Bundestag und Bundesrat Ja zu LNG-Terminal auf Rügen - und viel Kritik
Bundestag und Bundesrat haben die Aufnahme des Hafens Mukran als Standort für ein LNG-Terminal in das entsprechende Gesetz beschlossen. Die Kritik an den Plänen hält jedoch an, nicht nur bei der Opposition.
Als um 9 Uhr der Gong im Plenarsaal des Bundestags ertönt, erheben sich die Abgeordneten, darunter auch Anna Kassautzki. Sie ist SPD-Bundestagsabgeordnete und vertritt die Interessen des Wahlkreises Vorpommern-Rügen/Vorpommern-Greifswald I. Sie erhielt ein Direktmandat. Zu ihrem Wahlkreis gehört auch die Insel Rügen.
Kassautzki schaut also mit einem besonderen Blick auf die Debatte und die anschließende namentliche Abstimmung, die die Fraktion von CDU/CSU und Linke gefordert hatten. Es geht um die Änderung des LNG-Beschleunigungsgesetzes, insbesondere ob der Hafen Mukran auf Rügen in das Gesetz aufgenommen wird.
Das würde bei einem Ausbau eines LNG-Terminals ein schnelles Planungsverfahren ermöglichen, weil der Standort dann unter das LNG-Beschleunigungsgesetz fallen würde. Allerdings ist der Hafen Mukran, der zur Stadt Sassnitz auf Rügen gehört, als Standort nicht nur unter Bundestagsabgeordneten umstritten.
Politische Lektion gelernt?
Das weiß auch Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne), der auf Rügen die geballte Ablehnung vieler Inselbewohner im April zu spüren bekam. Als erster Redner der heutigen Debatte wirbt er dennoch für Mukran als Standort. Sein Hauptargument ist die Versorgungssicherheit. "Man sollte sich nicht darauf verlassen, dass immer alles gut geht", sagt er. Das sei die politische Lektion, die man gelernt habe.
Deshalb sei ein LNG-Standort auf Rügen nötig und die LNG-Versorgung zudem nur eine Brücke hin zu einer zukünftigen Wasserstoffversorgung.
FDP: "Energiekrieg" noch nicht vorbei
Der FDP-Abgeordnete Felix Kruse mahnt, dass der "Energiekrieg" noch nicht vorbei sei. "Wollen wir darauf warten, auf die Gasmangellage?", fragt er und führt weiter aus: "Nein, wir warten nicht ab, bis der Osten bedroht ist, bis Bayern bedroht ist, wir sorgen für ausreichend Kapazitäten, damit wir nicht angreifbar sind" - das gleiche Argument, das Habeck zuvor angeführt hat, nur deutlich emotionaler.
Auch Bengt Bergt (SPD) argumentiert mit der Vorsorge und bemüht ein englisches Sprichwort: "There is no glory in prevention." Frei übersetzt: Es liegt kein Ruhm in der Prävention. Zusätzliche Kapazitäten seien erforderlich, weil das Gas nach Ost- und Mitteleuropa transportiert werden müsse. Das sei nicht anders möglich, da man nicht über die richtigen Leitungen verfüge, die von West nach Ost verlaufen.
Widerspruch der Opposition
Ralph Lenkert von der Fraktion Die Linke rechnet der Regierung vor, dass es überhaupt keine Gasmangellage gebe, die einen weiteren Standortausbau rechtfertigen würde. Zudem hätten die Gasanbieter ihre Leitungen so umgebaut, dass sehr wohl Gas von West nach Ost und in die andere Richtung transportiert werden könne.
"Der Kanzler hat entschieden, eine Ferieninsel wird LNG-Standort. Basta", ruft Oliver Grundmann von der CDU/CSU-Fraktion vom Rednerpult Richtung Regierungsbank. Dabei gehört Grundmann zu den Politikern, die LNG befürworten. Er selbst hat sich immer für einen Standort im niedersächsischen Stade eingesetzt. Auch die AfD argumentiert, dass der Tourismus bedroht werde, sollten zwei Regasifizierungsschiffe (FSRU) in Mukran im Hafen stationiert werden.
Aufmerksam verfolgt Anna Kassautzki die Debatte - doch die Argumente für den Standort Mukran überzeugen sie nicht. In ihrer persönlichen Erklärung, die dem ARD-Hauptstadtstudio vorliegt, schreibt sie unter anderem: "Sogar mir als direkt gewählte Bundestagsabgeordnete ist immer noch nicht klar dargelegt worden, ob dieser Bedarf tatsächlich besteht. Gutachten, bspw. des DIWs und des EWIs kommen zu dem Schluss, dass diese Kapazitäten nicht gebraucht werden. In meinen Augen besteht die reale Gefahr, dass wir uns weiter an fossile Energieträger binden und damit neue Lock-In-Effekte und Abhängigkeiten schaffen."
Eine Insel wehrt sich
Das Ergebnis der namentlichen Abstimmung ist noch nicht bekannt gegeben, da meldet sich der Prozessbevollmächtigte der Gemeinde Ostseebad Binz, Reiner Geulen, per Pressemitteilung zu Wort: Man werde gegen die geplante Errichtung der Anlagen vor dem Bundesverwaltungsgericht eine Einstweilige Anordnung mit dem Ziel des vorläufigen Baustopps beantragen. Zudem sei eine zeitnahe Fertigstellung der geplanten Anlagen auf absehbare Zeit nicht möglich, selbst wenn man eine "Gasnotlage" unterstelle, heißt es in dem Schreiben.
In der namentlichen Abstimmung nach der Debatte stimmen im Bundestag 369 Abgeordnete für eine Aufnahme des Standorts Mukran in das LNG-Beschleunigungsgesetz. Kassautzki gehört zu den 300 Abgeordneten, die mit Nein stimmen. Es gibt vier Enthaltungen.
Landesregierung geht auf Abstand
Nach der Abstimmung im Bundestag ist das LNG-Beschleunigungsgesetz der letzte Tagesordnungspunkt im Bundesrat. Dort wirbt Till Backhaus, SPD-Umweltminister in Mecklenburg-Vorpommern, darum, dass der Bundesrat in Sachen LNG-Beschleunigungsgesetz den Vermittlungsausschuss anruft. Sein Antrag wird von der Mehrheit des Bundesrates abgelehnt.
Backhaus macht die Bundesregierung dafür verantwortlich, dass der Widerstand auf der Insel so groß ist. "Die mangelnde Kommunikation und die Transparenz, die die Bundesregierung hier zu verantworten hat, ist Schuld an dieser doch nicht unerheblichen Auseinandersetzung", sagt er. Die Menschen fühlten sich übergangen und in Teilen an alte Zeiten erinnert, wo man sie nicht mitgenommen und sie vor vollendete Tatsachen gestellt habe. Man sei grundsätzlich bereit, ein neues Terminal zu begleiten. Für Mukran spricht er sich allerdings nicht aus, sondern bringt den Standort Rostock ins Gespräch.
Es wird an diesem Freitagnachmittag im Bundesrat klar: Robert Habeck kann für das von der Bundesregierung geplante LNG-Terminal im Hafen Mukran wohl nicht auf die Unterstützung der Landesregierung Mecklenburg-Vorpommerns bauen. Backhaus stellt auch noch mal klar: Die alleinige Verantwortung für den Standort Mukran liege beim Bund.
In einer früheren Version stimmten die Zahlen des Abstimmungsergebnisses nicht. Wir haben dies entsprechend korrigiert.
Mehr zum Hintergrund dieser und anderer Korrekturen finden Sie hier: tagesschau.de/korrekturen