Europaparlament Geheimer AfD-Chat zeigt Partei-Chaos
Kurz vor den Aufstellungen für die Europawahl ist die Atmosphäre unter den EU-Parlamentariern in der AfD vergiftet. Ein geleakter Chat und anonyme Papiere, die der ARD vorliegen, zeigen die jüngste Eskalation eines chaotischen Machtkampfs.
Von Andrea Becker, Pune Djalilevand, RBB und Martin Schmidt, ARD-Hauptstadtstudio
Der Chat lässt in radikale und verfassungsfeindliche Gedankenwelten in der AfD blicken. "Gegen das Konzept der Menschenrechte muss man immer sein", schreibt ein Gruppenmitglied, das damals als Assistent beim AfD-Europaparlamentarier Maximilian Krah arbeitet. Krah vertritt die AfD im EU-Ausschuss für Menschenrechte. Auch sein Name taucht in der Chatgruppe auf.
In dem Leak, das dem ARD-Hauptstadtstudio und dem ARD-Politikmagazin Kontraste vorliegt, fallen Aussagen wie "Die Scheiss-BRD war eine reine Kolonie. Und zwar von Anfang an was ja nur logisch war" und "Dieser Staat war schon immer ein minderwertiger Witz". Jedem müsse klar sein, dass "der Westen der Feind" sei. Frauen werden in sexistischer Sprache beschrieben. Der ehemalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker wird als "Ratte" bezeichnet.
Die Äußerungen stammen aus einer Gruppe namens "IG Meinung". AfD-Mandatsträger aller Ebenen diskutieren hier - vom EU-Parlament bis zur Berliner Bezirksvertretung, sowie deren Mitarbeiter.
Die vorliegenden Chat-Auszüge stammen überwiegend aus den Jahren 2021 und 2022. Im Mittelpunkt des Leaks stehen Äußerungen des EU-Abgeordneten Krah und seiner ehemaligen und jetzigen Mitarbeiter. Der Urheber des Leaks scheint offenbar vor allem ihm und seinem Umfeld schaden zu wollen.
Denn auch das wird im Chat deutlich: Es gibt eine tiefe Feindschaft innerhalb der AfD. AfD-Abgeordnete werden als "Mandatsmaden" und "eingebildete Schwachmaten" beschimpft. Über ein Abstimmungsverhalten des ehemaligen Parteisprechers Jörg Meuthen und weiterer AfD-Parlamentarier heißt es: "Das ist linksversiffte Kackscheiße."
Suche nach dem Maulwurf
Neben den geleakten Chats kursiert ein anonymes Papier, das dem ARD-Hauptstadtstudio und Kontraste vorliegt. Darin wird detektivisch nach dem Urheber des Leaks gesucht. Der Verfasser kommt darin zu dem Schluss, der AfD-Europaabgeordnete Gunnar Beck stecke dahinter.
Beck betonte auf Anfrage, ihm seien die Chats und Dokumente unbekannt. Gegen ein ehemaliges Parteimitglied, das die Behauptung von Becks Urheberschaft in sozialen Medien verbreitet habe, sei schon wegen älterer verleumderischer Äußerungen ein zivilgerichtliches Verfahren anhängig. Im Übrigen äußere er sich nie zu parteiinternen Vorgängen.
Wer das anonyme Papier über Becks behauptete Urheberschaft des Chat-Leaks verfasst hat, ist unbekannt. Der Ersteller dieses Papiers hat allerdings Datenspuren hinterlassen. Er nutzte ein Pseudonym, das einer von Krahs Assistenten vor einigen Jahren bei einer Aktion der sogenannten "Identitären Bewegung" verwendete. Dieser Assistent wollte auf Nachfrage nicht kommentieren, ob er der Autor dieses Papiers sei.
Interner Machtkampf
Krah ist Mitglied im Bundesvorstand der AfD. Seit dem Austritt Meuthens überschattet die Rivalität zwischen den Abgeordneten Krah und Nicolaus Fest die Arbeit der AfD im EU-Parlament.
Krah ist seit Februar von seiner Fraktion im EU-Parlament suspendiert, nachdem er anonym angezeigt worden war. Laut dieser Anzeige sollen Krah und dessen Assistent ein Vergabeverfahren zugunsten einer Berliner Agentur manipuliert haben. Es geht um ein Auftragsvolumen von mehr als 60.000 Euro. Auf Anfrage bezeichnet Krah die Anschuldigungen als "frei erfunden".
Laut Medienberichten soll der Berliner AfD-Abgeordnete Fest die anschließende Suspendierung initiiert haben. Kurz darauf trat Fest vom Vorsitz der AfD-Fraktion zurück. Nach Auskunft von Krah seien die Ermittlungen zwischenzeitlich ergebnislos beendet worden. Das Europäische Amt für Betrugsbekämpfung gab mit Verweis auf Datenschutzgründe keine Auskunft zum Stand des Verfahrens.
Krah wurde 2022 schon einmal für ein halbes Jahr aus der Fraktion ausgeschlossen. Zur Begründung hieß es, Krah habe "Treuepflichten verletzt", indem er die Bewegung des französischen Präsidentschaftskandidaten Éric Zemmour unterstützt haben soll - einem Widersacher von Marine Le Pen. Für die Rechtsaußen-Fraktion war damit eine Grenze überschritten.
Innerparteiliche Differenzen
Die Turbulenzen in der EU-Fraktion spiegeln die heftigen innerparteilichen Machtkämpfe um die europapolitische Ausrichtung der AfD wider. Die Diskussion um ein europapolitisches Papier führte beim Parteitag im Juni 2022 in Riesa nach heftigen verbalen Auseinandersetzungen zum ergebnislosen Abbruch der Versammlung. Der damals heiß debattierte Entwurf sah unter anderem eine "einvernehmliche Auflösung der EU" vor. Im Sommer will die AfD in Magdeburg ihre Kandidaten für die Wahl zum Europäischen Parlament im kommenden Jahr aufstellen. Für Diskussionsstoff dürfte gesorgt sein.
Auf Anfrage sagt Krah über die Zitate aus dem Chat, dass diese von keinem seiner Mitarbeiter stammten. "Ich bin Mitglied zahlreicher Chatgruppen und kann nicht jede Bemerkung, die in drei Jahren fällt, korrigieren", so Krah. Sein ehemaliger Assistent, der in dem Chat unter anderem gegen Menschenrechte wetterte, wollte keinen Kommentar abgeben. Außerdem bestritt er, überhaupt bei Krah angestellt gewesen zu sein.
AfD-Europaparlamentarier Maximilian Krah spricht von "Menschenrechtsimperialismus".
Laut Parlamentsdatenbanken war jener Assistent 2021 und 2022 jedoch als Krahs örtlicher Assistent gelistet. Er und Krah sind offenbar freundschaftlich verbunden. Inzwischen arbeitet dessen Ehefrau für den EU-Abgeordneten. Fotos auf Instagram zeigen Krah und das Ehepaar im Dezember 2022 in New York bei einer Veranstaltung der Young Republicans - einer Nachwuchsorganisation der Republikaner.
Auf die Chatbeiträge zur Ablehnung der Menschenrechte angesprochen, schrieb Krah: "Der Kernbestand der Menschenrechte" sei unbestritten. Jedoch wirft Krah der EU vor, dass sie neokolonial handle, wenn sie gegenüber anderen Ländern auf der Einhaltung von menschenrechtlichen Grundprinzipien bestehe. Krah spricht von "Menschenrechtsimperialismus".