Berichte über NSA-Aktivitäten Immer mehr Details - immer mehr Kritik
Die Empörung über den US-Geheimdienst NSA wächst. Laut einem "Spiegel"-Bericht ist Deutschland eines der Hauptziele - die NSA überwache hier monatlich eine halbe Milliarde Kommunikationsdaten. Auch mutmaßliche Spionage bei der EU sorgt für Ärger.
Die Überwachung Deutschlands durch den US-amerikanischen Geheimdienst NSA ist offenbar viel umfangreicher als bislang angenommen: Die NSA sei in Deutschland so aktiv wie in keinem anderen EU-Land, berichtet das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel". Geheimdokumente zeigten, dass sie systematisch einen Großteil der Telefon- und Internetverbindungsdaten kontrolliere und speichere.
Laut einer internen NSA-Statistik würden in Deutschland monatlich rund eine halbe Milliarde Kommunikationsverbindungen überwacht. Darunter versteht die NSA Telefonate, Mails, SMS oder Chat-Beiträge. Die dem Magazin vorliegenden Unterlagen bestätigten, "dass die US-Geheimdienste mit Billigung des Weißen Hauses gezielt auch die Bundesregierung ausforschen, wohl bis hinauf zur Kanzlerin".
Bis zu 60 Millionen Telefonverbindungen am Tag abgehört?
Die NSA speichere in ihrem Hauptquartier im US-Bundesstaat Maryland die Metadaten, also wann welcher Anschluss mit welchem Anschluss verbunden war. Das sind laut "Spiegel" jene Vorratsdaten, um deren Speicherung in Deutschland seit vielen Jahren erbittert gerungen wird - und deren Erfassung das Bundesverfassungsgericht 2010 untersagte.
Die Statistik, die der "Spiegel" nach eigenen Angaben einsah, weise für normale Tage bis zu 20 Millionen Telefonverbindungen und um die zehn Millionen Internetdatensätze aus. An Heiligabend 2012 hätten die Amerikaner rund 13 Millionen Telefonverbindungen und halb so viele Daten von Internetverbindungen überprüft und gespeichert. An Spitzentagen wie dem 7. Januar 2013 habe der Geheimdienst bei rund 60 Millionen Telefonverbindungen spioniert. Für Frankreich hätten die Amerikaner im selben Zeitraum täglich im Durchschnitt gut zwei Millionen Verbindungsdaten verzeichnet.
"Wir können die Signale abgreifen"
Aus einer vertraulichen Klassifizierung gehe hervor, dass die NSA die Bundesrepublik zwar als Partner, zugleich aber auch als Angriffsziel betrachte. Demnach gehöre Deutschland zu den sogenannten Partnern dritter Klasse. Ausdrücklich ausgenommen von Spionageattacken seien nur Kanada, Australien, Großbritannien und Neuseeland, die als zweite Kategorie geführt würden. "Wir können die Signale der meisten ausländischen Partner dritter Klasse angreifen - und tun dies auch", erklärte die NSA in einer Präsentation, die der "Spiegel" einsah.
Nach den geheimen NSA-Unterlagen nehme Frankfurt im weltumspannenden Netz eine wichtige Rolle ein: Die Stadt sei als Basis in Deutschland aufgeführt. Dort habe die NSA Zugang zu Internetknotenpunkten, die den Datenverkehr mit Ländern wie Mali oder Syrien, aber auch mit Osteuropa regeln.
"Wie im Kalten Krieg"
Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger reagierte bestürzt: "Wenn die Medienberichte zutreffen, erinnert das an das Vorgehen unter Feinden während des Kalten Krieges." Es sprenge jede Vorstellung, "dass unsere Freunde in den USA die Europäer als Feinde ansehen", sagte sie weiter. Der CDU-Innenexperte Clemens Binninger verlangte von den US-Behörden rasche Aufklärung: "Ein solches Verhalten unter befreundeten Staaten ist geeignet, das gegenseitige Vertrauen zu erschüttern."
Die Opposition forderte Kanzlerin Angela Merkel auf, in Washington auf Aufklärung zu dringen. "Die Bundesregierung muss den Sachverhalt schnellstens klären", sagte SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück "Spiegel Online". Sollten sich die Vorwürfe bestätigen, "ginge das über legitime Sicherheitsinteressen weit hinaus". Konstantin von Notz, innen- und netzpolitischer Sprecher der Grünen, sagte, Merkel trage für die Vorgänge "die direkte politische Verantwortung", weil die Geheimdienstkoordination im Kanzleramt liege. Linksparteichefin Katja Kipping forderte, die Bundesregierung müsse umgehend den US-Botschafter einbestellen und ihren formellen Protest übermitteln.
NSA-Spionage bei EU-Einrichtungen?
Heftige Kritik löste auch ein "Spiegel"-Bericht über NSA-Spionage bei EU-Einrichtungen aus. Führende EU-Politiker äußerten sich empört. EU-Parlamentspräsident Martin Schulz forderte im Gespräch mit "Spiegel Online" genauere Informationen. "Aber wenn das stimmt, ist es ein Riesenskandal", sagte Schulz. Dies bedeute eine große Belastung für die Beziehungen der EU und der USA.
Die EU-Kommission verlangte von der US-Regierung Aufklärung. Diese will die Berichte nun untersuchen und Brüssel dann eine Rückmeldung geben.
"Spiegel"-Bericht über Wanzen in der Washingtoner EU-Vertretung
Der "Spiegel" hatte berichtet, aus einem als streng geheim eingestuften NSA-Papier vom September 2010 gehe hervor, wie der Geheimdienst Wanzen im Gebäude der EU-Vertretung in Washington installiert und auch das interne Computernetz infiltriert habe. Auf diese Art sei auch die EU-Vertretung bei den Vereinten Nationen attackiert worden. Die entsprechenden Unterlagen habe der Ex-Geheimdienstmitarbeiter Edward Snowden mitgenommen.