EU-Korruptionsskandal Wie Staaten mit Bestechung Politik machen
Der Skandal im Europaparlament zeigt einmal mehr, wie gefährlich Korruption sein kann, wenn Staaten damit Interessen durchsetzen wollen. Bestechung als Mittel von Außenpolitik ist ein wachsendes Risiko.
Die belgische Polizei sah Gefahr im Verzug. Deshalb nahm sie Eva Kaili am 9. Dezember fest, obwohl sie als Vizepräsidentin des Europaparlaments Immunität genoss. Ermittler hatten beobachtet, wie ihr Vater einen Koffer mit Bargeld aus ihrer Wohnung schaffen wollte. Sie fanden bei ihm 750.000 Euro, bei Kaili und ihrem Lebensgefährten 150.000 Euro, alles in bar.
"Offensichtlich tut die belgische Justiz, was das Europäische Parlament versäumt hat", sagte Belgiens Ministerpräsident Alexander de Croo. Sicherlich habe das Europaparlament viele Mittel, um seine eigene Arbeitsweise zu regulieren. Aber offensichtlich habe das System der Selbstkontrolle nicht ausgereicht.
In der Tat gelten die Vorgaben zur Transparenz des Europaparlaments als weitgehend. Organisationen wie Transparency International kritisieren jedoch, diese reichten noch immer nicht aus. Auch mangele es an Kontrolle und Sanktionen bei Regelbrüchen. Es sei nur eine Frage der Zeit gewesen, wann der nächste Skandal passiere, sagte Berater Victor Teixera.
Bestechung als Mittel von Außenpolitik
Vorwürfe und Beweislast wiegen offenbar schwer. Kaili wurde inzwischen ihrer Funktionen und Positionen enthoben. Die Brüsseler Staatsanwaltschaft erhebt den Verdacht, ein "Golfstaat" - laut Ermittlerkreisen Katar - habe mit erheblichen Geldsummen und Geschenken wirtschaftliche und politische Entscheidungen beeinflussen wollen. Auch wenn bis zu einer Verurteilung die Unschuldsvermutung gilt, so fügt sich ihr Einsatz für Katar in dieses Bild. Konkret ging es neben einem positivem Image für das Emirat im Vorfeld der Fußball-WM um politische Entscheidungen, darunter zur Visaliberalisierung für die Katarer und die lukrative Landegenehmigung für Maschinen von Qatar Airways auf allen Flughäfen der EU.
Nicht erst dieser Fall zeigt, dass Bestechung - strategisch eingesetzt - ein Mittel von Außenpolitik sein kann. Auch Aserbaidschan zum Beispiel setzte auf eine Kombination: die Ausrichtung internationaler Veranstaltungen zur Imagepflege und Einflussnahme auf Abgeordnete im Europarat und Politiker in EU-Staaten. Hier ging es um Unterstützung für die eigene Außenpolitik und darüber hinaus um die Verharmlosung der autoritären Regierungsweise gegenüber der eigenen Bevölkerung. Noch heute verweist Präsident Ilham Alijew bei Fragen zu Demokratie und Menschenrechten darauf, dass der Europarat 2013 einen kritischen Bericht dazu ablehnte.
In diesem Zusammenhang wurden der italienische Konservative Luca Volontè und zwei Aserbaidschaner 2021 erstinstanzlich wegen Korruption zu vier Jahren Haft verurteilt. Gegen den CDU-Politiker Axel Fischer, den CSU-Politiker Eduard Lintner und dessen Sohn sowie die Ex-Mitarbeiterin einer Lobbyfirma ermittelt die Generalstaatsanwaltschaft München weiterhin, wie sie auf tagesschau.de-Anfrage mitteilte. Lintner soll zwischen 2008 und 2016 etwa vier Millionen Euro aus Aserbaidschan erhalten und einen Teil an Abgeordnete in Belgien und Deutschland weitergegeben haben. Die Gelder sollen über britische Briefkastenfirmen und Konten in den baltischen Staaten geflossen sein.
Die Dienste der Helfer
Lintner und Volontè sollen in dieser Affäre Mittler gewesen sein. Im aktuellen Fall um das Europaparlament könnte dies Medienberichten zufolge auf zwei Italiener zutreffen: den ehemaligen EU-Abgeordneten Pier Antonio Panzeri und den Lebensgefährten von Kaili, Francesco Giorgi. Demnach erhielt Panzeri vermutlich auch von Marokko Geld und Geschenke, in deren Verteilung soll er seine Familie einbezogen haben.
Als umtriebiger Mittler in anderen Fällen betätigte sich auch der US-Amerikaner Paul Manafort. Der Ex-Wahlkampfmanager von Donald Trump betrieb Lobbying für den einstigen, pro-russischen Präsidenten der Ukraine, Viktor Janukowitsch. Er engagierte dafür auch ehemalige europäische Spitzenpolitiker, die "Habsburg Gruppe". Das FBI ermittelte gegen ihn unter anderem wegen Geldwäsche und Verschweigen seiner Lobbytätigkeit. Nachdem er wegen Steuerhinterziehung und Bankbetrug verurteilt worden war, begnadigte Trump ihn 2020.
Der unauffällige internationale Finanztransfer, juristische Betreuung und verschiedenen Formen von Lobbying sind längst auf eine Weise professionalisiert worden, dass daraus zum Beispiel in Großbritannien eine ganze "Industrie" mit Rechtsanwälten, Buchhaltern, Immobilienmaklern und PR-Leuten enstanden ist. Diese sind vermögenden Russen mit Verbindungen zum Führungskreis um Wladimir Putin zu Diensten - wie es im Russland-Bericht des Geheimdienstausschusses des britischen Parlaments zu Einflussnahme auf die Brexit-Abstimmung 2017 heißt. Mit deren Hilfe sei es diesen Russen gelungen, über Jahre Einfluss im britischen Establishment aufzubauen.
Europa muss sich besser schützen
Während der Krieg gegen die Ukraine und die daraufhin verhängten Sanktionen russischen Oligarchen zumindest einige Probleme bereiten, eröffnen sich für andere Staaten Chancen. Sie bringen sich als alternative Lieferanten nicht nur von Gas und Öl, sondern auch von "Grüner Energie" ins Spiel. Ganz vorn dabei: Katar und Aserbaidschan. Wie dringlich der Schutz vor ausländischer Einflussnahme mittels Korruption ist, zeigen auch Ermittlungen in Australien und Neuseeland, wo China mittels Spendengeldern Wahlen zu beeinflussen versuchte.
Das Bewusstsein ist längst vorhanden. Im aktuellen Skandal reagierten EU-Parlamentspräsidentin Roberta Metsola und EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen umgehend mit der Ankündigung von Maßnahmen. Mit nur zwei Gegenstimmen votierte das Europaparlament am 15. Dezember für neue Antikorruptionsmaßnahmen: Unter anderem sollen das Lobbyregister ausgebaut und ein Ethikgremium eingerichtet werden.
Experten wie der Direktor von Transparency International, Michiel van Hulten, fordern jedoch eine grundlegende Reform. Nötig seien auch schärfere Regeln für ehemalige Abgeordnete und Kommissionsmitglieder, die als Mittler Wissen und Kontakte gewinnbringend für andere Staaten und Organisationen einsetzen können.
Viele Fälle zeigen außerdem, dass Korruption immer wieder mit Geldwäsche über Offshore-Plätze und Briefkastenfirmen einhergeht. In den USA als einem der weltweit bedeutendsten Orte für Briefkastenfirmen beschloss der US-Kongress noch vor Amtsübernahme von Präsident Joe Biden erste Maßnahmen zu mehr Transparenz bei der Registrierung von Firmen.
Ein wichtiges Thema ist auch die Beweislastumkehr: Dabei können Behörden verdächtige Vermögen solange einfrieren, bis die Besitzer deren legale Herkunft belegen können. In Großbritannien wurde dazu die "Verordnung zu ungeklärtem Reichtum" (Unexplained Wealth Order) eingeführt, wenn sich ihre Umsetzung in der Praxis auch als schwierig erweist. In Italien gilt die Beweislastumkehr bei Mafiavermögen bereits seit den 1980er-Jahren.
Deutschland hinkt bei der Transparenz noch in vielen Bereichen hinterher. Die Einführung eines Lobbyregisters für den Bundestag sehen Experten nur als einen ersten Schritt - der auch erst aufgrund des Aserbaidschan- und Maskenskandals erfolgte.