SPD-Spitze vor Parteitag Führen oder verwalten?
So schlecht wie derzeit stand die SPD in Umfragen zuletzt vor mehr als zwei Jahren da. Das verheißt nichts Gutes für die Parteispitze, die auf dem heute startenden Bundesparteitag wiedergewählt werden will.
Es war die Stille, die Saskia Esken mehr als vieles andere auf dem Juso-Bundeskongress im November in Braunschweig signalisiert haben dürfte, dass da etwas am Kippen ist. Als die SPD-Co-Vorsitzende, die mit tatkräftiger Hilfe von Kevin Kühnerts Jusos vor vier Jahren ins Amt befördert wurde, zum SPD-Nachwuchs sprach, rührten sich nur wenig Hände. Sie wisse, bei aller Kritik, die die Jusos auf dem Herzen hätten, dass sie hier zu Hause sei.
Große Unzufriedenheit der Jusos
Esken, eine dezidierte Parteilinke, die für Umverteilung und gegen die Schuldenbremse ist, sollte sich bei den linken Jusos zu Hause fühlen. Aber dass dem gerade nicht oder nicht mehr so ist, führte ihr der neu gewählte Juso-Vorsitzende Philipp Türmer ziemlich schonungslos vor Augen.
Er erinnerte sich daran, dass die Jusos Esken und Walter-Borjans damals unterstützt hätten für den Parteivorsitz: "Damals waren wir in einer schweren Krise der Sozialdemokratie, aber wenn wir das mit heute vergleichen, müssen wir feststellen, dass die Situation heute noch viel schlechter ist." Esken senkte den Kopf und schrieb mit.
Kein Aufbruch, kein Ruck, kein Profil. Das Zeugnis, das Türmer der SPD und damit vor allem der SPD-Spitze ausstellte, war ziemlich verheerend. Eskens Co-Parteichef Lars Klingbeil gibt sich dennoch entspannt. Es sei gut, dass die SPD so einen kritischen und am Ende auch solidarischen Jugendverband habe. Natürlich gebe es da politische Konflikte, aber das sei in Ordnung.
Was die Schuldenbremse betrifft, die die Jusos und viele Parteilinke am liebsten komplett abschaffen wollen, gibt sich Klingbeil weniger konziliant. Die Parteispitze will die Schuldenbremse, die sie "Wachstums- und Zukunftsbremse" nennt, reformieren. Klingbeil ist sicher, dass es dafür am Ende auch eine Mehrheit auf dem Parteitag gibt.
Wiederwahl der Parteispitze trotzdem ungefährdet
Dass Klingbeil und Esken auf dem Parteitag wiedergewählt werden, gilt als sicher. Auch der Generalsekretär sollte es schaffen. Auch wenn Kevin Kühnert, der qua Amt unter anderem für die Wahlkämpfe in Bayern und Hessen verantwortlich war, ausgesprochen magere Ergebnisse eingefahren hat. Daran, dass er zu wenig arbeite, liege es nicht, meint er. "Der Generalsekretär macht 1.000 Sachen durcheinander, was den Generalsekretär auch immer ganz schön stresst", sagte Kühnert im Interview mit dem ARD-Hauptstadtstudio.
Was Kühnert kaum mehr macht: seine eigene Partei antreiben. Dafür fehlt die Zeit. Außerdem: Olaf Scholz inhaltlich zu kritisieren, wie Kühnert es als Juso-Chef öfter mal getan hat, ist ihm als Generalsekretär bei seinem eigenen Kanzler ziemlich unmöglich.
Natürlich könne er, sagt er, den lieben langen Tag erzählen, was nur in seinem Kopf drin sei. "Aber wir sind ja eine SPD, die am Ende zur Wahl steht", so Kühnert. Er glaube, die Leute erwarteten, dass sich Kanzler Scholz, die Parteivorsitzenden, der Generalsekretär und der Fraktionsvorsitzende gemeinsam eine Meinung bildeten und nach außen vertreten. "Damit bin ich total fein."
Die Partei soll zusammenhalten
Was immer mitschwingt: Die Zeiten, in denen die SPD als Intrigantenstadl hauptsächlich mit sich selbst, ihren Flügeln und ihren Streitereien beschäftigt war, sollen der Vergangenheit angehören. Ein "Nahles-Gate" darf sich nie wiederholen. Auch zum Preis, dass es still - zu still, wie manche sagen - um die Partei geworden ist, dass viele sich fragen: Wofür steht die SPD?
Kühnert weiß das: "Die SPD hat tief in den Abgrund geschaut, da haben wir uns rausgearbeitet. Wir treten ja für viele Millionen Menschen an, die uns brauchen, als politische Kraft, die für sie kämpft und nicht als politische Kraft, die mit sich selber kämpft die ganze Zeit."
Jetzt sind andere Kämpfe angesagt, existenziellere Kämpfe. Die SPD, die die Menschen vor der Bundestagswahl 2021 mit der Erzählung von Zuversicht und Respekt zu sich geholt hat, hat sie in der Zwischenzeit wieder verloren. Als Esken eine Bestandsaufnahme der aktuellen Lage vornahm, wurde es in der Stadthalle in Braunschweig bei den Jusos noch stiller.
Esken sprach aus, was viele denken: "Die Stimmung in unserem Land - und auch die Partei ist ja nicht frei davon, wir sind ja ein Spiegel unserer Gesellschaft - ist von großen Zweifeln und großer Verunsicherung geprägt, und sie könnte kippen. Und das dürfen wir nicht zulassen."
Die Stimmung auf dem Bundesparteitag ist schwer einzuschätzen. Die Parteispitze wird alles dafür tun, dass die SPD der besonnene Kanzlerwahlverein bleibt - und nicht zum Kanzlerqualverein mutiert. Es könnte aber auch kippen im CityCube in Berlin.