Korruptionsaffäre Welche Lehren zieht die EU?
Die Korruptionsaffäre erschüttert das EU-Parlament schwer - vor allem die sozialdemokratische Fraktion, zu der die Partei von Vizepräsidentin Kaili gehört. Heute berät das Parlament über mögliche Konsequenzen.
Ein bisschen Weihnachtsstimmung kommt dann doch auf: Österreichische Schülerinnen aus Wels und Steyr singen am Rande des Plenarsaals auf Einladung von Christdemokraten ihres Landes. Aber im Plenum gleich nebenan versteinerte Mienen - Fassungslosigkeit und Entsetzen bei vielen Abgeordneten, die zur Sitzungswoche nach Straßburg gekommen sind. Parlamentspräsidentin Roberta Metsola spricht im Zusammenhang mit den Korruptionsvorwürfen von einem Angriff auf die Institution, die Demokratie und die europäische Lebensweise.
Am Vormittag wollen die Fraktionsvorsitzenden den Weg freimachen, damit das Parlament Metsolas Stellvertreterin Eva Kaili formal absetzen kann. EVP-Fraktionschef Manfred Weber von der CSU ist nach eigenen Worten schwer erschüttert. "Korruptionsvorwürfe gegen eine unserer höchsten Vertreterinnen haben das Vertrauen der Menschen in Europa als Ganzes beschädigt", sagt er. "Der Schaden ist zu groß, als dass man das für parteipolitische Kämpfe missbrauchen sollte."
Sozialdemokratische Fraktion besonders getroffen
Besonders schwer trifft der Skandal die sozialdemokratische Fraktion. Zu ihr gehört auch die griechische PASOK-Partei, für die Kaili ins Parlament gewählt wurde. Kaili und drei weitere Beschuldigte sitzen in Untersuchungshaft. Die Vorwürfe: Korruption, Geldwäsche und Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung. Der Golfstaat Katar soll mit Geld und Geschenken versucht haben, politische Entscheidungen zu beeinflussen. Das Emirat bestreitet das.
Die sozialdemokratische Fraktion sei extrem aufgewühlt gewesen bei ihrer Sitzung gestern Nachmittag, sagt der SPD-Abgeordnete Udo Bullmann. Er verweist auf vergleichsweise weitgehende Anti-Korruptionsregeln im Europäischen Parlament, verlangt aber, diese zu überprüfen im Hinblick auf Kontakte von Abgeordneten zu Regierungen aus dem EU-Ausland. "Ich will dass wir eine anständige Revision machen und dafür sorgen, dass Schlupflöcher geschlossen werden, wenn es sie gibt."
Große Geldsummen sichergestellt
Wie weit die Affäre reicht, ist noch unklar. Belgische Fahnder haben gestern Nachmittag Räume des EU-Parlaments am Standort Brüssel durchsucht und Daten von zehn Beschäftigten beschlagnahmt. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft wurden seit Freitag gewaltige Geldsummen sichergestellt: 600.000 Euro in der Wohnung eines Verdächtigen, mehrere Hunderttausend Euro in einem Koffer in einem Brüsseler Hotelzimmer, 150.000 Euro in der Wohnung eines Parlamentsmitglieds. Einzelfälle? Der Grünen-Abgeordnete Daniel Freund ist sich da nicht so sicher:
Wenn es wirklich diese Intention von Katar gab, Entscheidungen im Parlament zu beeinflussen, Resolutionen abzuschwächen, dann wird man das wahrscheinlich nicht nur mit einigen wenigen Sozialdemokraten versucht haben, sondern dann ist in der Tat die Befürchtung da, dass da noch mehr kommen könnte.
Erleichterungen für Katar auf Eis gelegt
Als ersten Schritt hat das EU-Parlament geplante Visa-Erleichterungen für Katar und andere Staaten auf Eis gelegt. Der Vorschlag, Menschen aus dem Golfstaat für 90 Tage visafreie Einreise zu gewähren, wurde an den zuständigen Ausschuss zurückverwiesen. Recht so, meint der FDP-Abgeordnete Moritz Körner: "Denn das muss auch klar sein: Wenn man illegal versucht, mit solchen Mitteln Politik zu beeinflussen, dann gibt es eben keine Visa-Liberalisierung. Das muss das eindeutige Signal sein."
Das Image des EU-Parlaments als Vorkämpferin gegen Korruption und für Rechtsstaatlichkeit hat schwer gelitten - das ist den Abgeordneten klar. Ungarns Regierungschef Viktor Orban, dem Brüssel seit Jahren schwere Mängel bei der Rechtsstaatlichkeit vorwirft, macht sich in einem Tweet über das Parlament lustig. Das ärgere ihn maßlos, sagt der Liberale Körner:
Der Unterschied ist aber, dass Frau Kaili im Gefängnis sitzt und die Staatsanwaltschaft ermittelt und das bei keinem von Viktor Orbans Freunden, wo es Beweise von Korruption gab, der Fall war. Das ist der Unterschied. Genau deshalb müssen wir den Rechtsstaat in Ungarn schützen und wiederherstellen.
Am Nachmittag wird das Parlament ausführlich über den Skandal und mögliche Konsequenzen debattieren.