Habeck zur Ampelkoalition "Nicht weglaufen, weil es schwierig ist"
Vizekanzler Habeck sieht in dem Rücktritt der Grünen-Chefs Lang und Nouripour die Chance für einen Neustart. Neuwahlen schloss er in den tagesthemen aus. Die Situation sei zwar schwierig, aber die Ampel habe noch viel zu tun.
tagesthemen: Vor allem der Dauerstreit in der Ampel ist für viele der große Frustfaktor. Hätten deshalb nicht Sie als grüner Vizekanzler zurücktreten müssen und nicht der Bundesvorstand?
Robert Habeck: Es war ein sehr aufwühlender Tag für uns alle. Und Ricarda Lang und Omid Nouripour haben mit ihrem Schritt große Verantwortung auf sich genommen und damit uns, den Grünen, die Chance gegeben, noch mal einen Neustart hinzulegen. Und diesen Neustart, den werden wir auch hinlegen. Dafür ist die Partei jetzt wild und fest entschlossen. Und natürlich müssen wir das auch tun, weil Omid Nouripour und Ricarda Lang uns diese Chance gegeben haben. Die dürfen wir ja nicht verspielen.
Die Regierungstätigkeit ist etwas anderes. Man läuft ja aus einem Amt nicht einfach weg, weil die Umstände schwierig sind. Aber für die Partei haben wir jetzt eine wirklich große Chance.
tagesthemen: Sie sprechen von Chance - hinter den Kulissen heißt es allerdings, Sie hätten vor allem Ricarda Lang vorgeworfen, für die schlechten Wahlergebnisse verantwortlich zu sein, auch weil sie für das Image der grünen Bevormundung stünde. Wie wollen Sie dieses Image loswerden? Es reicht ja nicht, zwei Leute auszutauschen.
Habeck: Erst einmal möchte ich sagen, dass Politik natürlich häufig ein hartes und undankbares Geschäft ist. Und Omid Nouripour und Ricarda Lang noch einmal, ich wiederhole, etwas Ungewöhnliches getan haben in diesem unbarmherzigen Geschäft: Nämlich große Verantwortung auf sich genommen haben.
Verantwortung, die natürlich wir alle tragen - ich auch, selbstverständlich. Und die werde ich auch so ausüben, dass wir, wenn wir auf einen Parteitag gehen und über eine mögliche Kandidatur reden, auch da eine ehrliche Debatte haben. Über eine mögliche Kandidatur sollten wir in einer geheimen Wahl entscheiden, sodass wir ehrlich und offen miteinander reden. Das ist unsere Tradition und unsere Kultur. Mit diesem Schritt ist heute noch einmal unterstrichen worden, was das für eine tolle Partei ist, die zu ihren Prinzipien steht und wo die Menschen bereit sind, ganz ungewöhnliche Schritte zu gehen.
Für die Grünen kann man sagen, dass der Weg ist, wieder dicht an die Menschen heran zu kommen. Durch den Streit in der Ampel und durch die schwierigen Krisen, die wir bewältigen mussten, ist Politik manchmal etwas technisch rübergekommen. Unser Auftrag ist Klimaschutz, aber auch eine Gesellschaft, die zusammenhält. Das ist der Auftrag, der aus diesem heutigen Tag herausgeht und den werden wir erfüllen.
"Ich leugne nicht, dass die Umstände schwierig sind"
tagesthemen: Die Grünen liegen in den letzten Umfragen bundesweit zum ersten Mal seit Jahren nur noch bei unter zehn Prozent. Ein neuer Bundesvorstand mit neuen Gesichtern soll also nun für neue Begeisterung sorgen. Die haben doch gar keine Chance, wenn sich ansonsten nichts ändert.
Habeck: Das habe ich ja gerade gesagt. Natürlich sind wir in einer Regierungskonstellation, die die notwendigen und teilweise über Jahrzehnte nicht angegangenen Aufgaben angegangen ist. Alle wissen, dass es leichter ist, die Dinge nicht anzugehen, und Normalität, Stabilität mitunter erkauft wird über den Preis, dass man die Voraussetzungen von dieser Normalität gar nicht mehr erkennt.
Jetzt sehen wir, dass die Brücken bröseln, dass die Stromnetze nicht ausgebaut sind, dass wir in der Digitalisierung zurückhängen - und das muss alles angegangen werden. Und das bedeutet natürlich eine große Kraftanstrengung für ein Land, zusätzlich zu all den anderen Krisen, die noch dazugekommen sind.
Ich leugne nicht, dass die Umstände schwierig sind, aber wir haben uns dem vollumfänglich gestellt. Um diese Aufgaben zu bewältigen, sind wir vielleicht ein bisschen weit weggegangen vom Erklären der Politik - vom direkten Kontakt. Aber die Menschen sind ja da, sie wollen nach vorne gehen. Die Unternehmen wollen investieren. Klimaschutz ist für die Menschen da und nicht ein abstraktes Gebilde, wie wir es jetzt in letzter Zeit eingeredet bekommen haben. Und das ist der Auftrag, der von diesem Tag ausgeht.
Habeck gegen vorgezogene Neuwahlen
tagesthemen: Herr Habeck, das klingt alles, als wären da viele Ideen. Allerdings ein Neuanfang, der ist in dieser Situation natürlich schwierig. Wäre es nicht weitaus ehrlicher, auch aus der gesamten Ampel-Regierung auszusteigen und da einen Neuanfang zu wählen? Also Neuwahlen?
Habeck: Das empfinde ich als das Gegenteil von ehrlich. Ich finde, man muss einen Job, den man angefangen hat, zu Ende bringen wollen. Und wir sind noch lange nicht zu Ende. Wir müssen diesen Haushalt fertig machen. Wir haben Gesetze jetzt noch nicht abgeschlossen.
Ich werde darauf hinwirken, dass der Auftrag, der uns gegeben wurde, zu Ende gebracht wird. Also, dass diese Legislatur vernünftig zu Ende gebracht wird. Aber natürlich für die Partei, für den Wahlkampf ist dieser Tag heute ein Auftrag. Ein Auftrag, nach vorne zu gehen und die eigene Leidenschaft, die eigenen Ideen noch mal klarer herauszuarbeiten und ins Schaufenster zu stellen.
tagesthemen: Wenn es um die eigenen Ideen geht, ist es in der bisherigen Ampelkoalition ja durchaus alles andere als harmonisch gelaufen. Nach der Wahl in Brandenburg hat FDP-Parteichef Christian Lindner ja schon von einem "Herbst der Entscheidungen" gesprochen. Das haben viele als Ultimatum aufgefasst. Wie sehr wollen Sie sich von der FDP denn noch vor sich hertreiben lassen?
Habeck: Ich sehe das nicht als vor uns hertreiben lassen. Man muss das einmal ein bisschen auseinanderklamüsern. Das ist ja nicht so schwer. Meine Partei, Bündnis 90/Die Grünen, hat in dieser Regierung sehr viel Verantwortung gezeigt. Wir haben den Kompromiss immer wertgeschätzt. Das stimmt, dass wir dann dafür kritisiert wurden, Kompromisse einzugehen. Andere sagen, wir gehen nicht genug Kompromisse ein.
Aber wir haben da eine klare Linie: Die Aufgaben, die notwendig sind, für die wir gewählt werden, müssen pragmatisch angegangen und gelöst werden - mit den Möglichkeiten, die wir haben, mit den politischen Mehrheiten, die nun mal da sind.
Aber man darf nicht weglaufen, nur weil es ein bisschen schwierig ist. Jetzt beginnt dann mit dem Tag heute vielleicht eine nächste Phase, wo wir jenseits der Regierungstätigkeit die eigenen Vorbereitungen für den Wahlkampf, nachdem die Wahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen nun vorbei sind, wirklich beginnen und damit das Profil, das uns ja auch auszeichnet, wieder stärker herausarbeiten werden.
Das Gespräch führte Julia-Niharika Sen in den tagesthemen. Für die schriftliche Fassung wurde das Interview überarbeitet.