Betroffenen. Sie sagte Monitor: "Wir wissen gesichert, dass die Zahlen, die wir am Donnerstag genannt bekommen, niemals die Wirklichkeit abbilden, da viel zu viele Fälle im Dunkelfeld liegen." Sie betonte außerdem, dass die Mehrzahl von Betroffenen die Taten nie angezeigt habe, so dass sich deren Fälle weder in Personal- noch in Disziplinarakten befänden.

Die EKD hatte die Studie im Jahr 2020 in Auftrag gegeben und mit 3,6 Millionen Euro finanziert. Der unabhängige Forschungsbund ForuM wird die Studie am Donnerstag auf einer Pressekonferenz in Hannover vorstellen.


Mehr zu diesem Thema in Monitor, Donnerstag 25.01.2024 um 21:45 im Ersten

Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Fassung zeigten wir als Titelbild den katholischen Paderborner Dom. Wir haben das Bild ausgetauscht und bitten den Fehler zu entschuldigen.

Mehr zum Hintergrund dieser und anderer Korrekturen finden Sie hier: tagesschau.de/korrekturen

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die ARD in der Sendung "Monitor" am 25. Januar 2024 um 21:45 Uhr.