Digitale Verwaltung Warum der "Behörden-Booster" klemmt
Per Mausklick zum Elterngeld, Wohngeld oder Kfz-Anmeldung - eine digitale Verwaltung war der Plan. Doch daraus wird so schnell nichts. Der Frust bei den Kommunen ist groß, manche gehen eigene Wege.
Es dürfte die wenigsten überraschen, ist am Ende aber doch bemerkenswert, wie deutlich Deutschland seine staatlichen Digitalisierungsziele verfehlt. Eigentlich sollten Anträge bei Behörden vom neuen Jahr an per Mausklick möglich sein - ob Elterngeld, Bauantrag oder Aufenthaltstitel. Doch von den insgesamt 575 Verwaltungsleistungen sind lediglich 33 in Deutschland flächendeckend online verfügbar. Das teilte das Bundesinnenministerium auf Anfrage mit.
Fünf Jahre hatte der Staat Zeit für die Umsetzung des Online-Zugangsgesetzes, kurz OZG. Die 575 staatlichen Dienstleistungen sollten arbeitsteilig digitalisiert werden: ein Teil direkt vom Bund; der Großteil in einem föderalen Programm. In 14 Themenfeldern übernehmen dabei jeweils ein Bundesministerium sowie ein Bundesland die Federführung; dazu kommen Projektkommunen, die miteinbezogen werden. So weit, so komplex.
Um im Mammutprojekt besser voranzukommen, haben sich Bund und Länder Mitte des Jahres auf 35 Verwaltungsleistungen geeinigt, die mit Priorität zum Jahresende digital umgesetzt werden sollen. Doch von diesen "Booster-Leistungen" sind gerade einmal drei in allen Bundesländern verfügbar, wie das Bundesinnenministerium mit Verweis auf den aktuellsten Stand von Anfang November mitteilt.
Umständliche analoge Arbeitsabläufe
Was ist schiefgelaufen? Antworten finden sich im Jahresbericht des Nationalen Normenkontrollrats. Das Gremium setzt sich für den Bürokratieabbau in Deutschland ein. Die Liste des Rats, warum der Staat beim OZG scheitert, ist lang. In Kürze: schleppender Datenaustausch, unzählige beteiligte Akteure, Softwarewildwuchs bei den 11.000 deutschen Kommunen.
"Der größte Kritikpunkt ist, dass der Bund nicht von seinem Recht Gebrauch gemacht hat, Standards zu setzen", sagt der Vorsitzende des Normenkontrollrats, Lutz Goebel. "Man bekommt eine komplexe Software-Landschaft nur zusammen, wenn man eine gemeinsame Software mit Schnittstellen etabliert. Wenn Sie darüber nur diskutieren und nichts vorgeben, ist das schlecht."
"Letztlich ist das ein Koordinierungsversagen der öffentlichen Hand", bilanziert Michael Mätzig, geschäftsführender Direktor des Städtetags in Rheinland-Pfalz. Ein gutes Projektmanagement habe von Anfang an gefehlt. "Jeder hat einfach losdigitalisiert." Dabei sei es auch verpasst worden, die Abläufe innerhalb der Behörden zu hinterfragen und zu verschlanken.
Eine Anerkennung von ausländischen Berufsqualifikationen zum Beispiel umfasst im OZG mehr als 100 mögliche Einzelaktionen. Die umständlichen analogen Arbeitsabläufe der Verwaltungen seien teils "1:1 digitalisiert worden", klagt Mätzig. Wobei "digital" beim OZG auch bedeuten kann, wie er betont, dass ein Antrag bei einer Behörde per Mausklick gestellt werden kann - alles andere dann aber weiter auf Papier bearbeitet wird.
Frust bei den Kommunen
Entsprechend tief sitzt der Frust auch bei den Kommunen. "Die Projektstruktur ist viel zu kompliziert", sagt Anne Niedecken, verantwortlich für die Digitalisierung der Stadt Ludwigshafen in Rheinland-Pfalz. Das werde beim Online-Zugangsgesetz vor allem bei der vorgesehenen arbeitsteiligen Umsetzung deutlich. Die funktioniert nach dem Motto: Eine Kommune beziehungsweise ein Bundesland soll eine digitale Verwaltungslösung entwickeln und sie danach allen anderen zur Verfügung stellen.
Nur: "Was für eine kleine Kommune in Mecklenburg-Vorpommern funktioniert, funktioniert bei uns nicht unbedingt", sagt Niedecken. Denn es gelten noch immer unterschiedliche Landesgesetze, die sich auf die Digitalisierung auswirken. Hinzu kommt - wie auch der Normenkontrollrat kritisiert - dass einheitliche Software fehlt.
"Wir haben den Föderalismus digitalisiert", fasst die städtische Bereichsleiterin zusammen. "Das kann eigentlich nicht gut gehen."
Von den priorisierten "Booster-Leistungen" werden deswegen in Ludwigshafen zum Jahreswechsel nur zwei zur Verfügung stehen: die Kfz-An- und Ummeldung sowie das BAföG. Daneben gebe es noch das Elterngeld, das sei in Deutschland allerdings noch nicht "vollständig digital", erzählt Niedecken. Das heißt: Eltern können den Antrag zwar am PC ausfüllen - müssen ihn dann aber ausdrucken und unterschreiben.
Andere Leistungen seien in Ludwigshafen bereits komplett online verfügbar. Doch vor allem im Bereich der Ausländerbehörde wartet die Stadt auf Anwendungen, die im Rahmen des OZG andernorts entwickelt werden. "Ludwigshafen hat einen hohen Migrationsanteil", sagt Niedecken. Digitale Lösungen würden der Verwaltung den Alltag erleichtern.
Nachfolgeregelung im Gespräch
In Rheinland-Pfalz soll daher vieles in Eigenregie passieren. 50 Dienstleistungen seien hier mittlerweile von Kommunen digitalisiert worden, die demnächst im ganzen Bundesland ausgerollt werden sollen, erzählt Städtetag-Direktor Michael Mätzig. Entsteht hier der nächste Wildwuchs? Nein, sagt Mätzig, zumindest die Nachbarbundesländer wie Hessen oder das Saarland benutzten bereits die gleiche Software.
Den Kommunen geht die Geduld aus. "Wir haben ja Druck. Die Bürgerinnen und Bürger warten darauf", sagt Mätzig. "Wir wollen nicht länger warten, bis Bund und Länder die Leistungen entwickelt haben."
Auf bundespolitischer Ebene wird nun die Nachfolgeregelung diskutiert - das OZG 2.0. Einen Entwurf dazu hatte das Onlinemedium Netzpolitik.org vor Kurzem veröffentlicht. Verpflichtende zeitliche Vorgaben zur Umsetzung der Staatsdigitalisierung sind darin jedoch nicht mehr zu finden.
Lutz Goebel vom Nationalen Normenkontrollrat kritisiert das und fordert eine umfassende Aufarbeitung der Fehler: einen runden Tisch mit Bund, Länder und Kommunen, damit es beim OZG 2.0 besser läuft. "Deutschland wird bei der Digitalisierung immer weiter abgehängt, wenn wir jetzt einfach so weiterwurschteln."