Interview

Strafrechtler zum Fall Snowden "Der Spionagevorwurf ist fragwürdig"

Stand: 25.06.2013 19:03 Uhr

Die Forderung der USA im Fall Snowden ist unmissverständlich: Er soll ausgeliefert werden - egal, wo er sich aufhält. "Dabei sind die rechtlichen Hürden dafür sehr hoch", sagt Strafrechtler Kai Ambos im Gespräch mit tagesschau.de. Und auch der Vorwurf der Spionage sei fragwürdig.

tagesschau.de: Die USA fordern von Russland die Auslieferung Snowdens. Ist Russland dazu in irgendeiner Weise verpflichtet?

Kai Ambos: Ein Staat ist dazu nur dann verpflichtet, wenn es ein Auslieferungsabkommen gibt. Deshalb richtet sich die Auslieferung nach dem innerstaatlichen Recht Russlands. Dazu müsste aber zunächst das Verhalten, das Snowden vorgeworfen wird, auch in Russland als strafbar gewertet werden. Im Auslieferungsrecht nennt man dies das Prinzip der beiderseitigen Strafbarkeit. In vielen Staaten ist die Auslieferung bei politischen Delikten gesetzlich verboten. Auch das wäre in diesem Fall ein Hinderungsgrund, Snowden auszuliefern. Außerdem muss das ja auf Gegenseitigkeit beruhen: Russland würde nur ausliefern, wenn das auch die USA im Gegenzug tun würden.

Zur Person

Kai Ambos ist Professor für Strafrecht, Strafprozessrecht, Rechtsvergleichung und internationales Strafrecht an der Georg August Universität Göttingen. Außerdem ist er Richter am Landgericht Göttingen. Seine Forschungsschwerpunkte liegen unter anderem im Bereich der internationalen Strafjustiz und der Justizreform mit Schwerpunkt Lateinamerika und Osteuropa.

tagesschau.de: Wie würde sich Deutschland in so einem Fall gegenüber den USA verhalten?

Ambos: Zwischen der EU und den USA besteht ein Auslieferungsabkommen. Das heißt, Deutschland ist grundsätzlich verpflichtet an die USA auszuliefern. Doch auch hier kann es Hinderungsgründe geben. Die beiderseitige Strafbarkeit ist auch in diesem Abkommen eine Anforderung. Außerdem darf Deutschland als Mitglied der Europäischen Menschenrechtskonvention nicht in Länder ausliefern, die eventuell die Menschenrechte verletzen. Bei den USA besteht immer das Problem der Todesstrafe. Das wird im Fall von Snowden zwar nicht in Betracht kommen, denn ihm droht nur eine Freiheitsstrafe. Aber es gab schon Fälle, in denen Deutschland wegen der Todesstrafe nicht an die USA ausgeliefert hat, beziehungsweise eine Zusicherung verlangt hat, dass die Todesstrafe nicht vollstreckt wird.

"Es gibt sehr viel Intransparenz bei diesem Fall"

tagesschau.de: Hongkong hat angegeben, Snowden nicht ausgeliefert zu haben, weil der Auslieferungsantrag der USA nicht vollständig gewesen sei. Kann es sein, dass den USA in einem für sie so wichtigen Fall formale Fehler unterlaufen?

Ambos: Da es sehr schnell gehen musste, kann ich mir schon vorstellen, dass der Antrag nicht vollständig den Anforderungen Hongkongs entsprach. In der Regel muss der ersuchende Staat die Vorwürfe ausführlich darstellen und die Strafbarkeit nach seinem Recht begründen. Die Hürden für eine Auslieferung sind in der Regel hoch und werden häufig in langwierigen Verfahren über Monate oder Jahre geprüft. Ein Land wird sich gut überlegen, ob es jemanden einfach so festsetzt.

Das Problem bei der Beurteilung des Snowden-Falls ist, dass es sehr viel Intransparenz gibt. Die USA haben bisher nur eine einzige Seite ihres Strafantrags öffentlich gemacht. Alles andere ist geheim. So kann man die Vorwürfe der USA gegenüber Hongkong oder Russland nicht überprüfen.

"Der Vorwurf der Spionage ist sehr problematisch"

tagesschau.de: Mögliche Zielländer Snowdens sind Ecuador, Venezuela und Kuba. Wie wahrscheinlich ist es, dass diese Länder Snowden ausliefern würden?

Ambos: Zwar haben alle drei Länder Auslieferungsabkommen mit den USA, die sind aber sehr alt, vom Anfang des 20. Jahrhunderts. Es kann durchaus sein, dass diese Abkommen von den jetzigen, USA-kritischen Regierungen gar nicht mehr angewendet werden. Hinzu kommt: Der Vorwurf der Spionage ist sehr problematisch. Die Tatbestände, die die USA hier aufführen, beruhen auf einem Gesetz von 1917, das vor allem im Zweiten Weltkrieg eine Rolle spielte. Dabei ging es um klassische Spionage, wenn also jemand Staatsgeheimnisse an eine fremde, feindliche Macht liefert.

Unter Obama hat dieses Gesetz leider wieder mehr Bedeutung erlangt. Es ist schon ein wenig paradox, dass die US-Regierung jemanden wegen Spionage verfolgt, der das Ausspionieren ihrer Bürger aufgedeckt hat. Es ist sehr fraglich, ob das Verhalten Snowdens überhaupt unter Spionage fällt, denn er hat ja keiner fremden Macht Informationen geliefert und dafür ja auch keine finanziellen Vorteile erhalten. Er hat die Öffentlichkeit über ein Interview mit dem "Guardian" über einen Missstand informiert. Für mich ist er daher eher ein klassischer Whistleblower als ein Landesverräter.

tagesschau.de: Gerüchten zufolge soll Snowden noch auf dem Rollfeld in ein Fahrzeug der ecuadorianischen Botschaft gestiegen sein. Deshalb habe Russland ohnehin nicht auf ihn zugreifen können. Ist diese Begründung plausibel?

Ambos: Für Fahrzeuge von Diplomaten gilt nach Wiener Diplomatenkonvention genauso wie für Botschaftsgebäude der Grundsatz der Unverletzlichkeit der Mission. Das heißt, sie dürfen zwar angehalten und notfalls auch abgeschleppt, aber nicht durchsucht werden. Ein weitverbreitetes Missverständnis ist, dass sie extraterritorial seien. Das stimmt aber nicht. Selbstverständlich gehören auch Botschaften zum Territorium des Landes, in dem sie sich befinden. Aber es wäre andererseits eine Völkerrechtsverletzung, wenn eine Botschaft gestürmt würde. Andererseits muss sich ein Staat auch vor dem Missbrauch des Diplomatenrechts schützen können. Beispielsweise muss er eingreifen können, wenn innerhalb oder aus einer Botschaft heraus schwere Straftaten verübt werden.

Horst Kläuser, H. Kläuser, WDR Moskau, 26.06.2013 15:51 Uhr

"Eine Botschaft zu stürmen, wäre ein Präzedenzfall"

tagesschau.de: Das heißt, Julian Assange, der sich derzeit in der ecuadorianischen Botschaft in London aufhält, könnte im Kofferraum zum Flughafen gelangen und dann ausreisen?

Ambos: Das glaube ich nicht. Zwar könnte das Öffnen des Kofferraums dem Diplomatenrecht widersprechen, weil das als Durchsuchung gewertet werden könnte. Irgendwann müsste Assange aber ja das Fahrzeug wieder verlassen, um in ein Flugzeug zu kommen und spätestens dann würde er englischen Boden betreten und könnte festgenommen werden.

tagesschau.de: Wie verhält es sich generell mit dem diplomatischen Asyl: Könnte Assange unbegrenzte Zeit in der ecuadorianischen Botschaft bleiben?

Ambos: Rein rechtlich betrachtet gibt es gar kein diplomatisches Asyl. Asyl heißt ja, ein Drittstaat gewährt einer Person Zuflucht, die in ihrem Heimatland verfolgt wird. Nun hat sich aber der Begriff des diplomatischen Asyls für eine gewisse Praxis eingebürgert: Immer dann, wenn Personen in einer Botschaft Zuflucht vor Verfolgung suchen. Wie soll man dann den besonderen Schutzstatus der Botschaft mit den - eventuell ja legitimen - Strafverfolgungsinteressen eines Landes in Einklang bringen?

Wie der Fall Assange zeigt, ist das häufig nicht einfach zu lösen. Ecuador beruft sich auf die Unverletzlichkeit der Mission und die Briten akzeptieren das, obwohl sie Assange nach Schweden ausliefern müssten. Sie stürmen die Botschaft aber vor allem deshalb nicht, weil sie damit einen schlimmen Präzedenzfall schaffen würden, denn dann würden vielleicht auch ihre Botschaften in anderen Staaten gestürmt.

Ein auch radikales, aber völkerrechtskonformes Mittel wäre, die diplomatischen Beziehungen völlig abzubrechen. In diesem Fall würde man alle Botschaftsangehörigen zur persona non grata erklären und ausweisen. Aber das würde Ecuador dann wohl umgekehrt genauso machen und an dieser diplomatischen Eskalation hat Großbritannien sicher kein Interesse. Rein rechtlich gäbe es schließlich noch die Möglichkeit, den Fall an den Internationalen Gerichtshof zu geben und ihn entscheiden zu lassen. Aber das setzt voraus, dass beide Staaten dies einvernehmlich tun - und das wollen die Ecuadorianer wohl nicht. Die Briten werden also vermutlich einfach abwarten nach dem Motto: "Irgendwann muss Assange ja da mal raus kommen".

Das Interview führte Sandra Stalinski, tagesschau.de