Ein Schild mit der Aufschrift "Landesamt für Flüchtlingsnagelegenheiten" hängt an einem Tor.
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Flüchtlingsheime in Berlin Betreiber wegen "gravierender Mängel" gekündigt

Stand: 09.07.2024 09:08 Uhr

Das Berliner Landesamt für Flüchtlinge hat einem bundesweit tätigen Betreiber von Flüchtlingsunterkünften außerordentlich gekündigt, wegen "gravierender Mängel". Nach Monitor-Recherchen soll über Wochen ein verstorbener Bewohner abgerechnet worden sein.

Von Till Uebelacker, WDR

Die ORS-Gruppe betreibt Flüchtlingsunterkünfte in verschiedenen europäischen Ländern, laut Unternehmensangaben etwa 20 in Deutschland. Bis Ende April waren auch drei Heime in Berlin darunter - doch das Land Berlin kündigte den Vertrag kurzfristig und außerordentlich zum 30. April.

Die Einrichtungen wurden inzwischen von neuen Betreibern übernommen. Über die Gründe für die Kündigung gibt es bis heute keine genauen Angaben.

"Gravierende Mängel"

Das Landesamt für Flüchtlinge Berlin (LAF) teilt auf Anfrage des ARD-Magazins Monitor mit, man habe "in von der ORS betriebenen Unterkünften gravierende Mängel und umfangreiche strukturelle Probleme festgestellt" und "wegen der Schwere der Pflichtverletzungen außerordentlich gekündigt".

Man sehe "keine Grundlage mehr für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit". Zu Details der Vorwürfe wollten sich bisher jedoch weder die zuständigen Behörden noch das Unternehmen selbst äußern. ORS teilt lediglich mit, es habe bisher keine Beanstandungen gegeben, "die eine außerordentliche Vertragskündigung rechtfertigen würden".

Unentdeckter Todesfall?

Aus der Antwort der Senatsverwaltung auf eine schriftliche Anfrage der Berliner Linkspartei-Abgeordneten Elif Eralp geht nun hervor, dass es in einer von ORS betriebenen Unterkunft zu einem Todesfall gekommen war. Bis zur abschließenden Klärung der Umstände könne man sich zu dem Fall jedoch nicht weiter äußern, heißt es. Ob er mit der Kündigung im Zusammenhang steht, dazu macht die Senatsverwaltung keine Angaben. Doch genau das legen Monitor-Recherchen nahe. 

Danach handelt es sich bei dem Toten um einen 24-jährigen Mann aus Guinea, dessen Tod in der Einrichtung Ende letzten Jahres über mehrere Wochen unentdeckt geblieben sein soll. So berichtet es eine mit dem Fall vertraute Quelle gegenüber Monitor. Die Unterbringungskosten für den Mann seien zudem noch abgerechnet worden, als dieser bereits verstorben war.

"Strenge Regelungen"

Das Unternehmen ORS beantwortete konkrete Fragen zu dem Todesfall nicht - auch nicht zu dem Vorwurf, der unentdeckte Tod des Bewohners sei wochenlang zu Unrecht abgerechnet worden. Allgemein heißt es lediglich, die Kontrolle der den Bewohnenden zugewiesenen Wohnungen unterliege strengen Regelungen: "Dem Personal ist es vertraglich nicht gestattet, ohne Zustimmung die Wohnung zu betreten." Den Tod des Bewohners habe man "umgehend nach dessen Bekanntwerden an die zuständigen Stellen gemeldet".

Profitorientierte Unternehmen

Die Linkspartei-Abgeordnete Elif Eralp fordert vom Berliner Senat nun weitere Aufklärung in dem konkreten Fall sowie eine Anpassung der Vergabeverfahren: "Solche sensiblen Bereiche der Daseinsvorsorge sollten von sozialen Einrichtungen oder der öffentlichen Hand selbst verantwortet werden", sagt Eralp. Sie halte es für problematisch, wenn der Betrieb von Flüchtlingsunterkünften profitorientierten Unternehmen überantwortet werde.

Die ORS-Gruppe gehört zum britischen Konzern Serco, der im vergangenen Jahr mit "European Homecare" (EHC) noch einen weiteren Betreiber von Flüchtlingsunterkünften in Deutschland übernommen hat. Kritiker warnten nach der Übernahme, dass ein profitorientiertes Unternehmen wie Serco in der Flüchtlingsarbeit gemeinnützige Anbieter verdrängen und immer mehr Ausschreibungen und Marktanteile gewinnen könnte - zum Nachteil von Mitarbeitenden und Geflüchteten.

ORS und EHC betreiben unter dem Dach von Serco nun laut Branchenexperten schätzungsweise 120 Einrichtungen für Flüchtlinge in Deutschland.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete RBB-Inforadio am 17. Mai 2024 um 18:12 Uhr.