Erkältungssaison Wo Kinderkliniken an ihre Grenzen stoßen
In der Erkältungssaison steigt die Zahl kranker Kinder. Viele Krankenhäuser kommen an ihre Grenzen. Die Folge: Familien müssen in weiter entfernte Kliniken geschickt werden. Ärzte sagen, die Überlastung habe System.
Es ist jedes Jahr das gleiche Spiel: Wenn die Erkältungssaison beginnt, wird es knapp auf den Kinderstationen. Besonders in Ballungszentren zeigt sich dann, wie knapp die Kapazitäten in Deutschland sind. Es gibt viele kranke Kinder und oft zu wenig Plätze.
Frank Jochum, Chefarzt der Kinderklinik am Evangelischen Waldkrankenhaus Berlin-Spandau, sagt, dass es mehrfach pro Woche vorkommen kann, dass kranke Kinder mit ihren Eltern in der Notaufnahme sitzen und er sie nicht aufnehmen kann, weil schlicht keine belegbaren Betten frei sind. Dann beginnt die Suche nach einem Ersatzkrankenhaus: "Das heißt richtig Stress für das Team in der Notaufnahme. Der Patient ist noch da, das Team ruft dann eine Klinik nach der anderen an - das kann Stunden dauern, bis ein geeignetes Bett gefunden ist."
Findet sich ein Krankenhaus, das noch Kapazitäten hat, liegt das mitunter sehr weit entfernt. "Wenn die Kinder dann quer durch die Stadt oder aufs Land verschickt werden, ist das schwierig - gerade für Eltern, denen es wirtschaftlich nicht gut geht." Die Folge sind lange Fahrtzeiten, nur um die eigenen Kinder zu besuchen. "Wir haben in Berlin schon Kinder nach Magdeburg verschickt", sagt Jochum. Berlin und Magdeburg trennen rund 140 Kilometer.
Flächendeckendes Problem
Im benachbarten Brandenburg klagen Kinderärzte über die gleichen Probleme. Thomas Erler leitet eine Kinderklinik in Potsdam. Auch hier müssen manchmal Patienten weggeschickt werden. "Bei uns sind 80 Prozent der Patienten Notfälle. Die kann man nicht planen. Dafür muss man Personal vorhalten. Dadurch haben wir hohe Vorhaltekosten - die werden aber nicht adäquat erstattet. Das macht Kindermedizin aus wirtschaftlicher Sicht unattraktiv", sagt er.
Laut Burkhard Rodeck, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin, ist das Problem in ganz Deutschland vorhanden. Vor allem in Ballungszentren zeige sich der akute Mangel an freien Behandlungsplätzen: "Das führt dazu, dass kranke Kinder in Autos gesetzt und durch die Gegend gefahren werden - je nachdem, wo noch ein Bett frei ist. Von Dortmund nach Bonn, von Bonn nach Münster und hin und her."
Seit Jahren klagen Kinderärzte, dass das geltende Abrechnungssystem - die Fallpauschale - besonders die Medizin für die jüngsten Patienten benachteilige. Kliniken bekommen je nach Diagnose einen festen Satz, der Aufwand für Kinder als Patienten sei aber größer als für Erwachsene. Die Folge: Kinderkliniken haben höhere Kosten - bei gleichen Einnahmen.
Im Prinzip wie die Feuerwehr
Hinzu kommt, dass Kinder vor allem im Herbst und Winter stationär behandelt werden müssen. Immer dann, wenn die Atemwegserkrankungen sich breit machen. Rodeck erklärt: "Wir müssen das gesamte Personal aber das ganze Jahr durchfinanzieren. Das heißt, es wird wirtschaftlich immer schwieriger, Kinderkliniken zu betreiben. Lösen kann man das nur, wenn man die Vorhaltekosten in Kinderkliniken mit berücksichtigt. Das ist ähnlich wie bei der Feuerwehr. Die muss einfach einsatzbereit sein, egal ob und wann es brennt."
Das Bundesgesundheitsministerium plant nun, nachdem Ärzte jahrelang geklagt und Brandbriefe geschrieben haben, erste Reformen. So sollen Kinderkliniken eine erhöhte Fallpauschale erhalten. Das systematische Problem lösen diese Gesetzesänderungen aber wohl nicht.
5000 Fachkräfte fehlen
Und es kommt noch ein weiteres Problem hinzu: In der Kindermedizin fehlen besonders viele Pflegekräfte. 5000 Fachkräfte fehlen Berechnungen zufolge aktuell, Tendenz steigend. Freie Stellen könnten gar nicht oder nur in Teilzeit besetzt werden, berichten Ärzte. Frank Jochum malt nicht nur für Berlin eine düstere Prognose: "Die nächsten Jahre werden in der Kinder- und Jugendmedizin sehr schwer. Selbst wenn man heute entscheiden würde, dass ab sofort massiv ausgebildet wird, würde es mindestens drei Jahre dauern, bis der gröbste Notstand behoben ist."
Ein eher unrealistisches Szenario, wie er selbst einräumt. Denn Kinderärzte haben in den vergangenen Jahren gelernt, dass "heute" gar nichts entschieden wird.