Pistorius auf Fregatte "Hessen" Keine Übung mehr
Es ist die gefährlichste Marine-Mission in der Geschichte der Bundeswehr: Die Fregatte "Hessen" soll am Freitag schwer bewaffnet ins Rote Meer fahren. Vorher bekam sie noch Besuch von Verteidigungsminister Pistorius.
Am frühen Morgen auf dem Weg von Chanias Zentrum zum kleinen NATO-Stützpunkt auf Kreta: Vorbei an Olivenbäumen, in der Ferne die noch schneebedeckten Berge. In der aufgehenden Sonne liegt die Fregatte "Hessen" vor Anker und wartet auf den Besuch des Verteidigungsministers. In der Nachbarschaft üben US-Soldaten mit Landungs- und Luftkissenbooten.
Die Fregatte ist der ganze Stolz der Marine - "unser Goldstandard", wie Boris Pistorius später betonen wird. Bereits am nächsten Morgen wird das Kriegsschiff in Richtung Suezkanal aufbrechen.
Dorthin braucht es eineinhalb Tage. Dann werden Fregattenkapitän Volker Kübsch und seine Mannschaft auf das Mandat warten, das am Freitag im Bundestag verabschiedet werden soll.
Erst danach wird die "Hessen" weiter ins Einsatzgebiet im Roten Meer fahren. Dort soll sie im Rahmen der am Montag beschlossenen EU-Mission "Aspides" Handelsschiffe vor Angriffen der Huthi-Milizen schützen, mit allem, was die Fregatte an Bewaffnung hat, vom Maschinengewehr bis zum Lenkflugkörper.
Ein gefährlicher Einsatz
Die gesamte Besatzung ist vorbereitet auf den hohen Besuch. Ein Marinesoldat erzählt, so viel hätten sie eigentlich gar nicht machen müssen, vielleicht ein bisschen intensiver geputzt als sonst.
Ihrem Einsatz erwarten sie alle mit einer gewissen Anspannung. Es sei schon ein anderes Gefühl als bei den Übungen und Manövern, die die Fregatte in den vergangenen Monaten hinter sich gebracht hat. Die 240 Frauen und Männer - 27 Frauen sind mit an Bord - kennen natürlich auch die Einschätzungen, dass ihnen ein gefährlicher Einsatz bevorsteht.
Kommandant Kübsch redet nicht drumherum: "Ich kann nicht ausschließen, dass auch die Fregatte 'Hessen' direkt Ziel von Angriffen wird." Ob beabsichtigt oder unbeabsichtigt. "Wir dürfen das, was uns dort bevorsteht, nicht auf die leichte Schulter nehmen, aber wir sind bestens vorbereitet. Seit zwei Jahren üben, üben, üben wir für den Ernstfall." Allerdings hätte sich die deutsche Marine noch nie zuvor einer Bedrohung durch Kamikaze-Drohnen, Flugkörper, ballistische Anti-Schiffsraketen ausgesetzt gesehen.
Fregattenkapitän Volker Kübsch spricht vor dem Einsatz der "Hessen" mit Verteidigungsminister Boris Pistorius.
Von Sonnencreme bis Blutkonserven
Das weiß auch der Minister. Deshalb sei es ihm so wichtig gewesen, die Fregatte kurz vor Einsatzbeginn zu besuchen und sie persönlich zu verabschieden. "Ich bin stolz auf sie, auf das, was sie können, wie sie ausgebildet sind, was sie bereit sind einzubringen und dass sie hier diesen Einsatz überhaupt ermöglichen."
Fast auf den Tag genau vor einem Jahr, kurz nach seinem Amtsantritt, war die Fregatte "Hessen" das erste Kriegsschiff, das Pistorius besuchte. Damals konnte er sich noch nicht vorstellen, dass er sie in einen solchen Einsatz schicken würde. Jetzt ist es der erste derart robuste und gefährliche Einsatz, den er als Inhaber der Befehls- und Kommandogewalt verantwortet.
Die Soldaten an Bord zeigen ihm das Schiff, erklären ihre Verteidigungsmöglichkeiten. Das Radar, das Angriffe aus einer Entfernung von bis zu 400 Kilometern erfassen kann; die Waffen, die bis zu 150 Kilometer weit reichen. Die Mannschaft ist stolz auf das, was die Fregatte kann.
Außerdem wurde aufgerüstet: Es sind zwei Hubschrauber mit Besatzung mit an Bord und 14 Soldaten des Seebataillons, die auf Handelsschiffen einsetzbar sind. Wichtig ist auch der Sanitätsbereich. Eine Ärztin erklärt dem Minister, dass sie wirklich alles an Bord hätten, von Sonnencreme bis zu Blutkonserven. Pistorius hofft, dass sie am besten nur Sonnencreme brauchen.
In allen Gesprächen ist die Gefahr, die bei dem Einsatz im Roten Meer drohen kann, präsent. Ein 18-jähriger Obergefreiter, der für die Kommunikation mit anderen Einheiten über verschlüsselte Verfahren zuständig ist, räumt ein, er sei angespannt, "aber mit gesunder Anspannung".
Es sei wichtig, dass man mit Vorsicht in diesen Einsatz gehe und auch eine gewisse Grundanspannung habe. "Die löst halt auch Wachsamkeit aus." Das sei für einen solchen Einsatz förderlich.
Angst habe er keine. Das sei kein Faktor in der Besatzung, zumindest nicht in seinem engeren Kreis, mit dem er sich austausche. Auch er ist stolz, dabei sein zu können. Und seine Mutter unterstütze ihn, aber sie wünsche sich natürlich, dass ihr Sohn heil nach Hause komme.
Einsatz mit einer besonderen Bedeutung
Diesen Wunsch gibt auch der Minister an die Marinesoldaten weiter, als er zu ihnen auf dem Hubschrauber-Deck der Fregatte spricht. Ende April soll die "Hessen" wieder zurück in ihrem Heimathafen Wilhelmshaven sein.
Doch noch steht die Besatzung vor ihrem, wie Pistorius offen einräumt, "schwierigsten Einsatz der deutschen Marine seit vielen Jahrzehnten". Die Mission werde ihrem Schiff viel abverlangen.
Ein Einsatz mit einer besonderen Bedeutung für Deutschland und Europa. "Es geht um Sicherheit und Stabilität in dieser Region. Wir dürfen nicht zulassen, dass sich Terrorismus im Nahen und Mittleren Osten weiter ausbreitet", sagt Pistorius. "Denn zwischen dem Terrorismus der Hamas und ihren abscheulichen Angriffen auf Zivilisten und den Angriffen der Huthi auf Handelsschiffe besteht eine Verbindung. Das dürfen wir bei all dem, was wir hier tun, nie vergessen."
Es gehe um etwas ganz Grundsätzliches, um die Verteidigung der internationalen Ordnung, die immer wieder in Frage gestellt, herausgefordert und angegriffen werde.
Rein defensiv unterwegs
Dem Minister ist aber auch wichtig zu betonen, dass die Bundeswehr zu einem solchen Einsatz nicht nur bereit, sondern auch in der Lage sei. Uneingeschränkt, mit der besten Ausrüstung und vor allem auch mit ausreichender. Er weiß, wie es immer wieder an wichtigen Dingen mangelt, er kennt die Klagen aus der Truppe über schlechte oder mangelhafte Ausrüstung.
Als er vor den Marinesoldaten steht, merkt man ihm eine zufriedene Erleichterung an, als er vor der ganzen Besatzung verkünden kann, dass es nun eine schriftliche Vereinbarung mit Dschibuti gebe, die die Nachversorgung der Fregatte sicherstelle. Auch diese Hürde sei genommen.
Als von den mitreisenden Journalisten die Frage nach der Größe des Einsatzgebietes kommt, das bis fast an den Iran heranreicht, antwortet Pistorius diplomatisch. Man sei rein defensiv unterwegs, habe also gute Argumente, um Spannungen entgegenzutreten. In der Region nahe Iran habe man lediglich eine beobachtende Aufgabe.
Keine Übung mehr
Pistorius lobt die Soldaten für ihre Motivation, ihre schnelle Vorbereitung, trotz viel zu kurzer Ruhezeit nach dem langen Einsatz im Rahmen der NATO in der Nord- und Ostsee, bei der "Very High Readiness Joint Task Force Maritime", und er gibt ihnen ein Versprechen: "Seien Sie sicher, ich werde jeden Tag ein Auge auf sie haben, also im besseren Sinne natürlich, und mich erkundigen, wie's aussieht, wie die Lage ist, wie es ihnen geht, ob ihnen was fehlt."
Gerade einmal drei Stunden ist der Minister an Bord, begleitet von vier Abgeordneten des Bundestags, Verteidigungspolitikern von SPD, FDP und Union, denen es ebenfalls wichtig war, der Besatzung ihre Unterstützung zuzusichern. Ein symbolischer Besuch, sicher, aber einer, der als Anerkennung wahrgenommen wird. Die kurzen persönlichen Begegnungen werden geschätzt. "Es ist gut, dass Sie hier sind", sagt einer.
Auch wenn sie noch nicht vor Ort ist - die Mannschaft befindet sich bereits im sogenannten "Kriegsmarsch". Alle Positionen sind immer besetzt; alle sechs Stunden wird gewechselt. Die blaue Marineuniform haben sie zuhause gelassen. Es wird Flecktarn getragen, praktisch und bequem. Allen an Bord ist bewusst: Das hier ist keine Übung mehr.