Steigende Lebensmittelpreise Druck auf Özdemir wächst
Der Ukraine-Krieg wirkt sich auch auf den Supermarktbesuch aus. Können deutsche Landwirte wegfallende Lieferungen ausgleichen? Minister Özdemirs Reformpläne könnten ins Wanken geraten.
Beschwingt nimmt Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir am Freitagvormittag auf der Regierungsbank im Bundestag Platz. Was hat der Grünen-Politiker sich nicht alles vorgenommen: mehr Tierwohl, weniger Pestizide, mehr Ökolandbau. Doch der Krieg in der Ukraine und die damit verbundenen Versorgungsengpässe stellen diese Ziele in Frage. Özdemirs Reformvorhaben könnten ins Wanken geraten. Im Parlament folgt eine hitzige Debatte zur Ernährungssicherung.
Forderung nach Steigerung von Nahrungsmittelproduktion
Die EU-Kommission hatte Ende März erlaubt, dass Landwirte in der Krise dieses Jahr ausnahmsweise ökologische Flächen bewirtschaften dürfen mit sämtlichen Getreidesorten, auch unter Verwendung von Pflanzenschutzmitteln. Die Union fordert, dass Özdemir das auch in Deutschland zulässt. Sogar innerhalb der Ampel-Koalition wächst der Druck auf den Minister. Kurzfristig müssten Europa und Deutschland jetzt bedingungslos die Nahrungsmittelproduktion steigern, heißt es aus der FDP.
Experten halten das allerdings für eine Scheindiskussion. Einerseits, weil der Anbau von Sommergetreide bereits gelaufen ist. Andererseits, weil die Erträge von diesen sogenannten ökologischen Vorrangflächen gering wären. "Da reden wir über potenzielle Weltmarktpreiseffekte von Null Komma Irgendwas Prozent", sagt Harald Grethe, Professor für Internationalen Agrarhandel und Entwicklung an der Humboldt-Universität zu Berlin.
Steigende Lebensmittelpreise weltweit
Auch Landwirt Peter Guhl aus Teldau in Mecklenburg-Vorpommern hält von dieser kurzfristigen Maßnahme nichts. Aber er macht sich Sorgen. Denn für die Bauern bedeutet die Krise: explodierende Kosten bei Diesel, Dünge- und Futtermitteln. Landwirt Guhl muss deshalb schon jetzt Mehrkosten in Höhe von 200.000 Euro verbuchen. Im Moment sei das ein ganz schwieriges Geschäft. "Gerade die Landwirtschaft ist auf Stabilität angewiesen. Die Stabilität ist komplett verloren gegangen", sagt er.
Keiner weiß, wie lange die Krise dauern wird. Weltweit steigen die Lebensmittelpreise. Wegen der Weizenausfälle aus der Ukraine und aus Russland drohen Engpässe in afrikanischen Ländern und im Nahen Osten. Wie also die Nahrungsmittelkrise bekämpfen? 638 internationale Wissenschaftler fordern einen Strategiewechsel in der Agrarpolitik, ein Umdenken auf der Nachfrageseite, vor allem weniger tierische Produkte, weniger Fleisch.
Hoher Fleischkonsum im Blick
Auch Professor Grethe von der Humboldt-Universität hat die Erklärung unterzeichnet. "Wir brauchen so wahnsinnig viel Getreide, weil wir es durch den Tiermagen durchschleusen", sagt Grethe. Insofern lohne es sich, in der Krise das Konsumverhalten zu hinterfragen. "Das, was wir da machen, ist doch langfristig nicht nachhaltig. Wir müssen weniger tierische Produkte konsumieren", appelliert der Professor für Agrarhandel.
Weniger Fleisch essen und bewusster konsumieren hält auch Landwirt Guhl für sinnvoll. Aber er will nicht, dass die Politik das steuert. Und er kritisiert, dass die Bauern im kommenden Jahr trotz der Krise noch mehr Flächen für Umwelt- und Klimaschutz stilllegen sollen. Mehr Brotgetreide zu erzeugen, wäre möglich, sagt Guhl. Zum einen, wenn auf die zwangsweise Stilllegung von Ackerflächen verzichtet würde. Zum anderen, wenn Özdemir sich von dem Ziel 30 Prozent Biolandbau verabschieden würde. "Weil 30 Prozent Bio-Anbau bedeutet, dass wir auf dieser Fläche höchstens die Hälfte der Menge ernten", sagt der Landwirt.
Suche nach "geeignetem Finanzierungsmechanismus"
Der Bundeslandwirtschaftsminister wird dagegen nicht müde zu betonen, man dürfe die Krise durch den Krieg nicht gegen die Klimakrise ausspielen. Mehr Ertrag, weniger Umweltschutz, das will Özdemir nicht mittragen, etwa bei der Nutzung von ökologischen Vorrangflächen. Doch auch ohne den Krieg in der Ukraine gab es für die Pläne des Ministers nicht nur Begeisterung.
Die Finanzierung für seine Vorhaben ist längst nicht gesichert. Für den Umbau der Tierhaltung etwa hat sein Ministerium bisher eine Milliarde Euro für die Jahre 2023 bis 2026 vorgesehen. Viel zu wenig, das weiß er selbst. Özdemir spricht von einer Anschubfinanzierung. Woher das restliche Geld kommen soll - Experten veranschlagen dafür bis zu vier Milliarden Euro jährlich - ist noch unklar. Bis Ende 2022 will der Minister einen "geeigneten Finanzierungsmechanismus" vorlegen, heißt es aus seinem Haus.
Überzeugungsarbeit in der Koalition
Eine Möglichkeit wäre, die Mehrwertsteuer für Fleisch, Wurst, Eier, Milch und Käse von derzeit sieben Prozent an den regulären Satz von 19 Prozent anzupassen. Professor Grethe sieht darin einen Abbau der Subvention tierischer Produkte. "Dann hätte man damit auch gleichzeitig die deutliche Lenkungswirkung für einen Konsum von weniger tierischen Produkten", sagt der Agrarexperte.
Doch in der Ampel-Koalition tritt die FDP auf die Bremse. Die Liberalen drängen auf "ein durch Marktteilnehmer getragenes System", wie es im Koalitionsvertrag formuliert wurde. Mehr Ökolandbau, mehr stillgelegte Flächen für die Umwelt, mehr Tierwohl - all das wird den Minister also kosten: Überzeugungsarbeit in der eigenen Koalition und mehr Geld.