Missbrauch im Bistum Mainz Jahrzehntelang verharmlost und verschwiegen
Die Missbrauchsstudie des Bistums Mainz zeigt, dass sexuelle Gewalt innerhalb der Kirche jahrzehntelang verharmlost, verschwiegen und nicht angemessen verfolgt wurde. Kritik übt die Untersuchung an Kardinal Karl Lehmann.
Auch im Bistum Mainz sind jahrzehntelang Fälle von sexueller Gewalt verharmlost, verschwiegen und nicht angemessen verfolgt worden. Zu diesem Ergebnis ist der unabhängige Regensburger Anwalt Ulrich Weber in seiner heute veröffentlichen Untersuchung gekommen.
Darin heißt es: "Das Bistum als verantwortliche Institution hat durch unangemessenen Umgang und mangelnde Kontrolle in vielen Fällen sexuellen Missbrauch begünstigt." Nach Sichtung von rund 25.000 Seiten Aktenmaterial und an die 250 persönlichen Gesprächen nannte er die Zahl von 401 Betroffenen und 181 Beschuldigten, von denen 65 Prozent Kleriker waren.
Worte und Taten klaffen auseinander
Hart ins Gericht ging das Gutachten mit den früheren Kardinälen Hermann Volk (1962-1982) und Karl Lehmann (1983-2016). Während der Amtszeit von Volk sei es darum gegangen "kein öffentliches Ärgernis" hervorzurufen. Das Image der katholischen Kirche habe nicht beschmutzt werden dürfen. Ein Blick für das Leid der Betroffenen Sei "nicht vorhanden" gewesen.
Auch Kardinal Lehmann habe sich in den ersten Jahren seiner Amtszeit so verhalten. Später habe er sich der Problematik des sexuellen Missbrauchs gegenüber offen gezeigt. Gleichwohl weise sein Verhalten eine eigentümliche Ambivalenz auf. So zeigte Lehmann zwar in Interviews, dass er sich mit der Problematik intellektuell auseinandergesetzt habe. Dennoch machte er ihre Aufarbeitung nie zur Chefsache, sondern übergab sie an seinen Generalvikar. "Seinen mit eigenen Worten formulierten Anspruch für den Umgang mit sexueller Gewalt im Bistum Mainz hat er selbst zu keiner Zeit erfüllt", sagte Weber.
Schwierigkeit: Sprachunfähigkeit in den Pfarreien
Im Mainzer Gutachten wollte Rechtsanwalt Weber weniger juristische als vielmehr systemische Gründe für den Missbrauch offenlegen. Hier nennt er neben dem bekannten Ausnutzen von Macht und Vertrauen, welches in der katholischen Kirche oft spirituell überhöht wird, eine Sprachunfähigkeit in den Pfarreien. In einigen Gemeinden, so Weber, gebe es seinen Recherchen zufolge bis heute keine offene Gesprächskultur. Wenn man aber frühzeitig über sexuelle Gewalt gesprochen hätte, so Weber, wäre man heute mit der Aufarbeitung wahrscheinlich schon deutlich weiter.
Strukturelle Merkmale von Missbrauch sind von Bedeutung, weil sie helfen, die Problematik über spezielle Grenzen gesellschaftlicher Gruppen wie Kirchen, Sportvereinen oder Schulen hinweg anzugehen.
"Keine unantastbaren Denkmäler mehr"
Der Mainzer Bischof Peter Kohlgraf, der den Inhalt des Berichts vorab nicht kannte, sprach in einer ersten Stellungnahme von "erschreckenden Ergebnissen." Menschen sowie ihr Glaube und Vertrauen seien zerstört worden. Mit Blick auf seinen Amtsvorgänger Kardinal Karl Lehmann, der bislang nicht nur in Mainz ein großes Renommee genoss, sagte er: "Um der Wahrheit für die Betroffenen willen darf es keine unantastbaren Denkmäler mehr geben."
Das Bistum Mainz will sich am kommenden Mittwoch in einer Pressekonferenz ausführlich zur Missbrauchsstudie äußern. Der Sprecher der Betroffenenorganisation "Eckiger Tisch", Matthias Katsch, forderte gegenüber dem SWR, eine unabhängige Kommission einzurichten, um die Verbrechen aufzuklären. Sei man bisher von 50 beschuldigten Priestern ausgegangen, die im Raum Mainz unterwegs waren, habe sich diese Zahl jetzt vervielfacht. Dies sei erschreckend, so Katsch.