Drohende Milliardenlöcher Wer bezahlt die Pflege?
Die Kosten steigen, die Zahl der Menschen, die Unterstützung brauchen, nimmt zu: Die Pflegeversicherung braucht Geld und die Ampel dringend ein Konzept, wie sie die Pflegekasse langfristig sichern will.
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach kann aufatmen, denn die Pflegeversicherung ist derzeit in den schwarzen Zahlen. Der Grund dafür ist recht einfach: Die Beiträge für die Pflegeversicherung wurden im Sommer erhöht. Die Beitragszahler stopfen zum wiederholten Mal die Milliardenlöcher in der Pflegekasse.
Doch dieses Aufatmen wird wohl nicht von langer Dauer sein. "Wir sind, was die langfristige Finanzierung der Pflege angeht, an einem Wendepunkt", sagte der SPD-Politiker Lauterbach kürzlich im Bundestag. Gemeint ist: So wie es ist, kann es nicht weitergehen.
Pflegekasse vermutlich 2025 wieder in roten Zahlen
Die Pflegekosten steigen wegen der demografischen Entwicklung weiter stark an. Die Beitragszahler werden das allein nicht stemmen können.
So sieht das auch der Spitzenverband der gesetzlichen Kranken- und Pflegekassen, GKV. Vorstandsmitglied Gernot Kiefer geht davon aus, dass die Pflegekasse schon bald wieder in den roten Zahlen steckt: "Wenn ich mir anschaue, wie die Kostenentwicklung ist und wenn ich mir anschaue, dass es immer mehr Menschen in Deutschland gibt, die die Leistungen der Pflegeversicherung beantragen, dann gehe ich davon aus, dass ab 2025 wieder Handlungsbedarf besteht." Spätestens dann droht das nächste Finanzloch in der Pflegekasse.
SPD will hohe Einkommen stärker belasten
Die Ampelkoalition ist sich der prekären Lage bewusst. In den Fraktionen wird seit Monaten diskutiert, wie die Pflegeversicherung langfristig auf sichere Beine gestellt werden kann. Die SPD will die Finanzierung über Beiträge stärken, indem künftig mehr Menschen in die Pflegeversicherung einzahlen sollen. Dafür will sie die gesetzliche und die private Pflegeversicherung zusammenführen, sodass alle - vom Arbeitnehmer bis zum Selbstständigen - in die gleiche Kasse einzahlen.
Keine neue Idee, aber aus Sicht der gesundheitspolitischen Sprecherin der Bundestagsfraktion, Heike Baehrens, nach wie vor die sinnvollste: "Würden wirklich alle Menschen in die soziale Pflegeversicherung einzahlen, dann hätten wir kein Finanzierungsproblem." Denn in der privaten Pflegeversicherung sind viele Besserverdiener zu finden, die mit ihren Beiträgen für hohe Rücklagen sorgen.
Als weitere Maßnahme schlagen SPD-Politiker vor, die Versicherungsbeiträge für Gutverdiener anzuheben. Bisher steigen diese zwar mit höherem Monatseinkommen - aber nur bis zu einer Gehaltsgrenze von rund 5.000 Euro brutto.
Diese Grenze würde Baehrens gerne verschieben: "Und zwar mit der Konsequenz, dass diejenigen, die hohe Einkommen haben, einen höheren Beitrag zahlen. Das entlastet natürlich diejenigen, die niedrige Einkommen haben."
Als Vorbild gilt die gesetzliche Rentenversicherung, bei der die sogenannte Beitragsbemessungsgrenze erst bei höheren Einkommen greift. Baehrens plädiert auch dafür, Einnahmen wie Kapitaleinkünfte und Mieteinnahmen in die Beitragsberechnung stärker miteinzubeziehen. So könne das Prinzip, starke Schultern tragen mehr, besser umgesetzt werden, so die SPD-Politikerin.
Grüne wollen mehr Steuermittel
Die Grünen unterstützen die Vorschläge. "Wir werden eine gerechtere Beitragsbemessung brauchen", sagt die gesundheitspolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion, Kordula Schulz-Asche, im Interview mit dem ARD-Hauptstadtstudio.
Zudem wollen die Grünen mehr Steuergelder in die Hand nehmen, "sonst werden wir das als Gesellschaft nicht schaffen", so Schulz-Asche. Auch die SPD glaubt, dass in Zukunft mehr Steuergelder eingesetzt werden müssen, damit die Pflege für die Menschen bezahlbar bleibt.
FDP lehnt Vorschläge der Ampel-Partner ab
Der Koalitionspartner FDP sieht das wenig überraschend anders. Der pflegepolitische Sprecher der Liberalen im Bundestag, Jens Teutrine, betont: "Ich bin bei Steuerzuschüssen skeptisch. Und Steuerzuschüsse führen dazu, dass ich woanders sparen muss." Nicht nur Skepsis, sondern ein klares Nein bekommen die anderen Vorschläge von SPD und Grüne, wie beispielsweise höhere Einkommen stärker zu belasten.
Stattdessen wollen die Liberalen an verschiedenen anderen Hebeln ansetzen. Kurzfristig könne Geld gespart werden, indem keine neuen Verbesserungen der Leistungen beschlossen werden - auch wenn sie wünschenswert wären. "Da sollten wir zurückhaltender sein", mahnt Teutrine. Zumindest so lange keine strukturellen Reformen für die Finanzierung der Pflege vorliegen.
Langfristig soll jeder Bürger privat vorsorgen, fordert der FDP-Politiker: "Dass man selbst zum Beispiel Versicherungen zusätzlich abschließt, dass man in die Vorsorge geht." Dabei sollen Menschen mit wenig Geld vom Staat unterstützt werden. SPD und Grüne halten von diesen Plänen aber wenig - auch weil bisherige Versuche, eine private Pflegevorsorge zu etablieren, scheiterten.
Immerhin eine Gemeinsamkeit zwischen den Koalitionspartnern lässt sich erkennen: die Forderung, die Zahl der Beitragszahler zu erhöhen. Allerdings will die FDP nicht wie von SPD und Grünen vorgeschlagen die gesetzliche und private Pflegeversicherung zusammenführen. Vielmehr wollen die Liberalen mit mehr Beschäftigung für mehr Beitragszahler sorgen.
Jeder Facharbeiter aus dem Ausland, jeder Arbeitslose und Schulabgänger ohne Abschluss, der den Weg in den Arbeitsmarkt findet, werde zum Beitragszahler. "Und wir haben ein erhebliches Potenzial bei Frauen", so FDP-Politiker Teutrine, von denen viele wegen mangelnder Kinderbetreuungsmöglichkeiten in Teilzeit arbeiten würden. "Das sind alles Hebel, um gegen den demografischen Wandel etwas zu tun."
GKV-Spitzenverband: Bundesregierung ist Teil des Problems
Der Spitzenverband der gesetzlichen Kranken- und Pflegekassen (GKV-Spitzendverband) sieht noch einen anderen milliardenschweren Hebel, um den Druck von der gesetzlichen Pflegeversicherung zu nehmen. Der Vorwurf: Die Bundesregierung wälze versicherungsfremde Kosten auf die Pflegekasse ab und mache damit die Finanzierungsprobleme erst groß.
Zum Beispiel die Altersansprüche für pflegende Angehörige: Diese werden derzeit aus der Pflegeversicherung gezahlt. Das war bereits unter der Großen Koalition so.
Die Kosten müssten aus einem anderen Etat wie der Rentenkasse übernommen werden, erklärt Gernot Kiefer aus dem Vorstand des GKV-Spitzenverbands. Er wirft der Politik eine "Wild-West-Finanzpolitik" vor: "Es kann nicht auf Dauer Lösung sein, dass man nach Beliebigkeit, je nachdem wie der Bundeshaushalt gerade aussieht, Dinge in die Pflegeversicherung schiebt, die da nicht hingehören." Rund acht Milliarden Euro würden der Pflegekasse durch die versicherungsfremden Kosten fehlen.
Bundesregierung muss bis Ende Mai liefern
Die Grünen wollen das ändern, die SPD auch. Doch Bundesgesundheitsminister Lauterbach ist bisher nicht tätig geworden. Noch bis zum 31. Mai hat die Bundesregierung Zeit, konkrete Empfehlungen für eine "stabile und dauerhafte Finanzierung der sozialen Pflegeversicherung" vorzulegen. So steht es im Pflegeunterstützungs- und -entlastungsgesetz, das der Bundestag im Sommer verabschiedet hat.