Bundeswehr-Pläne von Pistorius Bei Antwort (vielleicht) Wehrdienst
Große Pläne hatte Verteidigungsminister Pistorius für die neue Wehrpflicht. Durch "limitierende Faktoren" ist davon am Ende ein Fragebogen übrig geblieben. Reicht der freiwillige Auswahl-Wehrdienst?
Von "limitierenden Faktoren" sprach Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius mehrfach, als er in Berlin sein Konzept "Neuer Wehrdienst" präsentierte. Mit den Faktoren, die Grenzen setzen, meinte er die Ausbildungskapazitäten der Bundeswehr. Von den Grenzen des politisch Machbaren sprach der Minister nicht.
Monatelang arbeitete das Verteidigungsministerium an dem nun vorgelegten Konzept. Immer wieder sprach Pistorius in dieser Zeit davon, dass eine veränderte Bedrohungslage auch eine neue Form der Bundeswehr-Rekrutierung erfordere. Wichtig dabei, das machte der Minister klar, sei die Planbarkeit für die Truppe.
Keine Mehrheiten für größere Pläne
Die Bundeswehr sollte sicher sein können, dass sie pro Jahr die Anzahl an neuen Rekruten bekommt, die sie benötigt. Um das sicherzustellen, sollte ein neues Wehrdienst-Modell aus Sicht von Pistorius auch eine verpflichtende Komponente enthalten. Der Verteidigungsminister outete sich als Fan des schwedischen Wehrpflicht-Modells. Dort wird auf Freiwilligkeit gesetzt. Doch Schweden kann auch verpflichtend einziehen.
Gegen einen Wehrdienst, der auch auf Pflicht setzt, gab es in der Regierungskoalition aber Widerstand. Minister Pistorius musste einsehen, dass er dafür in der Ampel im Allgemeinen und in seiner eigenen Partei, der SPD, sowie dem Kanzleramt im Besonderen keine Mehrheiten bekommt.
Wie der Auswahl-Wehrdienst funktionieren soll
Was Pistorius nun vorgestellt hat, ähnelt dem Schweden-Modell, kommt aber ohne Pflicht aus. Die einzige Pflicht, die sich im deutschen Wehrdienst-Konzept findet, ist die, dass junge Männer den Fragebogen, den sie mit 18 bekommen, ausfüllen müssen. Verpflichtend ist außerdem der Musterungstermin, wenn sie eingeladen werden.
Auswahl-Wehrdienst nennt man das im Bundesverteidigungsministerium. Anschreibe-Berechtigung trifft es auch. Die Fragebögen sollen an alle 18-Jährigen eines Jahrgangs gehen - an Männer und Frauen. Die jungen Männer müssen antworten. Frauen können es tun, sind dazu aber nicht verpflichtet. Die Bundeswehr-Personalplaner wollen in den Fragebögen auch wissen, ob man sich einen Dienst in den deutschen Streitkräften vorstellen kann. Sie gehen von rund 400.000 jungen Männern pro Jahrgang aus und erwarten, dass jeder Vierte davon Interesse an einem Dienst an der Waffe haben könnte. 40.000 Personen sollen dann zur Musterung eingeladen und nur 5.000 schließlich eingezogen werden. Dafür, ist Pistorius überzeugt, wird man genügend Freiwillige finden. Und wenn nicht?
Reicht Freiwilligkeit aus?
Daran, dass sich das Rekrutierungsproblem der Bundeswehr so lösen lässt, zweifeln Experten und auch Fachpolitiker im Verteidigungsausschuss des Bundestages. Denn anders als es der Bundeskanzler vor ein paar Wochen darstellte, ist das Problem nicht überschaubar. Es geht nicht darum, die Lücke von 20.000 Soldatinnen und Soldaten zu füllen, wenn die Truppe in den nächsten Jahren von 180.000 auf rund 200.000 Männer und Frauen anwachsen soll.
Schon um den jetzigen Personalbestand zu halten, braucht die Bundeswehr ein verlässliches Rekrutierungsinstrument. Außerdem soll mittel- bis langfristig auch die Zahl der Reservisten stark steigen. Die Bundeswehr braucht qualifizierte Zeit- und Berufssoldaten. Über den Wehrdienst hofft man mehr Interessenten für eine längere oder sogar dauerhafte Verpflichtung zu gewinnen. Lässt sich das mit einem Wehrdienst-Modell erfüllen, das vor allem auf Freiwilligkeit setzt?
"Kleinster gemeinsamer Nenner"
Auch die NATO-Anforderungen an die Bundeswehr werden angesichts der russischen Bedrohung zunehmen. Der aktuelle Vorschlag ist für Oberstleutnant Marcel Bohnert vom Bundeswehrverband ein "erster Schritt", der "kleinste gemeinsame Nenner", der der Truppe aktuell erstmal weiterhilft. Allerdings stehe am Ende, an der NATO-Ostflanke, "ein russischer Gegner, der 40 Prozent seines Haushalts in Kriegswirtschaft investiert, seine Depots auffüllt und über dessen Absichten wir nicht hundertprozentig im Klaren sind."
Wenn sich mit dem neuen Wehrdienst am Ende nicht genügend Freiwillige finden lassen, muss dann doch verpflichtet werden? Wie lässt sich das mit der Wehrgerechtigkeit vereinbaren und braucht es dann nicht auch die Möglichkeit der Verweigerung und damit verbunden einen Ersatzdienst? Was Minister Pistorius nun vorgelegt hat, gibt auf diese Fragen nur bedingt Antworten. Im Entwurf für die nötigen Gesetzesänderungen wird das Bundesverteidigungsministerium konkreter werden müssen. Die ersten Reaktionen aus dem Verteidigungsausschuss machen klar: Ein Selbstläufer wird der Entwurf im Bundestag nicht werden. In allen drei Ampelfraktionen gibt es Zweifel und Skepsis.
Wichtige Daten über den potentiellen Nachwuchs
Dennoch ist es richtig, dass Boris Pistorius eine neue Grundlage für die Bundeswehr-Rekrutierung anstrebt und den Prozess mit der Vorlage seines Konzeptes nun vorantreibt. Mit der bisherigen Praxis sind die Personalsorgen der deutschen Streitkräfte nicht zu lösen.
Außerdem erhält das Ministerium über die Fragebögen wichtige Daten, die sogenannte Wehrerfassung, die bisher völlig fehlt. Die nun vorgestellten Pläne sind allerdings auch aus Sicht des Ministers nur der Anfang für die Konzeption eines neuen Wehrdienstes. Gut möglich, dass eine allgemeine Dienstpflicht in größerem Ausmaß nötig ist. Er glaube, dass eine allgemeine Dienstpflicht mittelfristig kommen werde, sagte nun der SPD-Bundestagsabgeordnete Joe Weingarten nach der Präsentation des Pistorius-Konzeptes im Verteidigungsausschuss.
"Wir werden sehen, ob das die Zahlen bringt. Es gibt auch bei den Sozialdemokraten viele, die am Ende aus grundsätzlichen aber auch aus militärischen Erwägungen für eine Dienstpflicht sind", betonte Weingarten. Der parlamentarische Weg für eine solche Pflicht wird aber voraussichtlich lang. Soll sie zeitgemäß sein, wird sie Männer und Frauen umfassen müssen. Dafür müsste das Grundgesetz geändert werden. Die Rekrutierungssicherheit der Bundeswehr wird die Politik wohl über die Amtszeit dieser Bundesregierung hinausbegleiten.