Grüne Bundestagsfraktion Mut für die Zukunft gesucht
Beim "Zukunftskongress" stellen die Grünen sich neu auf. Zum Neustart könnte gehören, mehr auf Wirtschaftskompetenz zu setzen - und noch mehr in die Mitte zu rücken. Dabei geht es vor allem um eine Personalie.
Grün strahlt das Wort "Kosmos" von den Wänden. Hier, in einem ehemaligen Kino in Berlin-Friedrichshain, wollen die Grünen den Neuanfang zelebrieren. Schon seit Wochen planen sie diesen "Zukunftskongress", jetzt steckt da mehr ungewisse Zukunft drin, als ihnen lieb sein kann. Ausgerechnet im "Kosmos" treffen sie sich - dort, wo Anfang des Jahres der Gründungsparteitag des Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) stattfand.
Schon der Ort hat Symbolkraft für die grüne Krise, schließlich hat das BSW bei den vergangenen Ostwahlen, je nach Bundesland, zwei bis vier Mal so viele Stimmen geholt wie die Grünen. Jetzt kann Wagenknecht sich aussuchen, ob sie überall mitregieren will.
Davor waren noch die Grünen in allen drei Ländern im Kabinett vertreten. Trotzdem heißt ihr Kongress, mit dem sie sich aufs Wahljahr 2025 vorbereiten, "Mut macht Zukunft". Es gibt immer wieder viel Applaus, als wollte sich die Partei auch selbst etwas Mut herbei klatschen.
"Keine One-Man-Show"
Optimismus und ganz viel Robert Habeck - ist das also schon das Rezept raus aus der Krise? Mit den jüngsten Personalentscheidungen wird die Parteizentrale ganz auf den Vizekanzler ausgerichtet, auf seinen Wahlkampf.
"Das wird keine One-Man-Show", beschwichtigt aus dem Realo-Lager Danyal Bayaz, grüner Finanzminister in Baden-Württemberg. Das würde nicht zur Partei passen. "Aber wir sollten auch nicht übertreiben bei der Teilung von Macht, bei der Skepsis gegenüber Macht", sagt Bayaz. Am Ende müssten "eine Partei und ihre Strukturen dem Spitzenkandidaten zuarbeiten".
Die Frage bleibt, wie viel Machtzentrum die Grünen rund um Habeck zulassen werden. Bislang entscheiden sie die wichtigsten Fragen in einer Sechser-Runde, die in Ampelkreisen fast schon berüchtigt ist. Die beiden Fraktionschefinnen, die beiden Parteivorsitzenden sowie Wirtschaftsminister Habeck und Außenministerin Annalena Baerbock sind dabei. Das seien oft mühsame, nicht verlässliche Prozesse, lautete oft die Diagnose der Koalitionspartner, aber auch aus der eigenen Partei.
Alles auf Schwarz-Grün?
Wohin Habeck mit dieser Partei will, das hat er in diesem Sommer immer wieder gesagt: Seit die Union unter Friedrich Merz nach rechts gerückt sei, gebe es viele politisch heimatlose ehemalige Merkel-Wähler, so seine Analyse. Habecks Vision: "Eine Partei aus der Mitte heraus, die dieses Vakuum nach Angela Merkel nicht leer lässt, sondern dahin geht." Dafür müssten die Grünen also ein Stück nach rechts rücken - und dann alles auf Schwarz-Grün setzen?
CDU-Chef Friedrich Merz hat in den vergangenen Monaten eine schwarz-grüne Koalition immer wieder ausgeschlossen, sich aber eine Hintertür gelassen, durch die Habeck mit seiner Personalrochade jetzt hindurch geht: "Wenn die Grünen sich ändern, kann sich auch das noch einmal ändern", sagte Merz etwa im ARD-Interview. Eine neue Bundesspitze, verbunden mit einem neuen, noch pragmatischen Kurs - das könnte für Merz genug Raum bieten, um zu sagen: Jetzt geht es doch.
Wahlkampf mit stagnierender Wirtschaft
Das neue Führungspersonal soll offenbar auch den Themenfokus für das kommende Jahr verschieben. Die bisherige Co-Parteivorsitzende Ricarda Lang stand vor allem für Sozialpolitik, der scheidende Co-Vorsitzende Omid Nouripour hat sich als Außenpolitiker profiliert. Die Grünen erwarten nun einen Wahlkampf, in dem die stagnierende Wirtschaft in den Vordergrund rückt.
"Wir brauchen mehr Wirtschaftskompetenz in unserer Partei, gerade in Zeiten wie diesen, wo wir in einer Krise stecken", sagt Danyal Bayaz. Vor allem Franziska Brantner, Staatssekretärin im Wirtschaftsministerium, könne dort Stärken ausspielen, findet Bayaz. Auch Felix Banaszak, bislang in der Bundestagsfraktion Experte für Haushalt und Wirtschaft, steht für diesen Kurs.
Welche Themen wollen die Grünen noch ins Schaufenster stellen? Beim "Zukunftskongress" gibt es viele Gesprächsrunden und Workshops - aber keine davon befasst sich mit Migration. Baerbock zumindest will beim Kongressauftakt diese Leerstelle nicht offen lassen. "Wenn wir uns nicht trauen, uns dieser Debatte zu stellen, dann gewinnen die, die nicht auf dem Boden des Grundgesetzes stehen", sagt sie im großen Kinosaal.
Das Klimageld könnte die Linken versöhnen
Damit nimmt sie auch auf, welchen Wirbel Parteikollege Cem Özdemir zuletzt auslöste - auch in Parteikreisen. Özdemir hatte geschildert, dass seine Tochter und ihre Freundinnen von Männern mit Migrationshintergrund "unangenehm begafft" würden. Das empfanden manche bei den Grünen als Spiel mit Klischees. Baerbock sieht das anders: Dass Özdemir so etwas thematisiere, sei "gut und richtig", so Baerbock. "Wir sagen nicht: Manche Realitäten können wir ausblenden."
Migration wird aber sicher nicht das Hauptthema des grünen Wahlkampfes werden, so viel ist sicher. Eine Wahlkampfforderung, die man aus Parteikreisen immer wieder hört, ist die nach einer schnellen Einführung des Klimagelds. Bislang hängt das Instrument im FDP-geführten Finanzministerium fest, das an einer technischen Umsetzung arbeitet.
100 bis 150 Euro pro Person jährlich, so hoch könnte das Klimageld laut Experten sein - als Ausgleich für steigende CO2-Preise, die etwa auf Gas oder Öl zu zahlen sind. Dieses Instrument finden auch linke Sozialpolitiker wichtig. Sie wären so vielleicht mit einem Realo-Wahlkampf des Habeck-Lagers für den Moment versöhnt.