Eine Intensiv-Pflegerin versorgt einen schwer an Corona erkrankten Patienten auf der Intensivstation des Klinikums in Fulda (Archivbild).
interview

Mediziner Karagiannidis "Kliniken im Notfallmodus werden Winter-Alltag"

Stand: 28.12.2022 08:35 Uhr

Coronawellen, Personalprobleme, Atemwegserkrankungen: 2022 war aus Sicht von Medizinern anstrengend - aber auch das Jahr, in dem die Pandemie ausklingt. Es sei viel dazu gelernt worden, sagt Intensivmediziner Karagiannidis. Einiges ändere sich dauerhaft.

tagesschau.de: Im Februar 2022 hat uns die Omikron-Variante noch schwer beschäftigt. Die Welle ebbte dann langsam ab und im März fielen schon die ersten Corona-Beschränkungen weg. Wenn Sie an diese Zeit zurückdenken, was fällt Ihnen dann sofort wieder ein?

Christian Karagiannidis: Es war ambivalent: Es gab die Hoffnung, dass die Pandemie endlich ausläuft. Und wir hatten auf der anderen Seite noch immer ein bisschen die Sorge: Wie könnte sich Omikron weiterentwickeln? Wir hatten ja damals als Expertenrat auch drei Szenarien skizziert, wie die Pandemie weiterlaufen könnte. Und da war noch etwas Unwohlsein mit dabei im Frühjahr des Jahres.

Christian Karagiannidis
Zur Person

Christian Karagiannidis ist Facharzt für Innere Medizin, Pneumologie und Intensivmedizin und Leiter des ECMO-Zentrums an der Lungenklinik Köln-Merheim. Außerdem hat er an der Universität Witten/Herdecke eine Professur für extrakorporale Lungenersatzverfahren. Er war Mitglied im Corona Expertenrat der Bundesregierung und arbeitet aktuell in der Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung.

tagesschau.de: Wenn Sie auf die Situation der Medizinerinnen und Mediziner schauen, was war das für ein Gefühl? Erleichterung?

Karagiannidis: Ja, ganz klar. Wir hatten Ende 2021 mit der Delta-Welle ja so viele Patientinnen und Patienten mit einem so hohen Schweregrad wie zu keinem anderen Zeitpunkt der Pandemie. Die Leute waren wirklich durch und durch erschöpft und man merkte schon, dass irgendwann der Zeitpunkt da war, wo man Erleichterung spürte. Wobei es nicht nur mir so ging, dass man immer noch im Hinterkopf hat: Wird es jetzt noch mal so schlimm? Kann es vielleicht doch noch mal in die falsche Richtung gehen? Das war eher ein schleichender Prozess bis zum Sommer hin.

Problem Personalausfälle

tagesschau.de: Im Sommer kam ja dann etwas früher als erwartet und vielleicht auch etwas heftiger als gedacht eine weitere Welle auf uns zu. Wie haben Sie die wahrgenommen?

Karagiannidis: Wir haben die bei uns als ausgesprochen unangenehm wahrgenommen, nicht von Seiten der Patientinnen und Patienten. Das war eigentlich kein Problem, aber es war das erste Mal in diesem Jahr, dass wir breitflächig extreme Personalausfälle hatten. Das hat uns vor so große Herausforderungen gestellt, dass wir damals Betten sperren mussten über das hinaus, was wir ohnehin durch den Personalmangel haben. Das war über mehrere Wochen hinweg ein Riesenproblem. Und wir hatten ein unglaubliches Glück im Sommer, dass wir nicht so viele Patientinnen und Patienten hatten, weder durch Corona noch durch andere Infektionskrankheiten, wie wir es im Moment haben.

tagesschau.de: Und dann kam die Herbstwelle und dazu auch noch eine heftige Grippewelle. Das heißt, die Erkrankungen und die Probleme in den Krankenhäusern gingen eigentlich nahtlos ineinander über, oder?

Karagiannidis: Wir hatten zu Beginn des Herbstes noch mal eine etwas ruhigere Phase. Aber mit dem Beginn der RS-Virus-Welle bei den Kindern und der Influenza sind zwei Virus-Erkrankungen zusammengekommen, die sich sehr gut verbreitet haben. Denn wir hatten de facto keine wirklichen Maßnahmen mehr. Und wir haben gemerkt, dass diese Virus-Wellen erheblich früher waren, als wir das normalerweise gewöhnt sind.

Was uns zu schaffen gemacht hat, ist, dass zeitgleich viel Personal ausgefallen ist, und dass wir zunehmend Patientinnen und Patienten, insbesondere in den Notaufnahmen gesehen haben. Und unser Hauptproblem ist, dass einfach nicht mehr die Kapazitäten da sind, wie wir sie noch vor der Pandemie hatten.

"Haben ein paar gute Sachen gemacht"

tagesschau.de: Was nehmen Sie denn jetzt als Intensivmediziner aus diesem Jahr 2022 mit?

Karagiannidis: Wir haben ein paar gute Sachen gemacht und wir haben es auch geschafft, in der Pandemie Dinge zu etablieren, die wir über Jahre hinweg nicht etabliert bekommen haben. Ein Beispiel ist das Intensiv-Register, ein weiteres das Monitoring im Abwasser, was wir sicherlich noch weiter ausbauen sollten. Wir haben gelernt, dass Kliniken miteinander arbeiten können in Netzwerken. Das war auch in den Vor-Pandemie-Zeiten deutlich schwieriger.

Was ich aber hauptsächlich mitnehme, ist, dass wir nicht mehr den Zustand erreichen werden, wie wir ihn vor der Pandemie hatten. Wir haben alleine in der Intensivmedizin 25 Prozent der High-Care-Betten verloren, weil einfach kein Personal zur Verfügung steht. Und wir werden jetzt sukzessive jedes Jahr mit diesem Problem kämpfen, dass wir im Winter stärkere Infektionswellen haben, und dass diese auf immer weniger Kapazitäten im Gesundheitswesen treffen. Darauf werden wir uns extrem gut vorbereiten müssen. Und ich wage zu behaupten, dass wir in den nächsten Jahren sehen werden, dass wir im Winter einige Wochen haben werden, wo die Krankenhäuser in einen Notfallmodus gehen müssen und sich voll auf die Notfallversorgung konzentrieren.

Reformen sind möglich

tagesschau.de: Nehmen Sie irgendetwas aus diesem Jahr 2022 mit, was positiv ist?

Karagiannidis: Ja. Was wir gelernt haben, ist, dass wir einige Dinge in der Pandemie hatten - sei es das Intensiv-Register, sei es die bessere Zusammenarbeit der Krankenhäuser -, die in den Zeiten vor der Pandemie eher schlecht bis gar nicht funktioniert haben. Das stimmt mich hoffnungsvoll, dass wir das auch hinüberretten können in die nächsten Jahre, weil wir es sehr dringend brauchen werden.

Was wir auch gesehen haben, ist, dass dieser "Tanker Gesundheitswesen", der extrem schwer zu steuern ist in Deutschland, sich immer dann bewegen kann, wenn man wirklich eine tiefgreifende Krise hat. Und wir wissen alle, dass wir einen unglaublichen demografischen Wandel vor uns haben. Das wussten wir 2010 schon genauso wie heute. Damals waren Reformen so gut wie nicht möglich. Und jetzt in der Krise - und auch das stimmt mich hoffnungsvoll - merkt man, dass die Beteiligten doch bereit sind, sich tiefgreifenden Reformen zu widmen.

Die Regierungskommission zur Krankenhaus-Reformierung hat sich ja gerade erst mit einem grundlegenden Vorschlag geäußert, wie man die Vergütung in den Krankenhäusern so strukturiert, dass man den ökonomischen Druck rausnimmt und trotzdem die Bevölkerung breitflächig gut versorgt bekommt. Das stimmt mich positiv, aber es liegen schwierige Jahre vor uns.

Das Gespräch führte Anja Martini, Wissenschaftsredakteurin tagesschau. Es wurde für die schriftliche Fassung redigiert und gekürzt.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete tagesschau24 am 24. Dezember 2022 um 18:00 Uhr.