Strompreis-Rekordjahr "Ohne Preisbremsen wird es noch teurer"
Die Preise von Strom und Gas seien gesunken, betont die Bundesregierung - Preisbremsen könne man zum Jahresende auslaufen lassen. Doch Analysen zeigen, warum das für Verbraucher zum Problem werden könnte.
Es ist kalt draußen, als der Finanzminister im November das Ende der Energiepreisbremsen ankündigt. Statt wie geplant im März 2024 sollen sie nun schon zum Jahresende 2023 auslaufen, weil durch das Karlsruher Urteil zum Klima- und Transformationsfonds das Geld dafür fehle. Außerdem seien die Preise von Strom und Gas im Vergleich zum Jahresanfang wieder gesunken, heißt es von Regierungsseite.
Im Bundestag erklärt der Kanzler: "Inzwischen sind überall in Deutschland wieder Strom- und Gastarife verfügbar, die zwar deutlich höher liegen als vor der Krise - aber meist unterhalb der Obergrenzen, die wir mit den Preisbremsen gezogen haben."
Worüber die Regierung allerdings nicht spricht: Sie weiß überhaupt nicht, wie viele Haushalte in Verträgen mit weiterhin hohen Preisen hängen, die über den Strompreisbremsen liegen. Weder das Finanz- noch das Wirtschaftsministerium haben entsprechende Zahlen.
Zahlreiche Tarife über dem Durchschnitt
Zumindest Hinweise, dass die Preisbremsen relevant bleiben, geben nun die aktuellen Analysen der Strom- und Gaspreise durch Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW), die dem ARD-Hauptstadtstudio exklusiv vorliegen. Zwar ist der durchschnittliche Strompreis im Vergleich zum Beginn des Jahres gesunken. Er ist aber weiterhin hoch, lag zuletzt bei 44,17 Cent pro Kilowattstunde.
Rechnet man dabei den Anteil des Grundpreises heraus, landet man Schätzungen zufolge bei 40 bis 42 Cent pro Kilowattstunde für den Arbeitspreis. Das ist der Preis, auf den sich die Preisbremse der Bundesregierung bezieht, die bei 40 Cent greift. Laut BDEW heißt das, dass es auch noch zahlreiche Tarife über dem Durchschnitt gibt.
Ohne die Strompreisbremse müssen Verbraucher mit solchen Verträgen künftig mehr zahlen. Wie viele Haushalte genau betroffen sind, ist unklar. Klar aber ist: Wer einen länger laufenden Vertrag hat, kommt da nicht einfach raus, auch wenn es inzwischen deutlich niedrigere Angebote gibt, betont Thomas Engelke, Energieexperte des Verbraucherzentrale Bundesverbands. "Wir gehen davon aus, dass immer noch ein relevanter Teil der Verbraucher und Verbraucherinnen in teuren Verträgen steckt."
Rekordjahr 2023
Der Preisdurchschnitt, den der BDEW ermittelt, bildet das "deutschlandweite Marktangebot" ab - mit Bestands- und Neukundentarifen. Nicht aber den Preisdurchschnitt der bestehenden Vertragsverhältnisse. Wie viele Haushalte welchen Vertrag haben, ist also nicht bekannt. "Allerdings fließt der regionale Verbreitungsgrad der Tarife sowie die Bevölkerungsverteilung in die Durchschnittsbildung mit ein", so der BDEW. In jedem Fall zeigen die Analysen des BDEW, dass 2023 ein Rekordjahr ist - mit den höchsten Strompreisen aller Zeiten in Deutschland.
Der Gaspreis ist nach unten gegangen, aber weiterhin deutlich höher als vor dem russischen Angriff auf die Ukraine. Laut Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft liegt er aktuell im Durchschnitt für Einfamilienhäuser bei 11,53 Cent pro Kilowattstunde, für Mehrfamilienhäuser bei 11,03 Cent pro Kilowattstunde. Weil dabei ebenfalls anteilig der Grundpreis enthalten ist, ist auch hier der eigentliche Arbeitspreis niedriger - bei Einfamilienhäusern geht es um circa einen Cent, bei Mehrfamilienhäusern ist es pro Haushalt noch weniger. In jedem Fall liegt der Gaspreis derzeit im Durchschnitt unter der Preisbremse von zwölf Cent - allerdings wohl nicht sehr viel.
Auch hier gilt, dass eine Anzahl von Tarifen teurer ist und keiner - gerade auch die Bundesregierung nicht - genau weiß, wie viele Haushalte das betrifft. Laut BDEW kann die Tarifhöhe eines Anbieters "aufgrund regional unterschiedlicher Netzentgelte, aber auch aufgrund unterschiedlicher Beschaffungsstrategien, Beschaffungssituation, der Struktur des Kundenstamms des Lieferanten und derzeit insbesondere aufgrund der sehr dynamischen Marktsituation deutlich vom Preisdurchschnitt abweichen".
Verbraucherzentrale fordert längere Preisbremsen
Der Verbraucherzentrale Bundesverband fordert nach wie vor eine Verlängerung der Preisbremsen, weil viele Kunden auch im Vertrauen in der Not und auch im Vertrauen auf die Versprechen der Regierung Verträge mit hohen Preisen abgeschlossen hätten. "Ohne die Preisbremsen wird es für sie noch teurer", sagt Energieexperte Thomas Engelke.
Hinzu kommt, dass bislang nicht klar ist, was mit der Mehrwertsteuer für Gas und Wärme passiert. Derzeit gilt ein gesenkter Satz von sieben statt 19 Prozent. Eigentlich war geplant, das bis Ende Februar so fortzusetzen. Angesichts der Haushaltskrise ist das aber unsicher.
Wie auch der Zuschuss von 5,5 Milliarden Euro zu den Übertragungsnetzentgelten für Strom, um die Preise stabil zu halten. Aktuell machen die Netzentgelte beim Strom für Haushaltskunden 21 Prozent des Gesamtpreises aus. Das ist bereits ein deutlicher Anstieg im Vergleich zum Vorjahr.
Warnung vor Dominoeffekt
BDEW-Hauptgeschäftsführerin Kerstin Andreae warnt gegenüber dem ARD-Hauptstadtstudio vor einem Dominoeffekt: "Wenn die Übertragungsnetzentgelte steigen, müssen auch die Verteilnetzbetreiber ihre Entgelte erhöhen. Die insgesamt gestiegenen Netzentgelte müssen wiederum die Energieversorger in ihre Preiskalkulation aufnehmen und bereits angekündigte Preise anpassen." Und das würde die Endkunden treffen.
Das heißt unterm Strich: Wer in einem Vertrag mit hohen Preisen hängt, hat im kommenden Jahr schlechte Karten. Aber auch für alle anderen könnte es teurer werden.