Gewaltopfer in Deutschland Weißer Ring kritisiert zu wenig Hilfe

Stand: 13.08.2022 09:36 Uhr

Wer in Deutschland Opfer einer Gewalttat wird, kann Entschädigungen beim Staat beantragen. Nach Angaben des Weißen Rings genehmigt der allerdings zu wenige solcher Anträge. Es hakt offenbar aber auch an anderer Stelle.

Gewaltopfer bekommen nach Einschätzung der Hilfsorganisation Weißer Ring viel zu selten die gesetzlich verankerte Hilfe vom Staat.

Ein Grund für den Weißen Ring ist die Bürokratie: Sie lasse Menschen, "die unverschuldet in Not geraten sind, immer öfter hilflos zurück". Das teilte der Bundesvorsitzende der Hilfsorganisation für Kriminalitätsopfer und ehemalige Präsident des Bundeskriminalamts, Jörg Ziercke, der Nachrichtenagentur dpa mit.

Fast jeder zweite Antrag abgelehnt

Nach einer Erhebung des Weißen Rings wurden im vergangenen Jahr bundesweit 46,6 Prozent der Anträge nach dem Opferentschädigungsgesetz abgelehnt - fast jeder zweite Antrag. "Das ist der schlechteste Wert seit mehr als 20 Jahren", berichtete der Weiße Ring.

Genehmigt worden seien im vergangenen Jahr nur 27,6 Prozent der Anträge. Diese Quote sei lediglich 2019 mit 26,2 Prozent noch etwas niedriger gewesen.

Die übrigen nicht abgelehnten Anträge (25,8 Prozent) bekamen aber ebenfalls keine Hilfe: Sie seien 2021 "aus sonstigen Gründen" eingestellt worden. Gründe dafür waren dem Weißen Ring zufolge beispielsweise die Rücknahme des Antrags, der Tod eines Antragstellers oder die Weitergabe des Falls in ein anderes Bundesland.

Opferentschädigungsrecht

Mit dem Opferentschädigungsrecht verpflichte sich der Staat, Opfer von Gewalttaten wie Körperverletzung, häuslicher Gewalt oder sexuellem Missbrauch zu unterstützen. Sie sollen vor gesundheitlichen und wirtschaftlichen Nachteilen infolge der Tat geschützt werden. Der Staat solle etwa Kosten für medizinische Behandlungen oder Rentenzahlungen übernehmen. Anspruch auf diese Hilfen haben laut dem Opferentschädigungsrecht alle Menschen, die auf dem "Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland" Opfer einer vorsätzlichen Gewalttat werden und dadurch eine gesundheitliche Schädigung erleiden.

Gewaltopfer zogen Anträge zurück

"Ich bin fest davon überzeugt, dass sich dahinter zum großen Teil Fälle verbergen, in denen Gewaltopfer ihre Anträge zurückgezogen haben - weil sie durch die Bürokratie und die langen Verfahren zermürbt sind", sagte Ziercke. Warum Opfer ihre Anträge tatsächlich zurücknehmen, werde bundesweit nicht einheitlich erfasst.

Viele wissen nicht von ihrem Recht

Nach Ansicht des Weißen Rings gibt es ein weiteres Problem: Vielen Betroffenen wissen gar nicht, dass es das Opferentschädigungsrecht gibt. Es sei weitgehend unbekannt und viel zu wenige Betroffene stellten überhaupt einen Antrag, hieß es von der Organisation.

Die Zahlen unterstützen diese Theorie: Rund 15.000 Anträge auf Entschädigung seien im vergangenen Jahr gestellt worden. Der Weiße Ring verweist im Verhältnis dazu auf ungefähr 165.000 in der Polizeilichen Kriminalstatistik erfasste Gewalttaten. Diese Quote - das Verhältnis gestellter Anträge zu registrierten Gewalttaten - liege seit mehr als 20 Jahren zwischen neun und elf Prozent.

"Behörden müssen auf Anerkennung prüfen"

Ziercke forderte einen Kulturwandel in den zuständigen Versorgungsämtern. "Die Behörden müssen auf Anerkennung prüfen, nicht auf Ablehnung", sagte Ziercke.

In Deutschland muss der Leitsatz gelten: Im Zweifel für das Opfer!

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 13. August 2022 um 11:00 Uhr.