Interview

Interview zur "Tornado"-Verhandlung in Karlsruhe Bis hierher und nicht weiter?

Stand: 27.11.2010 22:36 Uhr

Seit Anfang April sind Bundeswehr-Tornados in Afghanistan bereits im Einsatz und ab heute verhandelt das Verfassungsgericht auf Antrag der Linksfraktion darüber, ob dieser Einsatz überhaupt rechtens ist. Bislang räumten die Richter der Bundesregierung außenpolitisch immer einen großen Spielraum ein. Jetzt könnten sie erstmals Grenzen ziehen, sagt ARD-Rechstexperte Karl-Dieter Möller im tagesschau.de-Interview.

tagesschau.de: Welche Argumente führt die Linksfraktion für ihre Klage ins Feld?

Karl-Dieter Möller: Sie führt an, dass der Bundestag in seinen Rechten verletzt worden sei, weil die Bundesregierung schleichenden Änderungen des Nato-Vertrags immer wieder zugestimmt habe. Dafür hätte sie aber, nach Meinung der Linksfraktion, per Gesetz immer wieder die Zustimmung des Bundestages einholen müssen. Außerdem habe sich die Nato, die ursprünglich als Verteidigungsbündnis gegründet worden sei, zu einem offensiven Bündnis gewandelt.

tagesschau.de: Dieser Prozess ist aber im Prinzip schon seit den 90er Jahren zu beobachten. Was ist nach Ansicht der Kläger das qualitativ Neue am Tornado-Einsatz jetzt?

Möller: Die Kläger behaupten, dass dieser Tornado-Einsatz das Fass zum Überlaufen bringe. Die Eingliederung der Tornados in den von den USA im Süden Afghanistans geführten Krieg verwische die Unterscheidung zwischen dem Einsatz der Isaf, der ja dem Schutz der Bevölkerung und dem Wiederaufbau dient, und dem US-geführten Antiterrorkampf „Enduring Freedom“ im Süden des Landes. Damit gerate die Bundeswehr, die nur zur Friedenssicherung da ist, in die Gefahr, zu Kampfeinsätzen herangezogen zu werden. Unmittelbar beteiligt an "Enduring Freedom" sei sie bereits durch die Aufklärungsflüge.

Die Linksfraktion argumentiert, dass dies nicht nur eine unzulässige Ausweitung des Nato-Vertrages sei, der ja lediglich die Friedenssicherung vorsieht, sondern auch ein Verstoß gegen das im Grundgesetz verankerte Friedensgebot.

Der NATO-Vertrag
Die NATO versteht sich als defensive Allianz. Artikel 5 des Vertrages schreibt die Beistandspflicht fest: "Die Parteien vereinbaren, dass ein bewaffneter Angriff gegen eine oder mehrere von ihnen in Europa oder Nordamerika als ein Angriff gegen sie alle angesehen wird."

Seit dem Ende des Kalten Kriegs versucht das Bündnis, sich auf die veränderte Bedrohungslage einzustellen. So bekräftigten die NATO-Partner 1994 ihr Angebot, sich an "friedenswahrenden und anderen Operationen" zu beteiligen. Das strategische Konzept von 1999 formuliert die Bereitschaft der NATO, "zu wirksamer Konfliktverhütung beizutragen und aktive Krisenbewältigung zu betreiben, auch durch Krisenreaktionseinsätze". Dabei erwähnt das Konzept ausdrücklich, dass dies über den ursprünglich in Artikel 5 festgeschriebenen Verteidigungsauftrag hinausgeht.

Regierung: Vom Nato-Vertrag nicht abgewichen

tagesschau.de: Welche Argumente hat die Bundesregierung dagegen?

Möller: Sie sagt, dass der Nato-Vertrag heute die selben Ziele verfolge wie 1955. Seit 2001 sei allerdings die Bedrohung durch den internationalen Terrorismus dazugekommen. Man habe deswegen die sicherheitspolitische Analyse ändern müssen. Vom Gundgedanken des Nato-Vertrages, nämlich der Friedenssicherung, sei man dabei aber nicht abgewichen. Im übrigen werde in Afghanistan die Sicherheit Europas mit verteidigt. Man wolle verhindern, dass dort weiterhin Terroristen herangezogen würden, die später auch Deutschland gefährden könnten. Außerdem müsse die Bundesregierung außenpolitisch handlungsfähig sein, um in der Nato bündnisfähig und glaubwürdig zu bleiben.

tagesschau.de: Wie wahrscheinlich ist es, dass die Richter der Klage stattgeben?

Möller: Sie haben zu Anfang noch einmal betont, dass das Verfassungsgericht der Bundesregierung bisher großen Handlungsspielraum in außenpolitischen Fragen eingeräumt hat. Ich denke nicht, dass das Gericht dieses Mal von dieser Haltung abweicht. Aber ich nehme an, dass es deutlich machen wird, wann die Grenze erreicht ist, also wann viele kleine Schritte den großen Sprung ergeben, der durch die Verfassung nicht mehr gedeckt ist.

tagesschau.de: Nur mal angenommen die Richter würden der Klage der Linksfraktion stattgeben, müsste die Bundesregierung die Tornados dann aus Afghanistan abziehen?

Möller: Wenn das Urteil so fallen würde, müsste die Bundesregierung dafür sorgen, dass die Tornados nach Deutschland zurückkehren.

"Das Gericht wird Pflöcke einrammen"

tagesschau.de: Die Klage der Linksfraktion liegt ja schon seit Ende März vor. Ab heute verhandelt das Bundesverfassungsgericht. Eine Entscheidung soll aber erst im Frühsommer erwartet. Warum dauert es so lange bis zur Entscheidung? Immerhin sind die Tornados in Afghanistan bereits im Einsatz.

Möller: Es handelt sich hier um schwierige völkerrechtliche und grundrechtliche Fragen, die genau abgewogen werden müssen. Zudem gehe ich davon aus, dass das Gericht auch Pflöcke einrammen wird, wie sich die Bundesregierung in Zukunft bei internationale Verträgen verhalten muss. Sowas kann man nicht übers Knie brechen.

Die Fragen stellte Sabine Klein, tagesschau.de