Ministerpräsidentenkonferenz Mit Macht gegen Berlin
Zu den Vermächtnissen der Pandemie gehört zweifellos die Bekanntheit von Ministerpräsidentenkonferenzen. Statt Corona geht es nun um die Flüchtlingspolitik. Über einen Gesprächskreis mit viel Machtbewusstsein.
Eigentlich ist es nicht der Rede wert, wenn Bodo Ramelow auf seinem Handy spielt, Jens Spahn einen Schokoladenriegel isst oder Olaf Scholz "schlumpfig" grinst. Eigentlich. Es sei denn, all das ereignet sich während der Ministerpräsidentenkonferenz. So geschehen in den vielen Runden der Länderchefs und -chefinnen mit dem Bund in der Pandemie.
Die Pandemie ist zwar abgeebbt, aber zu ihren Vermächtnissen zählt zweifellos, dass die ganze Republik nun die Ministerpräsidentenkonferenz kennt. Die MPK, wie sie kurz genannt wird, war der Fixpunkt, inoffizielles Lagezentrum, hier wurde beraten, gestritten und entschieden. Freiheit gegen Gesundheitsschutz, bundesweite Regeln gegen Flickenteppich. Gelegentlich auch mit harten Bandagen.
Lange Zeit hatte die Öffentlichkeit von diesem Gesprächskreis, der seit 1954 existiert, wenig Notiz genommen. Das änderte sich schlagartig, als sich die Republik einigermaßen unvorbereitet dem grassierenden Covid-19-Erreger gegenüber sah. Nun musste die Politik schnell handeln, mussten Bund und Länder sich in Windeseile abstimmen. Die Ministerpräsidentenkonferenz hatte quasi über Nacht ihre Bestimmung gefunden.
Aufgeheizte Stimmung
In diesen Tagen sind es die Folgen des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine, die die Agenda bestimmen. Fragen etwa, wie Deutschland die vielen Flüchtlinge unterbringen kann - aus der Ukraine, aber auch aus anderen Herkunftsländern. Wieder treffen sich die Länder mit dem Kanzler.
Stephan Weil, Ministerpräsident in Hannover und derzeit Vorsitzender der MPK, mahnt eine stärkere finanzielle Beteiligung Berlins an den Kosten an. "Vom Bund muss in dieser Hinsicht mehr kommen", sagte der SPD-Politiker bereits im März nach einer MPK. "Das werden sicherlich keine einfachen Gespräche werden."
Es klingt nach Showdown
Damit niemand Zweifel hat, dass es die Länderrunde ernst meint, legten zwei Unions-Schwergewichte im Länderkreis nach: Bayern und NRW. Als Markus Söder und Hendrik Wüst im April eine gemeinsamen Pressekonferenz in München geben, machen sie aus ihrem Unmut über die Flüchtlingspolitik des Bundes keinen Hehl.
Wüst warnte davor, "dass die Bundesregierung wortbrüchig wird". Man würde die Menschen, die nach Deutschland kommen und die Kommunen im Stich lassen. Der CDU-Politiker droht: "Das werden wir zu verhindern wissen." Wieder klingt es nach Showdown auf der MPK. Seitdem hat sich die konfrontative Stimmung zwischen Bund und Ländern nur weiter aufgeheizt.
"Konferenz der kleinen Könige"
Einen interessanten Einblick in das Selbstverständnis der Runde gab ihr Vorsitzender Weil kürzlich. "Wir haben heute eine normale MPK gehabt", sagte er. Und setzte nach: "Also ohne Bundesregierung." Es sei weniger dramatisch zugegangen. Die Botschaft: Wenn die Länder unter sich sind, ist man sich schnell einig - vor allem, wenn es gegen den Bund geht.
Dass die Ministerpräsidentenkonferenz eine machtbewusste Runde ist, ist kein Geheimnis. Die "Welt" schrieb schon vor vielen Jahren, dass es sich um eine "Konferenz der kleinen Könige" handele. Die 16 Regierungschefinnen und -chefs sind zugleich auch oberste Repräsentantinnen und Repräsentanten.
Treffen mit den Ministerpräsidenten der Länder und der Bundesregierung im Kanzleramt in Berlin.
Führunsgreserve für die Berliner Bühne
Mal verspottet als Oberregierungspräsidenten, weil Landespolitik aus Berliner Sicht doch vor allem aus Verwaltungshandeln besteht. Mal zu beobachten als kraftstrotzende Anwärter auf Höheres. Denn wer ein Bundesland regiert, kann nach eigenem Verständnis natürlich grundsätzlich auch die Republik regieren. In gewisser Hinsicht sind sie die zeitgemäße Version der Fürsten und Herzöge von einst. Führungsreserve für die Berliner Bühne. Mindestens viermal im Jahr treffen sie sich, zweimal davon mit Kanzler oder Kanzlerin.
Anders als der Bundesrat ist die MPK dem Grundgesetz nicht bekannt. "Die Ministerpräsidentenkonferenz ist kein Verfassungsorgan", schreibt das derzeitige Vorsitzland Niedersachen und verweist darauf, dass die Beschlüsse rechtlich nicht bindend seien. Rechtlich nicht - politisch sind sie es aber sehr wohl. Was aber auch einzelne Länder in der Pandemie nicht daran gehindert hat, sich schon am nächsten Tag von den gemeinsamen Beschlüssen zu verabschieden oder sie zumindest eigenwillig auszulegen.
Selbstbewusste Länder
Für die Beteiligung der Länder an der Gesetzgebung sieht die Verfassung den Bundesrat vor. Im Streitfall soll der Vermittlungsausschuss schlichten. Das allerdings geschah in der jüngeren Vergangenheit seltener als etwa noch vor zehn Jahren. Eine "Vorklärung" wichtiger Gesetze in der MPK kann das Leben also leichter machen.
Das Selbstverständnis der deutschen Länder ist ambivalent. Einerseits ist man Staat im Staate, Teil des Bundesstaates. Alles muss geteilt werden: das Geld, die Zuständigkeiten, die Kompetenzen und das Personal. Trotzdem pocht man auf Eigenständigkeit.
Die Bevölkerung dagegen wünscht sich praxistaugliche Einheitlichkeit von Flensburg bis Passau. Von "gleichwertigen Lebensverhältnissen" spricht das Grundgesetz. Daran haben sich die Länder zu orientieren. Der frühere Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) sah in der MPK und den vielen Fachministerkonferenzen deshalb einen "Ausdruck des schlechten Gewissens" der Länder, diesem Wunsch der Menschen zu entsprechen.
Berlin ist weit weg
Vom ehemaligen NRW-Ministerpräsidenten Armin Laschet stammt der Satz: "Nicht der Bund hält sich die Länder, sondern die Länder halten sich den Bund." Das ist Ausdruck des Selbstbewusstseins der Länder. Sie sind historisch älter als der Nationalstaat.
Auch nach dem Krieg machten die Länder den Anfang. Der Ellwanger Kreis aus Ländervertretern, vornehmlich der CDU, kam bereits 1947 im Kreis Aalen zusammen. Die "Rittersturz-Konferenz" in Koblenz traf sich 1948. Dort ebneten die Länder den Weg zum Verfassungskonvent im selben Jahr und später zum parlamentarischen Rat, der bis 1949 in Bonn das Grundgesetz ausarbeitete.
Bis heute sind die Länder der Ansicht, dass sie von praktischer Politik mehr verstünden als der Bund. Berlin sei schließlich weit weg, die Länder kennen die Probleme vor Ort, sie haben die Verwaltungen. In Berlin kann man sich viel wünschen - vor Ort weiß man, wie es geht. Das ist eine Grundmelodie des deutschen Föderalismus. Auf der MPK dürfte sie wieder erklingen.