Nebenkläger im NSU-Prozess Sie warten immer noch auf Antworten
Sie sind die Hinterbliebenen, die Überlebenden, die Trauernden - 93 Nebenkläger waren im NSU-Prozess zugelassen. Sie haben mit ihren 59 Anwälten den Prozess geprägt. Zu viele Fragen bleiben für sie offen.
"Mit welchem Recht haben sie meinen Sohn umgebracht", fragt İsmail Yozgat, der Vater des ermordeten 21-jährigen Halit unter Tränen, "wie wollen sie das wieder gutmachen?" Halit Yozgat war das letzte Opfer der Česká-Mordserie an insgesamt neun Migranten. Am 2. Oktober 2013, dem 42. Verhandlungstag im NSU-Prozess, richtete seine Mutter Ayşe Yozgat einen verzweifeltet Appell an Beate Zschäpe, ihr Schweigen zu brechen. Dann könne sie, die Mutter, vielleicht wieder mehr als zwei Stunden pro Nacht schlafen. In diesem ersten Jahr des NSU-Prozesses hofften die Opferfamilien noch, dass sie irgendwann Antworten auf ihre Fragen bekommen.
"Ich kann eigentlich nicht ertragen, sie zu sehen. Es ekelt mich an", sagt Elif Kubaşık über die Hauptangeklagte. Beate Zschäpe behauptete in schriftlichen Einlassungen, immer erst im Nachhinein von den Morden und Bombenattentaten erfahren zu haben. Die ganze Schuld schiebt sie auf die verstorbenen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt. Die Opferfamilien glauben ihr diese Version nicht und nehmen die Entschuldigung an die Adresse der Opferangehörigen nicht an.
Halit Yosgat wird in seinem Internet-Café an der Holländischen Straße in Kassel von den NSU-Tätern Mundlos und Böhnhardt erschossen. Zur Tatzeit hielt sich auch ein V-Mannführer des hessischen Verfassungsschutzes dort auf. Nicht weit vom Tatort gibt es einen Gedenkstein und den nach Yozgat benannten "Halitplatz".
"Institutioneller Rassismus" und die Folgen
Doch die Nebenkläger erhoffen sich nicht nur Aufklärung durch Beate Zschäpe. Sie wollen auch wissen, warum die Polizei dem NSU fast vierzehn Jahre lang nicht auf die Spur kam. Die Familien Yozgat, Kubaşık und Şimşek hatten bereits 2006 für Ermittlungen in Richtung Rechtsextremismus demonstriert.
Doch die Ermittler unterstellten den Opfern kriminelle Machenschaften und Kontakte zu einer angeblichen Türken-Mafia. "Ich glaube in der Tat, dass es die Denke gibt: Wenn es ein türkisches Opfer gibt, dann müssen wir erst mal nach Drogen schauen, dann müssen wir erst mal schauen, ob er selber kriminell war", kritisiert Nebenklage-Anwalt Mehmet Daimagüler und spricht von "institutionellem Rassismus".
Zweifel an These vom abgeschotteten Trio
Normalerweise ziehen Nebenkläger und Staatsanwaltschaft in einem Verfahren an einem Strang. Im NSU-Prozess ist das von Anfang an anders. Die Bundesanwaltschaft geht davon aus, dass der NSU mit Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe aus nur drei Personen bestand, ein abgeschottetes Trio mit nur wenigen Unterstützern war. Doch Nebenklage-Anwalt Sebastian Scharmer glaubt nicht an die Trio-These. "Es gab sehr viel mehr Personen, die Helfer, Unterstützer waren oder möglicherweise sogar mehr Mitglieder. Diese schnelle Festlegung auf die Trio-These hat einfach den offenen Blick auf die Seitenränder vernebelt."
Seine Mandantin Kubaşık sagt: "Es ist ein ungutes Gefühl, wenn ich auf der Straße bin und weiß, es könnte irgendein Nazi rumlaufen, der vor der Ermordung meines Vaters wusste, dass mein Vater ermordet wird."
Rätselhafte Rolle des Verfassungsschutzes
Gamze Kubaşıks Anwälte versuchten, mit Kollegen lokale und auch internationale rechtsextreme Netzwerke und Strukturen herauszuarbeiten, in die der NSU eingebettet war. Doch das ging nicht nur der Bundesanwaltschaft an vielen Stellen zu weit, sondern auch anderen Opfer-Anwälten. Bernd Behnke, der Angehörige des in Rostock ermordeten Mehmet Turgut vertritt, warnte davor, "dass der Prozess überhäuft wird mit Mutmaßungen".
Doch auch für den Freiburger Jura-Professor ist klar, dass am Ende des Prozesses viele Fragen offen bleiben. So war bis zuletzt die Rolle des hessischen Verfassungsschützers und V-Mann-Führers Andreas Temme rätselhaft. Temme war nachweislich zum Zeitpunkt des Mordes an Halit Yozgat am Tatort, bestreitet aber, von dem Mord etwas mitbekommen zu haben.
Mehmet Turgut wurde in Rostock Opfer des "Nationalsozialistischen Untergrunds" NSU. Auch sein Anwalt fragt nach der Rolle des Verfassungsschutzes.
Zurückgehaltene Akten
Das Gericht glaubt ihm, viele Nebenkläger nicht. Sie wollten auch wissen, welche Erkenntnisse die Verfassungsschutzbehörden über die untergetauchten Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe hatten. Das aber ließ sich im Prozess nicht klären. Akten wurden zurückgehalten, Aussagegenehmigungen beschränkt und Nebenklage-Anwältin Seda Basay-Yildiz fragt: "Was muss denn eigentlich in Deutschland noch passieren, dass man bereit ist aufzuklären?"
Auch Gamze Kubaşık erinnert an das Versprechen, das Bundeskanzlerin Angela Merkel den Opfern im Jahr 2012 gegeben hatte - dass alles getan werde "um die Morde aufzuklären und die Helfershelfer und Hintermänner aufzudecken und alle Täter ihrer gerechten Strafe zuzuführen". Dieses Versprechen wurde gebrochen, sagt Gamze Kubaşık in ihrem Schlusswort und hofft nun doch wieder auf Beate Zschäpe. Ihr bot sie an, sich im Falle einer Verurteilung für eine Haftverkürzung einzusetzen, falls sie sich doch noch entschließt, die Wahrheit zu sagen. "Ich will Klarheit, ich will wissen, wer noch beteiligt war."