Unterkünfte Zweifelhafter Profit mit Flüchtlingen
Die Unterbringung von Asylsuchenden ist für den britischen Konzern Serco ein lukratives Geschäft. Zu niedrigen Preisen übernehmen Tochterunternehmen Unterkünfte in ganz Deutschland. Kritiker sprechen von gravierenden Mängeln.
Mamadou Diallo starb einen einsamen Tod in der Flüchtlingsunterkunft in Berlin-Steglitz. Die Leiche des 24-Jährigen aus Guinea bemerkte wochenlang niemand, erst wegen eines beißenden Geruchs öffneten Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes schließlich die Tür. Es ist ein Todesfall, der bis heute viele Fragen aufwirft - an das Land Berlin, aber vor allem an den Betreiber der Unterkunft, die Firma ORS.
Inzwischen wurden ORS in Berlin alle Verträge zum Betrieb von Flüchtlingsunterkünften außerordentlich gekündigt - wegen "gravierender Mängel". ORS weist die Anschuldigungen zurück, auch einen Zusammenhang mit dem Todesfall. Doch Recherchen des ARD-Magazins Monitor und der Süddeutschen Zeitung zeigen, dass ORS offenbar auch andernorts seinen Verpflichtungen nicht immer nachkommt.
Internationaler Konzern betreibt Flüchtlingsheime
ORS gehört zum britischen Konzern Serco. Serco macht weltweit über rund fünf Milliarden Euro Umsatz als Dienstleister für das Militär, Grenzschutzbehörden, aber auch als Betreiber von Gefängnissen und Flüchtlingsunterkünften. Laut Website bietet ORS "beste Betreuungsdienstleistungen im Asylwesen". ORS schreibt weiter: "Wir stellen sicher, dass alle uns in den Flüchtlingseinrichtungen anvertrauten Menschen einen sicheren Ort haben."
Ein großes Versprechen - dabei geht es beim Betrieb der Asylunterkünfte um sehr viel mehr: Um Hilfe bei der Integration etwa, um Kinderbetreuung, aber auch um soziale Betreuung. Sie dient dazu, den Kontakt zu teils traumatisierten Bewohnern zu halten, bei Problemen zu helfen oder auch zu bemerken, wenn Menschen sich isolieren und radikalisieren.
Qualifizierte Betreuung vertraglich festgelegt
Warum also fiel den Mitarbeitern in der ORS-Unterkunft in Berlin der Tod eines Bewohners über Wochen nicht auf? ORS teilt dazu auf Nachfrage mit, man sei in Berlin nur für die Unterbringung zuständig gewesen, nicht für Sozialarbeit oder psychologische Dienste.
Das Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF) in Berlin teilt hingegen mit, zu den Aufgaben der Betreiber gehöre grundsätzlich auch "die Betreuung der Bewohner durch qualifizierte Sozialarbeiter und Sozialassistenten". Die fachlichen Qualifikationen und auch die personelle Sollstärke seien in den Verträgen definiert.
Den letzten Kontakt zum Sozialdienst der Einrichtung hatte der Mann aus Guinea knapp fünf Wochen, bevor seine Leiche gefunden wurde. Die Todesursache ließ sich nicht mehr eindeutig feststellen - wegen der "erheblichen Leichenfäulnis", heißt es seitens der Staatsanwaltschaft gegenüber Monitor und SZ.
"Es ist keine Vermisstenanzeige erstattet worden, es gab auch keine Meldung, dass sich da irgendjemand nicht im Zimmer befinden könnte. Es scheint auch offensichtlich niemand mehr nachgesehen zu haben, was mit ihm passiert ist", sagt der Staatsanwalt im Interview mit Monitor.
Zu wenig Betreuung?
Hätte der Tod des Bewohners verhindert werden können, wenn man sich besser um ihn gekümmert hätte? Serco schreibt dazu, dass die Kontrolle der Wohnungen der Geflüchteten strengen Regelungen unterliege: "Dem Personal ist es vertraglich nicht gestattet, ohne Zustimmung die Wohnung zu betreten."
Die Mitarbeiter hätten mit Mitbewohnern des Verstorbenen gesprochen. Diese hätten sie darüber informiert, dass alles in Ordnung sei, so Serco. Die erbrachten Leistungen in der Unterkunft seien sowohl intern als auch extern regelmäßig überprüft worden. Den Tod des Bewohners habe man "umgehend nach dessen Bekanntwerden an die zuständigen Stellen gemeldet".
Monitor-Recherchen rund um die Unterkunft deuten jedoch darauf hin, dass oft nur sehr wenige ORS-Mitarbeiter vor Ort waren. So berichten es Bewohner, Ehrenamtliche und mit dem Fall vertraute Personen übereinstimmend gegenüber Monitor und der SZ. Hinzu kommt: Betreiber wie ORS sind eigentlich verpflichtet, die Anwesenheit von Geflüchteten dem Auftraggeber, in diesem Fall dem Berliner Landesamt für Flüchtlinge, regelmäßig zu dokumentieren. Serco hingegen schreibt, vertraglich sei man nicht zur Beaufsichtigung der Bewohner verpflichtet.
Unterbesetzung auch in anderen ORS-Unterkünften?
Die Recherchen zeigen außerdem, dass ORS offenbar auch an anderen Standorten vorgeworfen wird, regelmäßig zu wenig Personal einzusetzen: Die Regierungspräsidien Karlsruhe und Tübingen, die ORS als Dienstleister einsetzen, verhängten in den zurückliegenden Jahren wegen nicht erfüllter Personalschlüssel insgesamt 35 Vertragsstrafen gegen ORS in Form von verminderten Monatszahlungen. Das ergibt eine Anfrage von Monitor und SZ an Bezirksregierungen, in denen ORS tätig ist oder war.
In Rheinland-Pfalz wurden demnach ähnliche Kürzungen für mehrere Einrichtungen vorgenommen - der Umfang wurde von der zuständigen Landesbehörde nicht näher beziffert.
Vertragsstrafen und Abzüge
Laut interner Dokumente aus dem Unternehmen, die Monitor und SZ vorliegen, musste ORS allein im ersten Quartal 2023 an mehr als zehn Standorten in Deutschland zum Teil hohe Abzüge durch Bezirksregierungen und Regierungspräsidien verbuchen - offensichtlich wegen nicht eingehaltener Personalschlüssel.
Die Summe der Abzüge betrug insgesamt mehr als 700.000 Euro. Ein ehemaliger Mitarbeiter von ORS, der auch für andere Dienstleister Flüchtlingsunterkünfte geleitet hat, berichtet gegenüber Monitor: "Wir haben die vertraglich festgehaltene Anzahl der Mitarbeiter nie erreicht." Dies betreffe die Sozialarbeit, die Unterstützung bei Behördengängen, die Kinderbetreuung, die Hausbetreuung, und auch die Freizeitangebote für Geflüchtete. Die Unterbesetzung habe teilweise bei 50 Prozent und mehr gelegen.
Als Grund dafür nennt der Ex-Mitarbeiter vor allem das niedrige Gehaltsgefüge bei ORS, das deutlich niedriger sei als bei anderen Anbietern. Die ORS-Mutter Serco weist die Vorwürfe zurück. Man zahle "marktgerechte" Gehälter, die an Tarifverträgen orientiert seien und habe die Gehälter 2023 erhöht. Doch es gebe in Deutschland eben einen allgemeinen Fachkräftemangel, der "zehn bis 15 Prozent" betrage. Den Vorwurf, Kosten zu sparen, um höhere Renditen zu erzielen, weist Serco zurück.
Fachleute kritisieren Geschäftsmodell
Der Wirtschaftswissenschaftler Werner Nienhüser kritisiert das Geschäftsmodell von Serco. In erster Linie gehe es darum, gute und sichere Renditen zu erzielen: "Für Serco ist der Markt in Deutschland sehr interessant. Der Markt wächst und die Geflüchtetenzahlen steigen. Auch die Abschiebungszahlen können möglicherweise steigen. Beides hat Marktpotenzial für Serco und die Renditen in diesem Bereich sind sehr hoch."
Serco dagegen spricht von einer niedrigen Gewinnmarge im einstelligen Prozentbereich. Ende 2023 übernahm Serco auch noch den größten deutschen privaten Betreiber von Flüchtlingsunterkünften, European Homecare (EHC) aus Essen. Damit betreibt Serco zusammengerechnet nach Unternehmensangaben nun rund 130 Unterkünfte und ist damit laut Branchenexperten der wichtigste private Anbieter in Deutschland.
Nach eigenen Angaben leben in den Serco-Unterkünften in Deutschland 55.000 Geflüchtete. Der Marktanteil des Unternehmens könnte künftig noch weiter wachsen: Auswertungen von Monitor und SZ deuten darauf hin, dass bei den öffentlichen Ausschreibungen für den Betrieb von Flüchtlingsheimen vermehrt auf den Preis als wichtigstes Kriterium bei der Vergabe gesetzt wird, während die Bedeutung von Qualitätskriterien offenbar zurück gefahren wird.
Sozialverbände kritisieren Vergabeentscheidungen
In Berlin warfen mehrere Sozialverbände der Senatsverwaltung bereits Ende 2023 vor, es würden bei den Vergaben vermehrt Anbieter favorisiert, die "unter Tarifniveau entlohnen und nicht gemeinnützig ausgerichtet sind". Tatsächlich hat das Land Berlin die regulären Zuschlagskriterien bis Ende 2024 ausgesetzt und vergibt Aufträge bis dahin ausschließlich an den günstigsten Anbieter.
Zuvor wurde das Qualitätskonzept des Bieters zu 70 Prozent bei der Vergabe bewertet, der Preis zu 30 Prozent, so das LAF. Die Behörde verweist darauf, dass auch der günstigste Anbieter an eine so genannte "Leistungs- und Qualitätsbeschreibung" gebunden sei, die zum Betreibervertrag gehört.
Fachleute kritisieren, dass durch Vergaben an günstige Anbieter langfristig hohe Folgekosten für die Geflüchteten und die Gesellschaft entstehen. Viele Geflüchtete seien einem "mangelbehafteten Unterkunftssystem" ausgesetzt, sagt etwa Emily Barnickel vom Berliner Flüchtlingsrat.
Dadurch könnten sie immer schwieriger Fuß fassen und sich "wesentlich schwerer in die Ankunftsgesellschaft einbringen". Integration und Arbeitssuche würden so erschwert, die Kosten für die Gesellschaft würden langfristig deutlich steigen.
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