Programme zu Landtagswahlen So viel Wagenknecht steckt im BSW auf Landesebene
Andere Parteien nennen sie eine "Blackbox". Doch die Wagenknecht-Partei BSW macht längst klar, wofür sie in Thüringen, Sachsen und Brandenburg steht. Experten raten zu sachlicher Kritik.
Die Stimmung im Saal fasst der Kandidat für Listenplatz elf zusammen. "Wir kriegen garantiert irgendwelche Ministerien", sagt Theaterregisseur Reinhard Simon in seiner Bewerbungsrede.
Das "Bündnis Sahra Wagenknecht" Brandenburg hat kurz zuvor sein Programm für die Landtagswahl beschlossen. Die Diskussion der 31 anwesenden Mitglieder an diesem Samstagvormittag in einem Potsdamer Hotel fiel kurz aus. Auch die Wahl der Landesliste geht zügig über die Bühne.
Im September wählen Brandenburg, Sachsen und Thüringen neue Landtage. Bei der Europawahl erreichte die Wagenknecht-Partei hier zweistellige Werte. In Umfragen steht sie zwischen 13 und 21 Prozent. Eine Regierungsbeteiligung scheint wahrscheinlich. Da kommt es nun auch auf die Inhalte und das Personal vor Ort an.
Landeschef und Spitzenkandidat Robert Crumbach, ein Arbeitsrichter und Ex-SPD-Mitglied, nennt als Ziel, "die Politik und die Menschen in Brandenburg wieder zusammenzuführen".
Diplomatische Initiativen und Corona-Aufarbeitung
Das Programm dafür ist offenbar wie die Kandidatenliste mit der Bundesspitze abgestimmt. Die Papiere aus Brandenburg, Sachsen und Thüringen sind über weite Strecken deckungsgleich oder zumindest ähnlich. Für die nötige Abstimmung war im Frühjahr sogar ein Landesparteitag in Sachsen verschoben worden.
Nun heißt es in jedem Programm, eine Stimme für die CDU bei der Landtagswahl sei "auch Rückenwind für Friedrich Merz im Bund". Der wolle Deutschland tiefer in den Ukraine-Krieg hineinziehen. Das BSW hingegen sieht sich als "Friedenspartei" und will aus den Ländern heraus Druck für deutsche diplomatische Initiativen aufbauen.
Um Migration einzudämmen, fordert das BSW mehr Abschiebungen - vor allem von Straftätern -, mehr Deutschkurse und die bereits eingeführte oder in Einführung befindliche Bezahlkarte für Asylbewerber.
Kinder sollen in den Schulen länger gemeinsam lernen. Die Nutzung von Smartphones und Tablets soll ihnen in der Grundschule untersagt werden. Das Mittagessen in Kindergärten und Schulen soll kostenlos werden.
Für alle Länder fordert das BSW eine "bürgernahe und gut ausgestattete Polizei". Die Partei will zudem die Arbeit der Landesbehörden für Verfassungsschutz begrenzen. Ziel sei es, "das Sicherheitsgefühl der Bürger gegenüber Bespitzelung und Manipulation zu steigern".
Das zielt auf die Corona-Proteste, während derer der Verfassungsschutz unter einzelnen Aktivisten und Organisation die Absicht ausgemacht hatte, die demokratische Ordnung als solche zu bekämpfen.
Der Finanzausgleich zwischen Ländern und Kommunen soll reformiert werden. Alle drei Landesverbände wollen eine Bundesratsinitiative zur Wiedereinführung einer Vermögenssteuer "für Multimillionäre und Milliardäre" starten. Das wäre dann möglich, wenn das BSW Teil einer Landesregierung wird.
Unterschiede in Details
Es gibt allerdings Unterschiede. Die Forderung nach der Abschaffung der Kita-Gebühren findet sich nur im sächsischen und Brandenburger Programm. Beide wollen auch ein Schließungsmoratorium für Krankenhäuser. Die Thüringer hingegen sind offen für eine Umwandlung in medizinische Zentren nach Vorbild der DDR-Polikliniken.
Hinzu kommen Verweise auf lokale Begebenheiten. So zeigt sich das Brandenburger Programm im "Friedens"-Kapitel besorgt über die Einrichtung eines Luftabwehrsystems im Fliegerhorst Holzdorf. In Sachsen ist es wiederum die Entsendung von Bundeswehreinheiten aus sächsischen Standorten an die NATO-Ostflanke.
Wie weit das BSW dabei geht, zeigt das Vorwort, das Sahra Wagenknecht für die Programme geschrieben hat. In Sachsen und Thüringen, steht dort, sei eine Stimme für das BSW "eine Stimme für die konsequente Aufarbeitung der Fehler der Corona-Zeit durch einen Corona-Untersuchungsausschuss" im Dresdner bzw. Erfurter Landtag.
In Brandenburg, wo es einen solchen Ausschuss bereits gibt, schreibt Wagenknecht kurzerhand, eine Stimme für das BSW sei eine Stimme für einen Untersuchungsausschuss "im Bundestag".
Nerv in Ostdeutschland getroffen
Hans Vorländer, Politikwissenschaftler an der Uni Dresden, spricht von "schmückenden Beiworten" für die einzelnen Bundesländer. Insgesamt stehe Wagenknecht für eine eher nationalistische Migrationspolitik, eine fast sozialistische Sozialpolitik und für die Ablehnung jeglicher Ukraine-Unterstützung. "Das ist kein spezielles Programm für die ostdeutschen Länder, spricht aber bestimmte Gefühle dort an", sagt Vorländer.
Ähnlich sieht es Constantin Wurthmann von der Universität Erlangen. Für ihn setzt das BSW auf eine etwas stärkere Umverteilungspolitik für Besserverdienende und eine konservative Gesellschaftspolitik. In Ostdeutschland seien sozioökonomisch-linkere Haltungen und soziokulturell-konservativere Haltungen ausgeprägter. "Das BSW spiegelt das erstmal wider und kann so für sich mobilisieren", so Wurthmann.
Populistische Erzählungen
Sahra Wagenknecht selbst versucht die ostdeutsche Situation noch auf eine andere Weise zu bespielen. Auf dem Landesparteitag in Potsdam sagt sie, viele fühlten sich aktuell an die "Endzeit der DDR" erinnert. Die Menschen hier hätten "bereits erlebt, wie sich eine Wendezeit ankündigt und eine Industrie zusammenzubrechen droht". Auch deshalb ruhten so viele Hoffnungen auf ihrer Partei.
Es sind Töne, wie sie bislang von der AfD zu hören waren. Mit der teilt sich das BSW den Hang zum Populismus. Vorländer nennt als Beispiel dafür die Ukraine-Politik. Hier stelle Wagenknecht die Unterstützung der Ukraine generell infrage und spiele sie gegen Sozialausgaben aus. Populistisch sei auch die Forderung nach Corona-Untersuchungsausschüssen, da dieser bereits mit der Suggestion verbunden sei, "dass die fraglichen Maßnahmen hart an der Grenze der Legalität waren".
Für Wurthmann wiederum setzt das BSW zwar auf populistische Erzählungen, sei dabei aber nicht antidemokratisch.
Keine "Blackbox" mehr
Die politischen Mitbewerber erlauben sich weniger klare Urteile im Umgang mit dem BSW. Der thüringische CDU-Landeschef Mario Voigt etwa sprach wiederholt von einer "Blackbox". AfD-Bundeschefin Alice Weidel sagte, das BSW habe "kein bestehendes Programm". Auch aus anderen Parteien lautet der Tenor: Noch könne man kaum etwas über die Partei sagen.
Dabei sind nicht nur die Positionen von Wagenknecht bekannt. Der Brandenburger Landeschef Robert Crumbach sagt: "Jeder im Land weiß etwas mit dem Namen Sahra Wagenknecht anzufangen"- und jeder wisse, wofür sie stehe. Auch die Wahlprogramme für Sachsen und Thüringen sind seit Wochen öffentlich.
Politikwissenschaftler Vorländer sieht eine taktische Zurückhaltung bei anderen Parteien, weil sie das BSW als möglichen Kooperationspartner sehen. "Sie würden aber die eigene Position schwächen, wenn sie das jetzt offen aussprechen", so Vorländer.
Hinzu komme, dass dem BSW mit der AfD eine "bedrohlichere Alternative" zur Seite stehe. Dabei gebe es durchaus Ansatzpunkte für Kritik. "Sahra Wagenknecht hat bisher nicht gezeigt, dass sie des Regierens fähig ist", sagt Vorländer. Ihre Vergangenheit in der SED und PDS sei eindeutig marxistisch gewesen.
Constantin Wurthmann wiederum warnt vor überzogener Kritik. Das BSW wurde erst vor einem halben Jahr gegründet und sei momentan vor allem "eine maximale Projektionsfläche von Leuten, die unzufrieden mit dem Funktionieren unserer Demokratie sind". Alles, was über eine inhaltliche Kritik hinausschieße, sei da eher ein Geschenk für das BSW.