Interview

ARD-Rechtsexperte Möller blickt zurück Abschalten mit der Stirnlampe

Stand: 25.11.2010 07:02 Uhr

Fast jede gesellschaftspolitisch umstrittene Frage landet irgendwann vor dem Verfassungsgericht. Und 25 Jahre lang war er mit dabei: Für die ARD berichtete Karl-Dieter Möller über Klagen und Urteile. Wie ihm Fliesen, Stirnlampen und Wildschweine dabei geholfen haben, erklärt er im Interview mit tagesschau.de.

tagesschau.de: Fast jeder weiß, dass Sie der ARD-Rechtexperte sind. Kaum einer weiß, dass Sie sich fürs Fliesenlegen begeistern. Inwieweit hat das eine mit dem anderen zu tun? In beiden Fällen handelt es sich ja um eine Art Puzzle, wenn man so will…

Karl-Dieter Möller: Das Fliesenlegen ist ein Ausgleich gewesen. Ich hab's gemacht, weil ich hier in meinem Beruf tagtäglich so viel gelesen, so viel mit dem Kopf gearbeitet habe. Ich laufe aber auch viel. Abschalten, aber auch Sendungen konzipieren, kann ich am besten, wenn ich abends in der Dunkelheit mit Stirnlampe durch den Wald laufe und die Wildschweine verscheuche.

Zur Person
Karl-Dieter Möller ist Leiter der ARD-Fernsehredaktion "Recht und Justiz". Für seine Berichterstattung wurde der Volljurist unter anderem mit dem Adolf-Grimme-Preis ausgezeichnet. Möller ist mit der Künstlerin Gabriele Möller-Kuhlmann verheiratet. Das Paar hat drei Kinder.

tagesschau.de: Sie selbst sind Volljurist. Hat es Sie nie gereizt, Recht zu sprechen anstatt über Rechtsprechung zu berichten?

Möller: Es hat mich ganz kurzzeitig gereizt, nachdem ich als Referendar bei einem Verwaltungsgericht war. Aber ich habe früh als Schülerzeitungsredakteur die Liebe zum Journalismus entdeckt. Ich habe neben Jura auch Publizistik studiert. Und ich habe neben dem Studium auch immer journalistisch gearbeitet. So verständlich wie die "Bild"-Zeitung, aber so korrekt wie "Süddeutsche Zeitung" oder "Frankfurter Allgemeine Zeitung" zu berichten, und das für den Normalbürger, der nicht so viel vom Recht versteht - das war mein Anliegen.

tagesschau.de: Ob Hans-Jürgen Papier, Wolfgang Hoffmann-Riem oder auch Paul Kirchhof - das sind Verfassungsrichter, die die Bundesrepublik durch ihre Urteile geprägt haben und dadurch auch selbst in Erscheinung getreten sind. Glauben Sie, dass die Richter in Zukunft noch stärker als Person von der Öffentlichkeit wahrgenommen werden?

Möller: Es gab immer einzelne starke Persönlichkeiten in den Senaten des Bundesverfassungsgerichtes. Für mich zählt der Richter Udo di Fabio dazu. Es gibt aber auch einige, die nicht so bekannt sind, obwohl sie Großes bewirkt haben. Wer kennt Frau Lerke Osterloh, die für die Verhandlung über die Wiedereinführung der Pendlerpauschale zuständig war? Diese weitreichende Entscheidung hat vielen Bürgern geholfen, ihr Geld zurückzubekommen. Der Grad von Öffentlichkeit hängt auch davon ab, welchen Gegenstand der Richter zu bearbeiten hat. Beispiel Europa: Darf der Euro eingeführt werden? Wie ist das mit dem Vertrag von Lissabon? Diese Dinge haben ihren Widerhall in der Öffentlichkeit gefunden. Kaum ein gesellschaftpolitisch umstrittenes Ereignis ist am Ende nicht hier in Karlsruhe gelandet.

Ich beispielsweise habe die Wende zwei Mal erlebt: Erst die politische im Fernsehen, aus der Ferne. Und dann ihre juristische Aufarbeitung hier am Bundesgerichtshof und am Verfassungsgericht über einen Zeitraum von zehn Jahren. Hier waren die Mauerschützen. Hier waren solche Leute wie der ehemalige Spionage-Chef Markus Wolf. Hier sind die Eigentumsfragen geklärt worden und auch die Entlassungsfälle von Bürgern mit Stasi-Vergangenheit. Manche Entscheidung hat mir auch zu schaffen gemacht, die sehr persönlich das Schicksal vieler Menschen betraf.

tagesschau.de: Und inwieweit haben Sie die persönlichen, die menschlichen Seiten dieser juristischen Koryphäen kennengelernt?

Möller: Zu manchen hatte man durchaus einen engeren Kontakt, wie ich zum ehemaligen Verfassungsgerichtspräsidenten Roman Herzog. Man kann es nicht "freundschaftlich" nennen, aber es war ein Verhältnis, das man normalerweise zum Präsidenten nicht hat. Es gab damals noch gar keine Pressestelle. Wenn ich also ein kurzes Interview brauchte, dann durfte ich auch mal am Wochenende in seine kleine Wohnung in Wiesbaden kommen. Dann haben wir auf den Ikea-Möbeln das Interview geführt. Da haben sich die Zeiten wirklich geändert.

"So etwas wie im Kachelmann-Prozess habe ich noch nie erlebt"

tagesschau.de: Haben sich die Zeiten zum Guten oder zum Schlechten geändert? Auch Staatsanwälte und Verteidiger wissen ja inzwischen die Regeln des Boulevards für sich zu nutzen.

Möller: Es ist in vielfältiger Weise schwieriger und offener geworden. Ich sehe zum Beispiel den Vorteil, dass wir Urteile live übertragen können, und das interessiert die Leute. Ich sehe aber auch die Tendenz, dass die Medien über den Boulevard schon bei den Ermittlungsverfahren so einsteigen, dass die Unschuldsvermutung zwar noch im Mund geführt, aber nicht mehr eingehalten wird. Und so etwas wie im Kachelmann-Prozess habe ich noch nie erlebt. Da habe ich schon "Bauchschmerzen". Ich befürchte, wir laufen da medial in die falsche Richtung, und auch die Justiz reagiert falsch.

tagesschau.de: Dem Bundesverfassungsgericht wird immer wieder und vermehrt vorgeworfen, man enge den Spielraum von Politik übermäßig ein. Teilen Sie diese Auffassung?

Möller: Das hat das Gericht in der Tat in verschiedenen Fällen gemacht. Das passierte häufig, wenn eine Problemstellung zum zweiten Mal verhandelt wurde. Beim ersten Mal haben die Richter noch die Leine lang gelassen. Beim zweiten Mal haben sie dann gemerkt: Die sind überhaupt nicht auf unser Urteil eingegangen. Dann wurden, vor allem bei Steuersachen, die Daumenschrauben angezogen. Aber sehr häufig spielt das Gericht den Ball zurück nach Berlin. Es sagt im Kern, was gemacht werden muss. Aber es sagt auch: Entscheiden muss im Endeffekt Berlin.

Die Fragen für tagesschau.de stellte Ute Welty.