Eine Frau lässt sich in der Praxis ihrer Hausärztin die dritte Impfung mit dem Comirnaty-Impfstoff des Herstellers BioNTech/Pfizer injizieren.
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Klagen gegen Impfstoffhersteller Der Anwalt und die Angst

Stand: 27.04.2023 18:17 Uhr

Wegen möglicher Gesundheitsschäden durch die Corona-Impfung versuchen Hunderte, vor Gericht Schadensersatz und Schmerzensgeld zu erstreiten. Ein Anwalt, der Verschwörungserzählungen verbreitet, vertritt viele Klagende.

Von Silvio Duwe, Daniel Laufer und Markus Pohl, rbb

Es gebe da etwas, worüber er nicht sprechen könne, sagt Tobias Ulbrich. Mitten im Interview mit dem ARD-Politikmagazin Kontraste bittet der Anwalt darum, die Kamera auszuschalten. "Ich kann es wirklich nicht sagen, weil es dazu geeignet ist, einen Dritten Weltkrieg auszulösen."

Es geht um die Corona-Impfstoffe, auch um das Virus selbst. In der Vergangenheit hatte Ulbrich den Verdacht geäußert, dass es sich dabei um eine biologische Kriegswaffe handeln könnte. Er schrieb dies in eine Strafanzeige und schickte sie an den Generalbundesanwalt. Ulbrich mutmaßte unter anderem, die Verantwortlichen von BioNTech könnten an einem Völkermord beteiligt sein. Diese Anzeige aus dem Jahr 2021 hätte laut ihm nie öffentlich werden sollen. 

Mehr als 160 Klagen

Ulbrichs Kanzlei ist heute in Deutschland hauptverantwortlich für die Klagewelle gegen Hersteller von Impfstoffen - darunter BioNTech. Mehr als 160 Klagen reichte sie nach seinen Angaben ein, täglich kämen neue dazu. Seine Mandanten sollen infolge der Corona-Impfung an gesundheitlichen Schäden leiden.

Dass es solche Schäden gibt, ist unbestritten. Sie sind allerdings sehr selten. Experten und Gesundheitsbehörden betonen daher, generell seien die Impfungen sicher. Ulbrich hingegen gibt seit Monaten Medieninterviews, in denen er dies in Zweifel zieht. Zeitungen und öffentlich-rechtliche Sender berichteten. Bei tagesschau.de wurde er aus einer dpa-Meldung zitiert, wonach er bei der juristischen Auseinandersetzung eine "Sachverständigenschlacht" erwarte, wenn die Gerichte nicht schon zu Beginn ein "Abschreckungsurteil" fällten.

 

Dabei ist Ulbrich kein ausgewiesener Experte für Medizinrecht. Die Kanzlei "Rogert & Ulbrich", die er mitgegründet hat, ist vor allem durch Klagen gegen Volkswagen und andere Autohersteller wegen Abgasmanipulationen bekannt. Laut ihrer Website ist Ulbrich eigentlich Fachanwalt für Transport- und Speditionsrecht. 

Düstere Werbebotschaften

Dass sich dennoch derart viele Menschen an ihn gewendet haben, die glauben, von Impfschäden betroffen zu sein, hängt womöglich mit einer bemerkenswerten Werbestrategie zusammen. So gaben die Düsseldorfer Anwälte im vergangenen Jahr eine Pressemitteilung heraus, in der sie vorrechneten, allein durch den Impfstoff von BioNTech könnte es in Europa 1,1 Millionen Tote geben. "Wir lassen Geimpfte nicht im Stich", versprachen sie.

Für Aufmerksamkeit trommelte die Kanzlei auch mit der Bekanntgabe, Blutbilder von Mandanten zeigten, dass diese unter einer Autoimmunerkrankung namens "V-AIDS" litten. Das "V" steht dabei für "Vakzin" - eine Impfung. "Offenkundig" werde die körpereigene Immunabwehr "als Folge der Impfung(en)" zerstört "oder zumindest eklatant" geschwächt, hieß es in einer Pressemitteilung hierzu. 

 

"Unsachliche Äußerung"

Der Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Immunologie, Carsten Watzl, widerspricht dieser "V-AIDS"-These im Kontraste-Interview deutlich. Eine solche Erkrankung gebe es nicht. Dem Immunologen zufolge gibt es keine stichhaltigen Hinweise darauf, dass die Corona-Impfung das Immunsystem dauerhaft schädigt, im Gegenteil. "Das Immunsystem ist gestärkt durch die Impfung, weil ich danach besser auf eine Infektion gegenüber Corona geschützt bin."

Es scheint denkbar, dass die düsteren Werbebotschaften für Ulbrichs Kanzlei Folgen haben könnten. Der Jurist Martin W. Huff, der einen Sammelband zum anwaltlichen Berufsrecht herausgegeben hat, äußert im Interview mit Kontraste Bedenken. Wenn es so etwas wie "V-AIDS" medizinisch nicht gebe, könne Ulbrichs Kanzlei nicht behaupten, dass ihre Mandanten daran leiden.

Nach seiner Einschätzung würde es sich dann um eine "unsachliche Äußerung" handeln. Eine solche sei Anwälten aber verboten. "Darunter subsumieren wir Berufsrechtler, dass keine unwahren Tatsachenbehauptungen aufgestellt werden dürfen." Huff warnt: Eine Rechtsanwaltskammer und ein Konkurrent könnten wegen der "V-AIDS"-Äußerungen gegen Ulbrichs Kanzlei vorgehen.

Auftritte im "Querdenken"-Milieu

Doch nicht nur in den Pressemitteilungen seiner Kanzlei fällt Ulbrich mit steilen Thesen zu Coronaimpfungen auf. Mehrfach trat er im selbst ernannten "Corona-Ausschuss" auf, einer Videoreihe aus dem "Querdenken"-Milieu. Im Januar berichtete Ulbrich dort ausführlich von der Strafanzeige, die er dem Generalbundesanwalt geschickt hatte. In dieser äußerte er neben dem Verdacht des Völkermords sowie des versuchten Völkermords auch die Befürchtung, es sei zu Fällen von Hochverrat und Verstößen gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz gekommen. 

Womöglich beteiligt gewesen seien daran etwa der CDU-Politiker Jens Spahn und der Virologe Christian Drosten. In der Anzeige behauptete Ulbrich zudem, nach dem Wunsch von Bill Gates solle "das deutsche Volk" mittels der Impfung auf 27 Millionen Einwohner reduziert werden. Im Kontraste-Interview sagt Ulbrich, er habe damals lediglich einen Verdacht prüfen lassen wollen. Der Generalbundesanwalt wies die Anzeige ab.

 

Ein verschwörungsideologisches Weltbild

Für Josef Holnburger ist sie Zeugnis eines "geschlossenen verschwörungsideologischen Weltbilds". Der Politikwissenschaftler forscht am "Center für Monitoring, Analyse und Strategie (Cemas)" zu Verschwörungserzählungen. Von Ulbrich aufgestellte Behauptungen drehten sich darum, dass es eine kleine Gruppe gebe, die über einen riesigen Machtapparat verfüge und damit etwas unglaublich Böses tun wolle. Auch Positionen, die dieser öffentlich vertrete, fügten sich fast nahtlos in die "Querdenken"-Szene ein, so Holnburger. 

Zum Beispiel verbreitet Ulbrich eine Art politisches Manifest auf einer eigens dafür eingerichteten Website. Darin fordert er unter anderem eine Änderung des Strafrechts. Die "vorgetäuschte Infektion über den PCR-Test zum Zwecke des Vertriebs von Impfstoffen" solle mit lebenslanger Haft versehen werden. Im Interview mit Kontraste behauptete er, PCR-Tests hätten keine Aussagekraft, ohne diese Tests gebe es keine Pandemie. 

Auf Twitter beklagte er fünfmal einen "Vaccionalsozialismus", dessen "Gesicht" oder "Vertreter" Karl Lauterbach, Friedrich Merz und die FDP seien - in Anspielung auf die NS-Zeit. Kontraste sagte Ulbrich, er distanziere sich davon. Mit Verschwörungserzählungen habe er nichts am Hut. 

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete das Erste in der Magazin "Kontraste" am 27. April 2023 um 21:45 Uhr.