"Bündnis Sahra Wagenknecht" Eine Partei kontrolliert sich selbst
Kennenlerngespräche und Mitmachangebote: Im "Bündnis Sahra Wagenknecht" darf nicht jeder Mitglied werden. Die Partei setzt auf Vielfalt, doch eine Gruppe dominiert.
Kofi Klutse ist ein Mann, wie ihn das Bündnis Sahra Wagenknecht gesucht hat. Klutse ist Geschäftsmann, er betreibt ein Brillengeschäft in Berlin-Mitte. Noch wichtiger aber: Klutse, der Anfang der 1990er-Jahre aus Togo nach Deutschland kam, ist ein Politikneuling. Ein frisches Gesicht für eine frische Partei also - noch zumal für eine Partei, die mehr sein will, als ihre prominente Namensgeberin.
Er habe im BSW eine Partei entdeckt, "bei der Politik mit Menschenverstand gemacht wird", so Klutse im Saal des Kosmos. In dem ehemaligen Kino in Ost-Berlin findet an diesem Samstag der erste Parteitag des Bündnisses statt. 433 Mitglieder hat die Partei bislang - obwohl die Zahl der Interessenten um ein Vielfaches höher sein soll.
Kennlerngespräche aus Angst vor Übernahme
Doch die Partei soll "kontrolliert" wachsen, wie ihr Generalsekretär Christian Leye es ausdrückt. Die "Kinderkrankheiten" anderer junge Parteien solle das BSW gar nicht erst bekommen. Dafür setze man auf persönliche Netzwerke und verpflichtende Kennlerngespräche.
Kofi Klutse hatte eine E-Mail an das Bündnis geschrieben. Dann lud ihn Alexander King zum Gespräch. King sitzt im Berliner Abgeordnetenhaus und war der erste Landespolitiker, der von der Linken zum BSW übertrat. Jetzt koordiniert er die Parteigründung in Berlin. Rund 50 Mitglieder habe man aktuell, so King. Weitere sollen nach dem Parteitag folgen.
Wie viele Interessierte abgelehnt wurden, will King wie andere Landeskoordinatoren nicht sagen. Hinter vorgehaltener Hand ist von Rechten und gescheiterten Persönlichkeiten die Rede, die tatsächlich erfolglos versucht hätten, einzutreten. Auch aus der Linken. Namen werden nicht genannt.
Öffentlich bekannt ist, dass der ehemaligen Linken-Politiker Diether Dehm bislang nicht aufgenommen wurde. Dehm hatte einst den damaligen Außenminister Heiko Maas als "NATO-Strichjungen" bezeichnet. In einer von ihm moderierten Onlinesendung werden mitunter Verschwörungserzählungen diskutiert.
Netzwerke in den Ländern
Erfolgreich war hingegen Thomas Schmid. Den Erfurter Kommunikationsberater treibt nach eigener Aussage die AfD ins BSW. In Thüringen ist die besonders stark und besonders extrem. Er habe schon kurz nach Gründung der AfD Erfahrungen mit Björn Höcke gesammelt, so Schmid. Nun wolle er verhindern, dass dieser bei der Landtagswahl im September an die Macht gelange.
Frustriert zeigt sich Schmid allerdings von der Politik an sich. Die Regierungen in Bund und Ländern hätten zugeschaut, "wie Deutschland gegen die Wand fährt", sagt er. Schon vor zwei Jahren hatten er und einige andere Vertraute deshalb über ein eigenes Wahlbündnis in Thüringen nachgedacht. Man suchte schon damals den Kontakt zur in Jena geborenen Wagenknecht.
Heute ist Schmid Landeskoordinator des BSW. Ein Teil der früheren Mitstreiter ist auch mitgekommen, etwa Matthias Herzog, Manager des Erfurter Basketball-Clubs.
Ex-Linke dominieren neue Partei
Im BSW ist man bemüht, sich als eine Art Volkspartei zu präsentieren. Die Co-Parteivorsitzende Amira Mohamed Ali zählt in ihrer Parteitagsrede auf: Handwerker, Theologen, Professoren, Gewerkschaftler, Profisportler, Krankenpfleger - sie alle seien in der neuen Partei vertreten. "Wir kommen aus der ganzen Breite der Gesellschaft", schlussfolgert Mohamed Ali.
Tatsächlich kommt allerdings rund die Hälfte der Mitglieder aus Wagenknechts und Mohamed Alis alter Partei. Ex-Linke übernehmen nahezu alle Plätze in den Parteigremien und in der Organisation des Parteitags. Zwei Europakandidaten waren oder sind zudem Mitarbeiter Wagenknechts, genauso wie der Generalsekretär der Bundespartei und der Landeskoordinator für Brandenburg. Menschen, die früher in der SPD, den Grünen oder sogar der FDP waren, finden sich zwar auch, sie sind aber vorerst Einzelfälle.
Lars Leopold war noch 2022 Spitzenkandidat der Linken in Niedersachsen. In seinem Wahlwerbespot wetterte er gegen "reiche Arschlöcher" in der Politik. Leopold, Tattoos, Ohrringe, hochgekrempelte Ärmel, sagt, er habe sich zunehmend von seiner alten Partei entfremdet. Soziale Kernthemen hätten nur auf Plakaten eine Rolle gespielte.
Beim BSW sei das anders, zudem stehe man für echte Friedenspolitik. Leopold rechnet damit, dass noch weitere Übertritte folgen werden.
Vorwurf gezielter Abwerbung
Mit welchen Methoden das geschieht, ist umstritten. Führende BSWler bestreiten, dass man gezielt Leute bei der Linken abwerbe. "Die kommen von alleine auf uns zu", heißt es unisono.
In der alten Partei sieht man das anders. "Die kennen die Verletzungen Einzelner genau", sagt eine führende Funktionärin der Linkspartei. Das BSW würde gezielt alte Konflikte nutzen, um Unzufriedene zum Wechsel zu bewegen. Überrascht wurde Die Linke etwa vom Wechsel der Eisenacher Oberbürgermeisterin Katja Wolf. Wolf hatte noch Wochen zuvor diesen Schritt öffentlich ausgeschlossen. Allerdings sagt Wolf auch, ihre Entscheidung selbst getroffen zu haben.
Unter den bislang wenigen jungen Mitgliedern kommen die meisten ebenfalls aus der Linken. Stephan und Anna Bleck, beide Mitte 30, waren 2023 extra in die Partei eingetreten, um das Wagenknecht-Lager zu unterstützen. "Es kann so nicht weitergehen, die Gesellschaft wird gespalten", sagt Stephan Bleck. Ihn hat wie viele die Haltung zum Ukraine-Krieg zu Wagenknecht gebracht: Mit ihr könne Deutschland aus der "Kriegslogik" ausbrechen.
Bleck betreibt einen Geflügelhof in Mecklenburg-Vorpommern. Anna Bleck, eine Immobilienmaklerin, pflichtet ihrem Mann bei: Aktuell müsse man Angst haben, dass es den eigenen Kindern schlechter gehen könnte als den Eltern.
Wagenknecht will neue Partei zusammenhalten
Nach dem Parteitag will die Partei weitere Mitglieder aufnehmen. Aber eben "kontrolliert". Für Nichtmitglieder solle es "Mitmachangebote" geben, sagt Generalsekretär Leye. Gleichzeitig treibt manche die Sorge um, nicht alle Mandate besetzen zu können, sollte das BSW in diesem Jahr nicht nur bei Europa- und Landtagswahlen antreten, sondern auch auf Kommunalebene. Ähnliche Probleme hatte schon die AfD.
Sahra Wagenknecht selbst hat eine konkrete Vorstellung, wie es in der Partei zugehen soll. "Man sei keine Linke 2.0", sagt sie in ihrer Rede und spielt auf den jahrelangen Streit in ihrer frühen Partei an. In den BSW-Strukturen sollten nicht "die Intrigrantesten" nach oben kommen. Wagenknecht mahnt: "Lasst uns pfleglich miteinander umgehen."
Ähnlich beschreiben es mehrere Landeskoordinatoren. Es gehe jetzt darum, die Mischung an Ex-Linken und Politikneulingen zusammenhalten, heißt es. Beim Parteitag klappt das vorerst gut: Wenn vor der AfD gewarnt wird oder es scharf gegen die Ampel geht, wenn die Russlandsanktionen für irrsinnig erklärt werden, dann klatscht man einmütig.