Rechtsextremismus bei Polizei "Strukturen verhindern Aufklärung"
Extremisten in der Polizei finden und bestrafen - das reiche nicht, sagt Polizeiwissenschaftler Behr angesichts der Vorfälle in NRW. Polizeistrukturen und Solidarität um jeden Preis verhinderten oftmals die Aufklärung, erklärt er im Interview mit tagesschau24.
tagesschau24: Der CDU-Innenexperte Armin Schuster sagt, es gelte in der Polizei nun hart auszumerzen, was da passiert. Wie muss das aus Ihrer Sicht aussehen?
Rafael Behr: Diese Reaktion ist sehr nachvollziehbar, aber auch sehr typisch - und wird oft gerade von konservativen Kreisen benutzt: Zu fordern, "hart auszumerzen" und "streng zu verfolgen". Da kommen solche Narrative zum Vorschein wie: "Jetzt wird mit eisernem Besen gekehrt, und dann ist die Welt wieder in Ordnung." Und diese Welt ist nicht in Ordnung.
"Es wird viel zu früh blockiert, wenn es um gute Aufklärung geht"
Es sind Strukturen zu beobachten, die Aufklärung gegenüber Extremismen verhindern - auch beim Rechtsextremismus. Die Polizei ist nicht durchgehend rassistisch. Aber es wird viel zu früh blockiert, wenn es darum geht, gut aufzuklären. Also nicht nur mal ein Interview zu führen. Insofern ist die strafrechtliche Komponente ein Mosaikstein. Aber es muss dringend auch an der Kultur der Polizei gearbeitet werden.
tagesschau24: Wenn Sie über die Kultur sprechen und über Strukturen, die verhindern, dass aufgeklärt wird - was meinen Sie konkret?
Behr: Beispielsweise der sogenannte "Code of Silence", der in der Polizisten-Kultur weit verbreitet ist: Dass man Kollegen nicht verrät, und zwar um keinen Preis. Dass man um jeden Preis Solidarität hält. Dies ist immer mit Gefahren verbunden. Normen, die im Alltag gut funktionieren können, sind auch dafür verantwortlich, dass keine Aufklärung stattfindet. Dass niemand "Stopp" sagt oder sich meldet, wenn er Kollegen sieht, die beispielsweise mit Nazi-Devotionalien zur Dienststelle kommen.
"Es gibt auch Strukturen dahinter"
Man muss individuell auf Menschen und deren Handlungen schauen, aber es gibt auch Strukturen dahinter: Weshalb kann ein Dienstgruppenleiter mit seinen Mitarbeitern über Jahre hinweg diese Dinge pflegen und tun, ohne dass die Umgebung etwas davon erfährt? Das muss doch gefragt werden - und zwar nicht nur für Mülheim oder für Essen, sondern für viele Organisationen in der Polizei.
tagesschau24: Sie sagen, zum Teil hätte dieser "Code of Silence" etwas Gutes. Aber was bedeutet er für diejenigen, die sich jetzt an einen Vorgesetzten wenden würden?
Behr: Genau das ist das Damoklesschwert für alle Polizisten. Einerseits sind sie rechtlich dazu verpflichtet, Straftaten anzuzeigen. Ansonsten machen sie sich selbst strafbar wegen Strafvereitelung im Amt. Andererseits gilt eben dieser Code der Verschwiegenheit in ihrer Solidargemeinschaft. Gerade die uniformierte Polizei bildet ja eine Gemeinschaft, die gemeinsam Gefahren bewältigen muss.
Da muss man sich aufeinander verlassen können und einander vertrauen. Wenn dieses Vertrauen aber auch für abweichende Situationen untereinander verlangt wird, dann ist es schwierig für den Einzelnen, sich an Vorgesetzte zu wenden. Weil die möglicherweise selbst involviert sind. Eine Reduktion auf konkrete Einzelfälle ist für die Aufklärung der Kultur in der Polizei kontraproduktiv.
"Externe Beauftragte außerhalb der Polizeilogik nötig"
tagesschau24: Wie kann man diese Kultur denn verändern? Gibt es Möglichkeiten, sich zum Beispiel anonym zu melden?
Behr: Nur in Einzelfällen. Es gibt beispielsweise in Hessen im Landespolizeipräsidium ein solches anonymes Hinweis-Telefon. In großer Zahl gibt es die noch nicht. Es ist auch nicht sehr bekannt in der Polizei. Wir müssten dringend über externe Beauftragte für die Polizei sprechen, an die sich Menschen wenden können. Extern bedeutet, dass sie nicht in die Logik der Polizei und nicht in deren Hierarchie eingebunden sind.
Und wir müssten auch in der Ausbildung dafür sorgen, dass wir beispielsweise wieder politische Bildung stärken, dass wir die Menschen sprechfähig machen. Mich interessieren vor allem diejenigen, die in der Umgebung der Täter sind - und die nichts sagen. Das hat Gründe. Und die müssen wir stärker untersuchen und nicht nur in Richtung Rassismus-Prophylaxe betrachten, sondern allgemeiner mit der Frage: Was ist gute Polizeiarbeit? Da müssen wir sehr viel mehr neutrale Forschung einsetzen.
tagesschau24: Sie forschen für die Polizei und sind in der Polizisten-Ausbildung tätig. Welche Rolle spielt denn bei Ihnen das Thema Rechtsextremismus?
Behr: Die Thematisierung verstärkt sich zwar in letzter Zeit, aber ansonsten spielt es eine geringere Rolle. Weil man nach wie vor fest davon überzeugt ist, zu den Guten zu gehören - dass einem so etwas selbst nicht passiert.
"Wir müssen den Stier bei den Hörnern packen"
Ich sehe an der Reaktion des nordrhein-westfälischen Innenministers, wie vorsichtig er damit umgeht zu sagen: Wir verlassen jetzt mal die Ebene der Einzelfälle und wenden uns dem Allgemeinen zu. Das ist auch das Klima in der Polizeiausbildung: Immer, wenn ich in meinem Unterricht beispielsweise mit diesen Gefahren ankomme und über Racial Profiling spreche. Oder über andere Dinge, die Polizisten belasten wie etwa Skandale aus früheren Zeiten. Dann sagen mir oft die Studenten: "Was wollen Sie denn? Wir sind doch die Guten, wir wollen doch in eine gute Polizei hinein."
Die Thematisierung ist schwierig und noch nicht übergreifend Konsens. Es hängt oft von einzelnen Personen ab, ob es geschieht. Aber es mehren sich auch die Stimmen unter den Vorgesetzten, die sagen: Wir müssen hier den Stier bei den Hörnern packen und richtig rangehen.
tagesschau24: Nun gibt es vor Antritt der Ausbildung bei der Polizei keine Gesinnungsprüfung. Wäre die notwendig - oder sehen Sie eher die Gefahr einer Radikalisierung während der Zeit, die die Beamten dann im Dienst verbringen?
Behr: Wir haben keine empirisch belastbaren Hinweise darauf, dass wir ein großes Potenzial von Menschen in die Polizei hineinbringen, die ausdrücklich rechtsextreme Gesinnungen haben. Man kann den Menschen natürlich nicht ins Gehirn oder ins Herz schauen.
"Keine Überlast von rechtsextremen Bewerbern erkennbar"
Das sind alles Prüfungen, die standardmäßig ablaufen. Unsere Erfahrung ist, dass wir keine Überlast von extremistischen Bewerbern haben. Es gibt erkennbare Dispositionen: Die Bewerber sind ordnungsorientiert und wertkonservativ, auch staats- und hierarchiebejahend. Es kann sich dann - möglicherweise durch eine Mischung von Kenntnissen aus dem Kollegenkreis und Arbeitsbedingungen in Brennpunktrevieren - so eine Radikalisierung entwickeln.
Die Ausbildung selbst ist aber ein wichtiger Punkt, an dem Vorbeugung betrieben und Bewusstsein geschaffen werden kann. Aber dafür brauchen wir auch Profis, die das können. Ich spreche hier zum Beispiel von einer Verstärkung der Anti-Rassismus-Trainings oder überhaupt von Trainings, in denen Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte sozusagen am eigenen Körper lernen, wie es ist, zu einer Minderheit zu gehören.
Das Interview führte Julia-Niharika Sen, tagesschau24.
Das Interview wurde für die schriftliche Fassung redigiert und leicht gekürzt. Das vollständige Interview finden Sie als Video in dieser Meldung.