München Was über den vereitelten Anschlag bekannt ist
Einen Tag nach dem Anschlagsversuch in München deuten immer mehr Hinweise auf eine islamistische Gesinnung des Täters. Was inzwischen über die Tat bekannt ist und wie die Politik reagiert - ein Überblick.
Was ist passiert?
Am Donnerstagvormittag gegen neun Uhr fiel Polizisten im Münchner Viertel Maxvorstadt ein junger Mann auf. Ein Handyvideo, das kurz nach der Tat im Internet auftauchte, zeigt, dass er mit einer Repetierbüchse mit aufgesetztem Bajonett bewaffnet war - einer Waffe wie man sie im Ersten Weltkrieg verwendet hat.
Der Mann soll gezielt auf die Polizisten geschossen haben, wie Bayerns Innenminister Joachim Herrmann nach der Tat mitteilte. Die Polizeikräfte erwiderten das Feuer, insgesamt seien fünf Polizisten an dem Schusswechsel beteiligt gewesen. Der Verdächtige wurde dabei getroffen und schwer verletzt. Er starb noch vor Ort infolge seiner Verletzungen. Abgesehen von dem Schützen wurde laut Polizei niemand verletzt.
Innerhalb kürzester Zeit waren etwa 500 Polizistinnen und Polizisten im Einsatz, um die Münchner Innenstadt abzusichern. Nach wie vor sind Bereiche rund um den Tatort für die Spurensicherung der Polizei abgesperrt. Die Straßen seien von den Sperrungen aber nicht betroffen, teilte die Polizei am Freitagmorgen mit.
Warum gehen Behörden von einem versuchten Anschlag aus?
Zum einen ist die Lage des Tatorts brisant. In der Nähe liegen das NS-Dokumentationszentrum, das israelische Generalkonsulat und das Amerika-Haus.
Zum anderen fiel auf den Donnerstag der 52. Jahrestag des Attentats auf die israelische Mannschaft bei den Olympischen Spielen in München. Bei dem Terroranschlag hatten am 5. September 1972 palästinensische Terroristen im Olympischen Dorf zwei Männer erschossen und neun Geiseln genommen. Rund 18 Stunden später endete ein Befreiungsversuch mit dem Tod der neun israelischen Geiseln, eines Polizisten und von fünf der Attentäter.
Aufgrund dieser Umstände und infolge erster Informationen zu dem Täter hat die Zentralstelle zur Bekämpfung von Extremismus und Terrorismus federführend die Ermittlungen zu dem mutmaßlichen Anschlagsversuch übernommen.
Was ist über den Täter bekannt?
Bei dem Täter soll es sich um den Österreicher Emra I. handeln, geboren 2006 in Österreich, zuletzt wohnhaft in Neumarkt im Salzburger Land. Nach dem mutmaßlichen Anschlagsversuch wurde sein Wohnort durchsucht. Zahlreiche Beamte rückten nach Neumarkt am Wallersee aus, um Beweise und Spuren zu sichern.
Nach Recherchen von WDR, NDR, Süddeutsche Zeitung und dem österreichischen Nachrichtenmagazin Profil soll Emra I. aus einer bosnischstämmigen Familie stammen und im vergangenen Jahr den österreichischen Behörden wegen möglicher islamistischer Radikalisierung aufgefallen sein. Der 18-Jährige war demnach 2023 wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung angezeigt worden, daraufhin wurden Ermittlungen eingeleitet. Den Sicherheitsbehörden in Deutschland war er den Recherchen zufolge bislang nicht als radikaler Islamist bekannt.
Was wussten die österreichischen Behörden?
Gegen den Schützen lagen nach Angaben der Staatsanwaltschaft Salzburg trotz Ermittlungen keine Beweise in Bezug auf Radikalisierung oder islamistische Propaganda vor. Wie die Behörde mitteilte, bewegte sich der 18-Jährige in der Vergangenheit nicht in islamistischen Kreisen. Laut Staatsanwaltschaft bestand der Verdacht, dass er Mitschüler bedroht hatte, wobei es angeblich zu einer Körperverletzung kam.
Weiter wurde dem Verdacht nachgegangen, dass der Täter sich für Anleitungen zum Bombenbau interessiert und sich an einer terroristischen Vereinigung beteiligt haben könnte, in dem er in einem Online-Spiel islamistische Gewaltszenen darstellte. Diese Vorwürfe betrafen den Zeitraum 2021 bis 2023. Ermittler durchsuchten deshalb damals den Wohnort des Jugendlichen im Salzburger Land und stellten Datenträger sicher. Auf seinem Mobiltelefon sei aber kein relevantes Material gefunden worden, berichtete die Justizbehörde.
Auf seinem PC befanden sich demnach drei Videos aus einem Computerspiel, die der damals 14-Jährige aufgenommen hatte. Sie zeigten Szenen mit islamistischen Inhalten. Nur auf einem dieser Videos seien Symbole der islamistischen Gruppe HTS zu sehen gewesen, hieß es. Nachweise für die Verbreitung der Videos wurden nicht gefunden. Das Spielen eines solchen Computerspiels und das Nachstellen von islamistischen Gewaltszenen habe in diesem Fall nicht den Tatbestand der Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung erfüllt, hieß es.
Ermittlungen im Umfeld des Verdächtigen hätten auch keine Schlüsse darauf zugelassen, dass sich der Beschuldigte in radikal-islamischen Kreisen bewegt oder sehr religiös gelebt habe. Der Jugendliche lebte laut Staatsanwaltschaft "mit verhältnismäßig wenig sozialen Kontakten". Weitere Gegenstände oder Daten mit Bezug zum "Islamischen Staat" oder zu Bomben wurden ebenfalls nicht gefunden. Deshalb seien die Ermittlungen im April 2023 eingestellt worden.
Wie reagiert die Politik?
Parteiübergreifend verurteilten Politikerinnen und Politiker den mutmaßlichen Attentatsversuch und riefen zum Schutz von israelischen Einrichtungen und einem harten Kampf gegen Islamismus auf.
Bundeskanzler Olaf Scholz betonte, "Antisemitismus und Islamismus" hätten in der Gesellschaft keinen Platz. Ähnlich äußerte sich auch Bundesaußenministerin Annalena Baerbock.
Israels Staatspräsident Izchak Herzog sprach von einem "Terroranschlag" und dankte den Einsatzkräften der Polizei für ihr schnelles Eingreifen.
Die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, Charlotte Knobloch, warnte, dass sich das "Unsicherheitsgefühl nicht nur in der jüdischen Gemeinschaft" nochmals zu verfestigen drohe. Darum müsse der "gewalttätige Extremismus wieder aus dem öffentlichen Raum zurückgedrängt werden, alles andere wäre das Ende unserer offenen Gesellschaft".
Bayerns Innenminister Joachim Herrmann kündigte an, dass seine Regierung mögliche Präventionskonzepte prüfen werde, um Fälle von Radikalisierungen schneller erkennen zu können. Als direkte Konsequenz aus dem Anschlagsversuch drängte der CSU-Politiker darauf, eine umfassendere Vorratsdatenspeicherung zu ermöglichen, um Kontakte des Täters ermitteln zu können. Höhere Sicherheitsvorkehrungen für das diesjährige Oktoberfest hält Herrmann jedoch nicht für notwendig. Die Schutzmaßnahmen seien in den vergangenen Jahren ständig verstärkt worden. Dazu gehörten Schutzpoller, die Anschläge etwa mit LKW verhindern sollen, umfassende Zugangskontrollen, Sicherheitsdienste und viel Polizeipräsenz.
Peter Neumann, Terrorismusforscher am Kings College in London, kritisierte die fehlenden Kooperationsmöglichkeiten europäischer Behörden, um rechtzeitig auf mögliche Risiken reagieren zu können. Konkret bemängelte Neumann beim Kurznachrichtendienst X, dass es nach wie vor keine europäische Gefährderdatei gebe, auf die Polizeibehörden aller europäischen Staaten zugreifen könnten. "Wer Grenzen öffnet und einen gemeinsamen Bewegungsraum schafft (d.h. Schengen), der muss auch dafür sorgen, dass Sicherheitsbehörden reibungslos miteinander zusammenarbeiten", forderte Neumann.