Keine Gefahr durch Bürgerkrieg Gericht verneint Schutzstatus für Syrer
Subsidiären Schutz können Menschen in Deutschland beantragen, wenn ihr Leben in ihrem Heimatland bedroht ist. Nach Auffassung eines Gerichts ist das in Syrien nicht mehr der Fall. Das Urteil könnte weitreichende Folgen haben.
Für Asylbewerber aus Syrien sieht das Oberverwaltungsgericht Münster laut aktuellem Urteil zur Zeit keine pauschale Gefahr durch einen Bürgerkrieg mehr. Mit dieser Begründung lehnte das Gericht einen sogenannten subsidiären Schutz für einen 2014 nach Deutschland eingereisten Syrer ab.
Die erste obergerichtliche Entscheidung dieser Art stehe damit gegen die bislang gängige Praxis beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, syrischen Asylbewerbern im Regelfall subsidiären Schutz als Bürgerkriegsflüchtlinge zuzusprechen, sagte ein Sprecher des höchsten NRW-Verwaltungsgerichts über die jetzt erst veröffentlichte Entscheidung von vergangenem Dienstag.
Buschmann: "genau hinschauen"
Das Urteil wirft weitreichende Fragen auch für die mehr als 700.000 Flüchtlinge und Asylbewerber aus Syrien auf, die derzeit in Deutschland leben. Man müsse sich immer genau anschauen, wer in welchen Teil Syriens abgeschoben werden könne, erklärte Bundesjustizminister Marco Buschmann die möglichen Konsequenzen des Urteils. "Man kann eben nicht mehr pauschal sagen, dass die Sicherheitslage im gesamten Land überall gleich ist, sondern es muss genau hingeschaut werden", sagte der FDP-Politiker. Dies sei eine Entscheidung des Gerichts, "die man nachvollziehen kann, wenn man davon ausgeht, dass es mittlerweile auch in diesem Land Regionen gibt, die sehr gefährlich sind, aber auch andere Regionen gibt, wo nicht zwingend Gefahr für Leib und Leben besteht".
Innenministerium prüft Entscheidungspraxis
Eine Reaktion kam auch vom SPD-geführten Bundesinnenministerium: "Grundsätzlich prüfen das Bundesinnenministerium und das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge fortlaufend die Entscheidungspraxis auf der Grundlage der verfügbaren Quellen", sagte ein Sprecher des Bundesinnenministeriums auf Anfrage. Zu diesen Quellen gehörten insbesondere auch Gerichtsentscheidungen, wobei Entscheidungen der Oberverwaltungsgerichte insoweit eine bedeutende Rolle zukomme.
Bei der Innenministerkonferenz im Juni hatte Einigkeit darüber bestanden, dass Straftäter und islamistische "Gefährder" künftig wieder nach Afghanistan und Syrien abgeschoben werden sollten - womöglich über Nachbarländer. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) sagte damals in Potsdam, sie sei dazu bereits mit mehreren Staaten im Gespräch. Für Syrien sei neben der Klärung der praktischen Fragen auch eine Neubewertung der Lage in dem arabischen Land notwendig.
Pro Asyl: "An der Realität vorbei"
Die rechtspolitische Sprecherin von Pro Asyl, Wiebke Judith, kritisierte das Urteil: "Das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen entscheidet an der Realität in Syrien vorbei." Einschlägige Quellen wie der Lagebericht des Auswärtigen Amtes zeigten, dass es weiterhin "eine beachtliche Konfliktlage" gebe. Hinzu komme, dass praktisch niemand vor dem "Folterregime des Diktators Assad" sicher sei.
Subsidiärer Schutz gilt für Menschen, die nicht als individuell verfolgte Flüchtlinge anerkannt werden, aber stichhaltige Gründe liefern, warum ihnen bei einer Rückkehr in ihr Herkunftsland ernsthafte Schäden - etwa durch Bürgerkrieg - drohen. Auch für Syrien war in Asylverfahren bislang im Regelfall von einer solchen ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der körperlichen Unversehrtheit von Zivilisten infolge des innerstaatlichen Konflikts dort ausgegangen worden.
Zuletzt hatte es vom Landkreistag und aus der Union Forderungen gegeben, Syrern den subsidiären Schutz - der bereits die unterste Ebene für Schutzsuchende ist - nicht mehr zuzusprechen.
In Syrien "keine ernsthafte, individuelle Bedrohung" des Lebens
Das Gericht hielt nun in seinem Urteil fest, dass in Syrien für Zivilisten "keine ernsthafte, individuelle Bedrohung ihres Lebens oder ihrer körperlichen Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts" mehr bestehe.
Im Falle des Klägers - einem syrischen Staatsangehörigen aus der Provinz Hasaka - sah das Gericht die Schutzvoraussetzungen weder in dessen Heimatregion im Nordosten noch in Syrien allgemein als gegeben an und wies die Klage ab. Zwar gebe es in der Provinz Hasaka noch bewaffnete Auseinandersetzungen und gelegentliche Anschläge, diese erreichten jedoch kein solches Niveau mehr, dass Zivilpersonen damit rechnen müssten, getötet oder verletzt zu werden, begründete der zuständige Senat seine Entscheidung.
Haftstrafe in Österreich
Der Kläger war vor seiner Einreise nach Deutschland in Österreich zu einer Haftstrafe verurteilt worden, weil er an der Schleusung von Menschen aus der Türkei nach Europa beteiligt gewesen war. Das Oberverwaltungsgericht führte aus, ihm drohe in Syrien keine politische Verfolgung. Von der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft sei er wegen seiner vor der Einreise begangenen Straftaten ausgeschlossen. Auch die Voraussetzungen für subsidiären Schutz seien nicht gegeben.
Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Auch wenn die Revision nicht zugelassen wurde, kann dagegen Beschwerde eingelegt werden.
(Az: 14 A 2847/19.A, I. Instanz VG Münster 2 K 2750/18.A)