Absicherung des NATO-Gipfels Noch mehr Arbeit für die Luftwaffe?
Deutschland soll den NATO-Gipfel in Vilnius mit einem Patriot-System sichern. Verteidigungsminister Pistorius redet darüber mit den Bündnispartnern. Das Problem: Die derzeit stark geforderte Luftwaffe ist am Rande ihrer Möglichkeiten.
Es ist ein Luftspektakel, das auch ein Verteidigungsminister nicht alle Tage geboten bekommt: Der Start der A400M-Transportmaschine mit Boris Pistorius an Bord ist noch gar nicht lange her, da taucht jeweils rechts und links der Maschine ein Eurofighter-Jet auf. Als eine Art stählernes Empfangskomitee.
"Das ist schon beeindruckend zu sehen. Das kennt man ja sonst nur aus irgendwelchen Filmen", bekundet der Minister im Gespräch mit dem ARD-Hauptstadtstudio. So beunruhigend dicht fliegt der doppelte Begleitschutz an die Maschine heran, dass es wirkt, als müsse man aus dem Cockpit heraus nur noch den Arm ausstrecken, um sie zu berühren.
Begleitservice für den Verteidigungsminister
"Was man an Mindestabstand einhalten will, ist ein Meter. Heute waren wir einen kleinen Tick weiter weg, weil es einfach nicht nötig ist, so dicht ranzufliegen. Aber es sieht auch so schon beeindruckend genug aus", erläutert Major Christian (dessen Nachname anonym bleiben soll), Pilot einer der beiden Eurofighter, die für Boris Pistorius den "Begleitservice" auf dem Weg zum Luftwaffenstützpunkt Rostock-Laage bildeten.
Der Minister durfte im Cockpit des A400M Platz nehmen, schoss mit seiner Smartphone-Kamera aus den Fenstern hinaus Erinnerungsfotos. Dass die Maschine zeitweise für Insassen wenig magenschonend im Tiefflug über die norddeutsche Tiefebene donnerte, konnte Pistorius wenig anhaben: "Ich werde weder see- noch luftkrank - das ist ein Riesenvorteil für den Job."
Schon bei Rettungsaktion im Sudan bewährt
Jedenfalls gab sich die Luftwaffe - oben am Himmel genau wie unten am Boden - alle Mühe, den Minister zu beeindrucken. Setzte ihn nach Ankunft auf dem Stützpunkt bei Rostock in einen Flugsimulator. Stellte auf einem großen Platz viel von dem aus, was sie an Jets und Hubschraubern derzeit zu bieten hat. Um den SPD-Politiker daran zu erinnern, wie schwer beschäftigt die Luftwaffe derzeit ist, dafür hätte es dieser Denkanstöße gar nicht bedurft: Mit dem A400M holten die Deutschen Ende April Hunderte Menschen aus dem Sudan, brachten sie vor den Kämpfen dort in Sicherheit.
Mit den Eurofightern überwacht die Bundeswehr den Luftraum im Baltikum. Sie sorgt dafür, dass russische Jets nicht auf die Idee kommen, sich NATO-Gebiet zu nähern - die im internationalen Luftraum oft ohne eingeschaltete Transponder unterwegs sind. "Dann geht die NATO hin und sagt, wir wollen genau wissen, wer in diesem Luftraum fliegt und identlifizieren das ander Flugzeug", erläutert Major Christian.
Und nun die NATO absichern?
Gut möglich, dass bald noch mehr Arbeit auf die Deutschen zukommt. Aus der NATO gibt es den Wunsch, erfuhr das ARD-Hauptstadtstudio, dass die Bundeswehr hilft, den Gipfel der Allianz in Vilnius Anfang Juli mit einem Patriot-Flugabwehrsystem abzusichern. Verteidigungsminister Boris Pistorius bestätigte das auf Nachfrage. Dass man das könnte, steht für ihn außer Frage: "Ob wir das wollen und ob wir das tun, hängt ab von den Gesprächen mit den Partnern, mit der NATO, die wir jetzt führen."
Das Problem: Die Truppe ist am Rande ihrer Möglichkeiten, was ihre insgesamt zwölf Patriot-Systeme betrifft. Das an die Ukraine abgegebene wird dort wegen der russischen Luftangriffe dringend gebraucht. Andere werden gewartet oder repariert. Schon länger im Gespräch ist, die deutschen Patriots aus der Slowakei abzuziehen. In den nächsten zwei Wochen gebe es Klarheit, kündigt Pistorius an.
Deutschland Gastgeber von großer Verlegeübung
Kein Geheimnis ist, dass die Truppe bei der ganz großen Reichweite, bei der Abwehr von Raketen aus dem Weltraum in über 100 Kilometer Höhe, bislang im Grunde blank dasteht. Dafür wird das israelische Arrow-3-System angeschafft, bei dem Abkommen sei man kurz vor dem Einbiegen in die Zielgerade: "Im zweiten Halbjahr dürften wir dort Tinte drankriegen", sagt Pistorius.
Was die nähere Zukunft betrifft, so wird bereits im Juni Deutschland Gastgeber der größten Verlegeübung von Luftstreitkräften seit Gründung der NATO sein - mehr als 220 Flugzeuge aus 25 Nationen sind dann im Rahmen von "Air Defender 2023" im deutschen Luftraum unterwegs. Ein Manöver, das von der Organisation her für die Luftwaffe noch ungleich aufwändiger ist als ein Ministerbesuch.