Lauterbachs Pläne Warum die Klinikreform schwierig wird
Teuer, marode, ineffizient: Eine Krankenhausreform soll den Kollaps verhindern. Heute beraten die Gesundheitsminister über ein Konzept. Woran krankt das System - und was ist geplant?
Der Druck ist enorm: Von einer Pleitewelle in der Krankenhauslandschaft ist die Rede. Eine Reform ist dringend nötig. Ein Konzept liegt vor. Heute diskutiert Gesundheitsminister Karl Lauterbach mit seinen Kolleginnen und Kollegen aus den Ländern über die Pläne.
Warum sind die Pläne ein Aufreger?
Weil es um viel geht: Zum einen um die Gesundheitsversorgung, von der Notfallversorgung in Rettungsstellen über die Basisversorgung in kleineren Krankenhäusern bis hin zur Behandlung in hochspezialisierten Kliniken. Zum anderen sind Milliardensummen im Spiel, die für die Finanzierung der Krankenhäuser aufgebracht werden müssen.
Zudem ist es ein komplexes System. Verschiedene und zum Teil mächtige Player mit unterschiedlichen Interessen sind beteiligt: Krankenkassen, die das Geld der Versicherten zusammenhalten wollen; Kliniken, die eine auskömmliche Finanzierung erwarten; Landesregierungen, die auf ihre Kompetenz bei der Krankenhausplanung pochen; Landräte, die auf keinen Fall Krankenhäuser schließen möchten.
Doch das System gilt als teuer, marode und ineffizient. Die letzte große Reform liegt 20 Jahre zurück. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach will die Kliniklandschaft und deren Finanzierung deshalb mit einer Krankenhausreform neu aufstellen. Es ist eine Mammutaufgabe. Experten gehen davon aus, dass auch Krankenhausschließungen und eine Zusammenlegung von Kliniken nötig sein werden. Widerstände von den verschiedenen Akteuren in der Gesundheitsbranche sind programmiert.
Wie ist die Krankenhausfinanzierung derzeit geregelt?
Die Krankenhausfinanzierung ist in Deutschland aufgeteilt und erfolgt im Wesentlichen aus zwei Quellen: Der Bund ist für die Betriebskosten der Kliniken zuständig, die über die Krankenkassen finanziert werden. Dazu zählen alle Kosten, die für die Behandlung von Patienten in Kliniken entstehen, etwa die Kosten für Personal, Medikamente, Verpflegung und Instandhaltung.
Die Kosten für Investitionen, also für Neubauten, Sanierungen oder Maßnahmen wie etwa den Umbau einer Notaufnahme oder den Bau eines Hubschrauberlandeplatzes müssen dagegen die Bundesländer tragen. Das hat auch den Hintergrund, dass die Länder entscheiden, wo ein Krankenhaus gebaut, erweitert oder geschlossen wird. Diese "duale Finanzierung" wurde 1972 mit dem Krankenhausfinanzierungsgesetz eingeführt mit dem Ziel "wirtschaftliche Sicherung der Krankenhäuser". Das System ist umstritten.
Was ist Sache der Länder?
Die Länder sind zuständig für die Krankenhausplanung. Dazu erstellen sie Landeskrankenhauspläne und Investitionsprogramme. Wenn Krankenhäuser in einen Landeskrankenhausplan aufgenommen werden, sind die Krankenkassen zur Erstattung der Behandlungskosten in diesen Kliniken verpflichtet. Für die Förderung von Krankenhausneubauten ist die Aufnahme in ein Investitionsprogramm des jeweiligen Landes erforderlich. Die Länder stehen seit Jahren in der Kritik, weil sie ihrer Verpflichtung zur auskömmlichen Finanzierung der Investitionskosten in den vergangenen Jahren immer weniger nachkommen. Laut Verband der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) lag die Investitionsquote der Länder im Jahr 1972 noch bei 25 Prozent und sank jahrelang auf etwa drei Prozent im Jahr 2020. Die Höhe der Investitionen unterscheidet sich dabei von Bundesland zu Bundesland.
Wie viel Geld kommt von den Kassen und vom Bund?
Die Kosten für die Krankenhausleistungen sind laut GKV seit Jahren der größte Ausgabenposten im Budget der Krankenkassen. Etwa jeder dritte Euro fließt demnach in die Kliniken. Und die Kosten steigen von Jahr zu Jahr: Von knapp 75 Milliarden Euro im Jahr 2017 auf mehr als 85 Milliarden Euro im Jahr 2021. Für das gesamte vergangene Jahr liegen die Zahlen noch nicht vor. In den ersten drei Quartalen 2022 hat die GKV etwa 65 Milliarden Euro für Krankenhausbehandlungen ausgegeben, im Vorjahreszeitraum 2021 waren es rund 63 Milliarden Euro.
In der Corona-Pandemie hat der Bund die Kliniken finanziell unterstützt, damit sie Betten für die Behandlung von Covid-19-Patienten freihalten. Für Einnahmeausfälle aufgrund verschobener oder ausgesetzter planbarer Operationen und Behandlungen erhielten Krankenhäuser Ausgleichszahlungen. Für die Behandlung von Corona-Patienten gab es einen Versorgungsaufschlag. Insgesamt wurden die Krankenhäuser in der Zeit mit 22 Milliarden Euro vom Bund unterstützt. Die Ausgleichszahlungen endeten im April 2022, die Versorgungsaufschläge im Juni 2022.
Welche aktuellen Probleme gibt es?
Zum einen strukturelle Probleme wie die Unterfinanzierung bei den Investitionen und wie der seit Jahren bestehende Kostendruck durch die sogenannten Fallpauschalen. Zum anderen externe Schocks wie zuletzt die Corona- und nun die Energiekrise. Die Kostensteigerungen durch Energiekrise und Inflation haben viele Kliniken in finanzielle Schieflage gebracht.
Zudem klagen viele Krankenhäuser über Personalmangel. Die Personalnot führt auch zu weiterem Kostendruck, weil Kliniken mit weniger Personal auch nur weniger "Fälle" behandeln können. Durch die reduzierten Fallzahlen können also auch nur weniger Behandlungen bei den Krankenkassen abgerechnet werden, was zu Einnahmeausfällen führt.
Was haben die Fallpauschalen damit zu tun?
Seit 2004 rechnen die Kliniken auf Basis sogenannter diagnosebezogener Fallpauschalen mit den Krankenkassen ab. Diese Fallpauschalen werden - der Name sagt es - pro behandelten Fall ausgezahlt. Dabei werden Diagnosen in "Fallgruppen" eingeteilt und pauschal vergütet. Ziel der Politik war es, die Wirtschaftlichkeit der Krankenhäuser zu erhöhen und die Verweildauer der Patienten im Krankenhaus zu verkürzen. Die Dauer der Behandlung oder wie viel Personal dafür eingesetzt werden muss, wird bei der Abrechnung nicht berücksichtigt. Das System erhöht also den ökonomischen Druck. Denn je mehr "Fälle" ein Krankenhaus im gleichen Zeitraum durchschleust, desto höhere Erlöse erzielt es.
Die Defizite dieses Systems zeigen sich besonders deutlich in den Kinderkliniken. Denn die Untersuchungen und Behandlungen der Kinder brauchen oft länger als bei Erwachsenen und es ist mehr Personal nötig. Das führt zu einer chronischen Unterfinanzierung. Auch kleine Kliniken im ländlichen Raum, die Grund- und Notfallversorgung anbieten, haben es schwer, genügend Fälle zu behandeln, um wirtschaftlich tragfähig zu sein. Benachteiligt werden auch große Krankenhäuser, wenn sie viele schwere, schlecht honorierte "Fälle" und Patienten mit seltenen Erkrankungen versorgen.
Wie viele Kliniken sind am Limit?
Das ist schwer zu sagen. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) warnt vor einer "Insolvenzwelle". Demnach beurteilen nur noch sechs Prozent der Krankenhäuser ihre aktuelle wirtschaftliche Lage als gut. Die DKG verweist auf die inflationsbedingten allgemeinen Kostensteigerungen. Diese seien in den Preisen, die die Krankenhäuser gegenüber den Krankenkassen abrechnen dürfen, nicht abgebildet. Die DKG geht von einem strukturellen Defizit von rund 15 Milliarden Euro aus. Die Rücklagen der Krankenhäuser seien aufgebraucht. Die daraus resultierende fehlende Liquidität führe zu einer erhöhten Insolvenzgefahr.
Auch der Marburger Bund sieht Handlungsbedarf. Die Interessenvertretung der angestellten und beamteten Ärztinnen und Ärzte fordert eine Überbrückungsfinanzierung, bis die Krankenhausreform tatsächlich umgesetzt ist. Sonst drohten "regionale Versorgungsengpässe" und "unkontrollierte Krankenhausschließungen". Der Ärzteverband verweist auf die Ausgleichszahlungen während der Corona-Pandemie. Eine solche Gegenfinanzierung sei auch aktuell dringend nötig. Eine Möglichkeit sieht der Marburger Bund durch eine stärkere Berücksichtigung der inflationsgetriebenen Kostensteigerungen bei der Abrechnung mit den Krankenkassen.
Wie will der Bund gegensteuern?
Für Kinderkliniken und Geburtshilfe beschloss der Bundestag bereits im Dezember erste Maßnahmen. Sie sollen 2023 und 2024 zusätzliche Gelder erhalten: in der Geburtshilfe pro Jahr 120 Millionen Euro, für die Kinderkliniken sind für die beiden Jahre jeweils 300 Millionen Euro zusätzlich vorgesehen. Ebenso wurden die Hilfszahlungen für Krankenhäuser aufgrund der Energiekrise im Dezember vom Bundestag auf den Weg gebracht. Insgesamt sind dafür sechs Milliarden Euro vorgesehen.
Darüber hinaus will Lauterbach die Krankenhauslandschaft grundlegend umgestalten. Eine von ihm eingesetzte Kommission legte im Dezember Vorschläge vor, die der Gesundheitsminister nun umsetzen möchte. Das Gremium rät dazu, die derzeit dominierende Vergütung über Fallpauschalen deutlich zurückzufahren.
Stattdessen sollen die Vorhaltekosten, also zum Beispiel für Personal und Medizintechnik, stärker berücksichtigt werden. Die Kommission empfiehlt eine Aufteilung, die zu etwa 40 Prozent das Vorhalten von Leistungen berücksichtigt und zu 60 Prozent die Fallpauschalen. In Bereichen wie der Geburtshilfe, Kinderheilkunde und Intensivmedizin sollen die Fallpauschalen noch weniger Gewicht bei der Abrechnung haben.
Außerdem empfiehlt die Kommission, die Krankenhäuser in verschiedene Versorgungsstufen einzuteilen je nach ihrer Bedeutung. Kleine Krankenhäuser, die auf lokaler Ebene die wohnortnahe Grundversorgung gewährleisten, sollen eng mit niedergelassenen Ärzten zusammenarbeiten und komplett aus dem System der Fallpauschalen herausgelöst werden. Kliniken der Stufe 2 sollen die regionale Regel- und Schwerpunktversorgung übernehmen. Krankenhäuser der Stufe 3, etwa Unikliniken, würden in dem Modell die maximale Versorgung anbieten.
Zudem soll sichergestellt werden, dass nur solche Kliniken bestimmte Behandlungen durchführen, die ausreichend spezialisiert sind. Deshalb sollen kompliziertere Eingriffe nur noch abgerechnet werden dürfen, wenn Krankenhäuser die passende personelle und technische Ausstattung vorhalten, etwa in zertifizierten Krebszentren.
Wann kommt das?
Das wird dauern. Bisher liegen nur die Vorschläge der Kommission auf dem Tisch. Die Experten schlagen eine Übergangsphase von fünf Jahren vor. Bundesgesundheitsminister Lauterbach muss erst einmal eine gesetzliche Regelung formulieren. Dabei muss er unter anderem auch die Länder einbeziehen. Auch wenn die Abschwächung der Fallpauschalen begrüßt wird, pochen die Länder auf ihre Kompetenz bei der Krankenhausplanung. Widerstand kommt vor allem aus den unionsgeführten Flächenländern Nordrhein-Westfalen und Bayern, die Eingriffe durch den Bund befürchten.
Der bayerische Gesundheitsminister Klaus Holetschek fordert eine umfassende Folgenabschätzung. Es dürfe nicht passieren, dass "notwendige Versorger in der Fläche in wichtigen Leistungsbereichen vom Netz gehen" müssten. Zudem gibt es Kritik, dass die Reform nicht ausreichend finanziert sein könnte.
Lauterbach geht davon aus, dass die Reform ohne zusätzliche Gelder umgesetzt werden kann. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft sieht das anders. Auch der nordrhein-westfälische Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann sagt, dass für eine echte Veränderung auch mehr Geld in die Hand genommen werden müsse. Das knappe Geld lediglich neu zu verteilen, könne die Verhältnisse nicht verändern.