Klimawandel und Baudenkmal Statik der Wormser Synagoge in Gefahr
Meterlange, tiefe Risse befinden sich in Teilen der Wormser Synagoge. Grund für die Probleme ist offenbar die Trockenheit des Bodens als Folge des Klimawandels. Das Gebäude soll nun mit behutsamen Methoden gerettet werden.
Erst einmal geht es über die Leitern eines Gerüsts ganz nach oben, ins Gewölbe der Wormser Synagoge. Architekt Jürgen Hamm zeigt dort, was die Stabilität des Baudenkmals gefährdet. Er deutet auf einen großen Riss: "Sie sehen, da kriege ich meine Hand rein in diesen Riss, der geht übers Gewölbe entlang, und deswegen ist es hier abgestützt mit Holzgerüsten."
Nicht nur für Laien sehen die Risse im Gewölbe und in Teilen der Wände des Sakralbaus beklemmend aus. "Solche Risse und Risssysteme sieht man nicht so oft, das ist auch wirklich ein Zeichen, ihr müsst jetzt unbedingt und sofort was machen", erklärt Architekt Hamm, der im Auftrag der Stadt Worms für die Restaurierung der Synagoge zuständig ist. Im schlimmsten Fall könnte sonst das Gewölbe einstürzen und die Nordwand wegkippen.
Auch von außen wird deutlich, wie tief die Wunde im Welterbe ist. Ein Riss im Hauptportal der Synagoge geht vom Gewölbe durch den Fensterbogen bis runter ins Fundament. Er ist meterlang und rund 80 Zentimeter tief. "Der Riss ist nicht nur außen, die Wand ist komplett durchgerissen", erklärt Hamm.
Seit 2021 UNESCO-Welterbe
Risse gibt es schon seit Längerem in der Wormser Synagoge, aber vor knapp drei Jahren wurden sie so groß, dass die Verantwortlichen tätig werden mussten. Mit Stahlträgern an den Außenwänden hat Architekt Hamm im Auftrag der Stadt die Synagoge sichern lassen. Dazwischen sind Stahlseile gespannt, die laufen durch das Innere des Baudenkmals und halten die Synagoge zusammen.
Seit Sommer 2021 gehört die Synagoge zum UNESCO-Welterbe. Schon im Mittelalter wurde in Worms ein erstes jüdisches Gotteshaus gebaut, nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Synagoge zuletzt wieder aufgebaut. Sie symbolisiert fast 1.000 Jahre jüdische Geschichte in Deutschland, also auch Verfolgung, Zerstörung und Wiederaufbau. Deshalb ist ihr Erhalt der jüdischen Kultusgemeinde auch besonders wichtig.
"Diese Zwiespältigkeit, zum einen zu sagen, es ist eine ungeheuer fruchtbare Geschichte, eine Symbiose, die viele, viele Blüten hatte und auf der anderen Seite die schreckliche Tragik. All das wird in diesem Gebäude sichtbar, und deshalb sind auch die Bemühungen, dieses Gebäude zu erhalten, für mich sehr notwendig", erzählt Peter Waldmann. Er ist stellvertretender Vorsitzender der Jüdischen Kultusgemeinde Mainz-Rheinhessen.
Die Wormser Synagoge muss derzeit abgesichert werden.
In Hitzeperioden verschlimmert sich die Situation
Trotz der Notsicherung durch Stahlträger und -seile müssen Architekt Hamm und die zuständige Denkmalbehörde die Risse in der Synagoge ständig im Blick behalten. Eine erste Beobachtung: In Hitze- und Trockenperioden verschlimmert sich die Situation. "Die Risse sind da tatsächlich größer geworden, sogar unglaublich schnell größer geworden, sodass wir auch ständig die Stahlseile nachspannen mussten", erklärt Hamm.
Die Ursache der Probleme wird unterhalb der Synagoge vermutet, ganz weit unten im Boden. Archäologen sind deshalb dabei, die verschiedenen Bodenschichten vorsichtig abzutragen. Das Mauerwerk, das dabei offengelegt wird, geht zurück bis ins Mittelalter. Hier werden sogar Überreste der ersten Synagoge aus dem Jahr 1034 vermutet.
Bettina Gransche von der zuständigen Denkmalschutzbehörde in Worms betont die Bedeutung der historischen Fundamente. "Das ist ein wertvolles historisches Bodenarchiv hier, das wir unbedingt erhalten müssen. Es erzählt auch die lange Geschichte von Zerstörung und Wiederaufbau."
Trockenheit als Ursache
Das sei ein Stück Geschichte, das hier freigelegt werde, sagt auch Jürgen Hamm. Was den Architekten aber vor allem interessiert, ist etwas anderes. Die Synagoge steht auf einer Lehmschicht. Und genau darin liegt wohl das Problem. "Wenn es sehr warm wird, schwindet die Lehmschicht, da wird sie kleiner, und wenn es feucht ist, quillt sie wieder auf. Das liegt am Lehm, der verändert sein Volumen." Bewegungen im Boden sind die Folge. Seit Monaten misst deshalb ein Sachverständiger die Feuchtigkeitswerte im Boden unterhalb der Synagoge und vergleicht sie mit den Rissbewegungen.
Georg Maybaum ist Professor für Geotechnik und kommt zu dem Ergebnis: Es gibt hier einen eindeutigen Zusammenhang. "Die Behauptung war ja, dass die Austrocknung des Bodens, die ja mit dem Klimawandel etwas zu tun hat, ein wesentlicher Einflussfaktor auf die Rissbildung in der Synagoge ist. Und ich denke, das kann man mit den Messungen schon beweisen." Der Boden sei mal trockener, mal feuchter, und das könne er in Korrelation setzen zum Vergrößern beziehungsweise Verkleinern der Risse in der Synagoge.
Georg Maybaum, Professor für Geotechnik, sieht einen Zusammenhang zwischen der Trockenheit und der Rissbildung.
Behutsam für die Zukunft sichern
Die Fundamente des Sakralbaus beispielsweise mit Beton zu stabilisieren, kommt aus Denkmalschutzgründen nicht in Frage. Das Welterbe verlangt nach einer schonenden Restaurierung. Eine Überlegung: ein gezieltes Bewässerungssystem. "Das kann man so machen, wie man es auch im Gartenbau kennt, eine Tröpfchenbewässerung", erklärt Maybaum. "Wenn der Boden feucht ist, hören wir auf und wenn der Boden trocken ist, gibt es noch ein paar Tröpfchen mehr."
Ob so das Statikproblem der Synagoge wirklich gelöst werden kann, wird sich frühestens im kommenden Jahr zeigen. Die Verantwortlichen in Worms wollen alles versuchen, um die Synagoge und ihre historischen Fundamente zu retten. "Nach dieser langen Geschichte aus Zerstörung und Wiederaufbau und der Shoa, diese Synagoge an den Klimawandel zu verlieren, das möchten wir natürlich nicht", sagt Bettina Gransche von der Unteren Denkmalschutzbehörde in Worms.
Die Not-Sicherungsmaßnahmen verschaffen der Stadt jedenfalls Zeit, das Welterbe behutsam für den Klimawandel zu rüsten. Eine Dauerlösung ist die Stahlkonstruktion aber nicht.