Kabinettsklausur in Meseberg Der Krieg, die Ampel und dennoch Harmonie
Es war das erste Mal, dass sich die Ampelkoalition eine längere Beratungszeit gönnte. Doch die 36-Stunden-Klausur der Bundesregierung in Meseberg kannte fast nur ein Thema.
Es dauerte gerade einmal elf Sekunden, bis auf der Abschlusspressekonferenz das Wort Zeitenwende fiel. Womit Bundeskanzler Olaf Scholz sogleich klarstellte, welches Thema die Ampel-Kabinettsklausur im Barockschloss Meseberg beherrschte: Der "brutale Angriffskrieg von Russlands Präsident Putin gegen die Ukraine", wie Scholz betonte. Dabei habe sich Putin jedoch vollständig verrechnet, bekomme er doch nun eine "stärkere NATO" und eine "einige Europäische Union".
Die EU schickt sich derzeit an, ein sechstes Sanktionspaket auf den Weg zu bringen. Ein Paket, das auch ein Embargo auf die Einfuhr russischen Öls enthalten dürfte - mit eingebauter Zeitverzögerung allerdings: Für ausreichend lang erklärte Wirtschaftsminister Robert Habeck diese Übergangsfrist, um in Deutschland Alternativen zu russischem Öl zu schaffen.
Gleichzeitig warnte der Grünen-Politiker schon mal vorab, bei einem Einfuhrstopp könnten die Preise deutlich steigen - es könnte bei der Versorgung auch hierzulande stocken.
Einfuhr von Flüssiggas
Um unabhängiger von russischen Energielieferungen - und damit auch weniger erpressbar - zu werden, will die Bundesregierung die Einfuhr von Flüssiggas vorantreiben.
Das Gesetz, um den Bau dafür notwendiger Terminals zu beschleunigen - das LNG-Beschleunigungsgesetz - wolle die Ampel nun bis Montag durch das Kabinett bringen, kündigte der Kanzler an. Noch vor der Sommerpause soll es Gesetz werden.
Grünes Licht für Sanktionen
Und noch ein zweites Vorhaben soll bis Anfang der Woche grünes Licht von der Ampel-Minister-Riege bekommen: das Sanktions-Durchsetzungsgesetz. Anders als der Name vermuten lässt, hapert es Kritikern zufolge eben bei der konsequenten Durchsetzung von Strafmaßnahmen gegen Einzelpersonen aus Russland und deren Vermögen.
Hier prüfe man ein neues Instrument, erläuterte Finanzminister Christian Lindner (FDP): Ob nämlich Personen, die auf Sanktionslisten auftauchen, zur Offenlegung ihrer Vermögenswerte verpflichtet werden könnten. Was die Sanktionierung zweifellos vereinfachen würde.
Eher bedeckt hielt sich das rot-gelb-grüne Trio Scholz-Lindner-Habeck vor der Presse beim Thema Entlastung für die Bundesbürgerinnen und Bundesbürger. Zwar befand FDP-Chef Lindner, man erlebe nicht nur eine sicherheitspolitische, sondern auch eine "ökonomische Zeitenwende". Doch im Kern verwiesen die drei auf jene Linderungspakete, die bereits auf den Weg gebracht sind.
Panzerhaubitze aus den Beständen?
Ebenfalls noch nicht endgültig entschieden ist laut Bundesregierung die Frage, ob man der Ukraine mit dem schweren Artilleriegeschütz Panzerhaubitze 2000 direkt aus Bundeswehr-Beständen helfen wird.
"Ich habe diese Entscheidung nicht getroffen", hatte Verteidigungsministerin Christine Lambrecht am Vormittag erklärt. Man stimme sich derzeit eng mit den Niederlanden über einen gemeinsamen Beitrag ab, ergänzte Kanzler Scholz, ohne hier konkreter zu werden.
Alles dreht sich um Russland
Selbst bei Themen, die oberflächlich betrachtet mit der Zeitenwende wenig zu tun zu haben, spielt Russland übrigens eine gewichtige Rolle: Das gilt auch für die zwei Bundeswehr-Einsätze im Sahel-Krisenstaat Mali. Dass die Deutschen einen von ihnen, nämlich die EU-Ausbildungsmission namens EUTM, nicht fortsetzen werden, stellten Außenministerin Annalena Baerbock und Verteidigungsministerin Lambrecht unmissverständlich klar.
Das hat auch mit der Anwesenheit russischer Kräfte in Mali zu tun: Würden die von Deutschland ausgebildeten malischen Soldaten mit denen in den Kampf gehen und dabei möglicherweise Menschenrechtsverletzungen begehen, sei das ein Unding, so Lambrecht.
Ihr Engagement im Rahmen der UN-Mission mit dem Namen MINUSMA will die Bundeswehr hingegen fortsetzen. Unter bestimmten Bedingungen allerdings: Die UN müssten die nötigen Voraussetzungen für die Sicherheit der deutschen Soldatinnen und Soldaten schaffen, so sieht es die Ampel.
Unter anderem gilt es, die Fähigkeiten der abziehenden Franzosen zu ersetzen, die neben Soldaten auch Kampfhubschrauber mit nach Hause nehmen.
Folgen des Kriegs
Auffälliger hätte der Kontrast kaum sein können: Im idyllischen Barockschloss Meseberg befasste sich die Ampel 36 Stunden lang fast ausschließlich mit den Folgen von Putins Angriffskrieg: Mit der nötigen Integration geflohener Ukrainerinnen und Ukrainer in den deutschen Arbeitsmarkt, mit der drohenden Nahrungsmittelknappheit aufgrund wegfallender Weizenexporte, mit der Inflation hierzulande.
Trotz der Schwere der Materie: Alle drei Koalitionspartner priesen anschließend die Atmosphäre innerhalb der Ampel. Endlich habe man mal wieder Zeit gehabt, "das große Bild zu malen", befand Habeck. Denn so aufbruchsmäßig wie bei Regierungsantritt geplant hätte die Stimmung in den letzten Monaten ja nie werden können, erklärte er. Und verwies damit darauf, dass sich die Ampel eigentlich von Anfang an im Dauer-Krisenmodus befand. Das Wort Zeitenwende musste er zur Beschreibung dieses Zustands gar nicht mehr in den Mund nehmen.