SPD vor der Europawahl Auf der Suche nach einer positiven Erzählung
Die SPD bestimmt heute über Programm und Spitzenpersonal zur Europawahl. Sie muss den Deutschen erklären, wofür sie europapolitisch steht. Das hat sie lange nicht gemacht - ob ihr das so schnell gelingt?
Man könne Hunderte von Kilometern durch Deutschland fahren, ohne mit sozialdemokratischer Europapolitik in Kontakt zu kommen, das sei entsetzlich, schreibt der SPD-Abgeordneter Axel Schäfer. Der Bochumer Politiker hatte zu Jahresbeginn einen Brandbrief an seine Genossen geschickt.
Er rechnet darin mit seiner SPD ab, die es jahrelang verpasst habe, Europapolitik in den Alltag der Arbeit einzubeziehen und relevante EU-Posten zu besetzen. Selbst auf dem Bundesparteitag wurden Beratungen über Europapolitik erst ans Ende der Tagesordnung gesetzt und dann verschoben.
Kanzler als Zugpferd
Der Bochumer Genosse Schäfer ist ein langjähriger Wegbegleiter von Katarina Barley, der Spitzenkandidatin der SPD im Europawahlkampf. Barley lächelt über solche Brandbriefe milde. Sie ist sich mit Schäfer aber in einem Punkt einig. Der hatte nämlich auch geschrieben: "Olaf Scholz hat als deutscher Bundeskanzler in so kurzer Zeit europapolitisch mehr bewegt als je ein Regierungschef vor ihm."
Barley setzt auf Scholz im Wahlkampf. Denjenigen also, der nicht unbedingt für seine Kommunikationsstärke und gute Umfragewerte bekannt ist. Doch die SPD will, dass Scholz und Barley die Gesichter für den Europa-Wahlkampf sind. Kann das angesichts der Umfragewerte funktionieren?
Die Vizepräsidentin des Europaparlaments, Katarina Barley, führt die SPD als Spitzenkandidatin in die Europawahl am 9. Juni. Auf der Delegiertenkonferenz in Berlin wurde sie mit 98,66 Prozent der Stimmen gewählt.
"Dass wir uns von dem Bundeskanzler distanzieren, hätten vielleicht manche gerne, aber dazu gibt es überhaupt keinen Anlass", sagt SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert. Das wäre schlicht "Irrsinn". Wenn man 100 Menschen auf der Straße frage, woran sie bei der SPD denken, sei das nun einmal Scholz, der SPD-Kanzler.
Wenn der Bundeskanzler über die EU redet, spricht er davon, dass Europa die Antwort auf die Krisen der Zeit sei. Es stehe für Frieden und Sicherheit, für die Hoffnung auf gute Arbeit.
Als er im September vergangenen Jahres mit Katarina Barley gemeinsam im Willy-Brandt-Haus stand, wollte er vor allem zeigen, wie viel sie im Austausch sind. Er telefoniere sehr oft mit Barley, sagte Scholz, fast jede Woche. Auch treffe man sich häufig und das werde nun sicher noch mehr werden, in Vorbereitung auf die Europawahl.
Keine "Krawall- und Remmidemmi-Frau"
Damit werden nun zwei Sozialdemokraten für den Europawahlkampf sichtbar sein, die eher für leise Töne bekannt sind. Barley sei "keine Krawall- und Remmidemmi-Frau", beschreibt Generalsekretär Kühnert die Spitzenkandidatin.
Sie sei eine, die in Zeiten von lauten Tönen und enormer Lautstärke auch mal den Regler wieder herunterreguliert. Aber auch eine, die das große Besteck beim Thema Rechtstaatlichkeit beherrsche und beim Rechtsextremismus auch rote Linien ziehen könne.
Ihre Biografie wirkt wie das Bilderbuch einer Europapolitikerin. Geboren in einer deutsch-britischen Familie, von einem Auslandsaufenthalt in Paris bringt sie ein Rechts-Diplom mit, die erste Ehe schließt sie mit einem Spanier, inzwischen ist sie verheiratet mit einem Niederländer.
Barley war SPD-Generalsekretärin, Familien- und Justizministerin. Vor fünf Jahren trat sie dann erstmals als Spitzenkandidatin der SPD für Brüssel an. Das Ergebnis war allerdings miserabel: Damals erzielten die Sozialdemokraten mit 15,8 Prozent ihr schlechtestes Resultat überhaupt. Warum sollte es dieses Mal besser klappen?
Barley sagt dem ARD-Hauptstadtstudio, sie setze darauf, dass die sozialdemokratischen Werte gerade jetzt besonders gefragt seien. "Immer wenn Faschismus und autoritäre Regime aufkamen, dann war es die Sozialdemokratie, die sich dem am entschiedensten entgegengestellt hat."
In Europa zeichnet sich allerdings eine Entwicklung zugunsten rechtspopulistischer und rechtsextremer Parteien ab - ob in Schweden oder Finnland, in Italien oder den Niederlanden. Beim Europa-Parteitag der AfD in Magdeburg hieß es selbstbewusst: "An uns kommt im nächsten Europaparlament niemand mehr vorbei."
Barley erwidert darauf: "Die Menschen haben es in der Hand." Frauenrechte, Sozialleistungen, der Kampf gegen die Klimawandel: Es stehe viel auf dem Spiel. Sie verweist auf die "Correctiv"-Recherchen zur "Remigration", die zuletzt Massendemonstrationen ausgelöst haben. "Es ist ganz wichtig, dass wir die Augen aufmachen und erkennen, was da wirklich passiert."
Mobilisierung mit Sozialthemen
Die SPD setzt im Wahlkampf auf eine positive Erzählung von Europa, nicht auf Attacken gegen das vermeintlich ferne, überbürokratisierte Brüssel. Sie will weniger über Krise als vielmehr über Krisenbewältigung sprechen. "Wir stärken die Gewerkschaften, die Mitbestimmung und damit die Arbeitnehmer-Rechte aus Europa heraus", sagt Barley. Nicht zu vergessen die Mindestlohn-Richtlinie.
SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert verweist zudem auf das Ziel einer europaweiten Körperschaftssteuer von mindestens 15 Prozent. Zudem habe es Europa geschafft, sich in Sachen Migration ein neues Regelwerk zu geben. Das sei ein "riesiger Erfolg", sagt Barley. Das sieht allerdings nicht jeder in der SPD so, ganz besonders die junge Organisation der Jusos übt heftige Kritik daran.
Die Sorge vor einer Denkzettel-Wahl
Denkbar ist allerdings auch, dass die Europawahl für Regierung und Kanzler zur Denkzettelwahl werden könnte. Davor warnt Generalsekretär Kühnert: "Die demokratischen Parteien sind gefordert, wirklich ihre Programme zur Abstimmung zu stellen, nicht nur einen kleinen simulierten Bundestagswahlkampf zu machen", sagt er dem ARD-Hauptstadtstudio.