Strukturwandel in der Lausitz "Wir machen hier keine Bundespolitik"
Bei den anstehenden Kommunalwahlen hofft die AfD auf große Zugewinne. Für Städte wie Spremberg in der Lausitz bedeutet das schon jetzt, dass wichtige Debatten überlagert werden. Selbst dann, wenn es eigentlich gut läuft.
Christine Herntier wirkt stolz. Erstmals seit 1990 habe Spremberg ausreichend Geld zur Verfügung, sagt die parteilose Bürgermeisterin. Die Industrieunternehmen der Stadt im Lausitzer Revier haben gute Monate hinter sich. In der Summe war da plötzlich ein niedriger zweistelliger Millionenbetrag aus der Gewerbessteuer übrig. Der geht nun in die kommunale Wohnungsgesellschaft, das Krankenhaus und den Ausbau der Oberschule.
"Wir investieren strategisch, um Spremberg und den Wirtschaftsstandort zu stärken", sagt Herntier. Einst saßen in der brandenburgischen Stadt die Chemie-, Textil- und auch Kohleindustrie. Nach der Wiedervereinigung blieb nur Letztere.
Strukturwandel mit Erneuerbaren Energien
Nun kommt spätestens 2038 der Kohleausstieg. Gleichzeitig schrumpft Spremberg. Herntier, die selbst Mitglied der Kohlekommission war, muss den Strukturwandel an mehreren Fronten stemmen. Neulich war sie mit Amtskollegen bei der EU-Kommission in Brüssel: Die Lausitz bewirbt sich als klimaneutrales "Net Zero Valley" - und könnte so zahlreiche Erleichterungen bei Planungs- und Genehmigungsverfahren erhalten.
Schon jetzt entsteht laut Herntier in Spremberg Zukunft. Im Industriepark "Schwarze Pumpe", den sich die Stadt mit einer sächsischen Nachbargemeinde teilt, wollen mehrere Unis einen Forschungscampus zur Kreislaufwirtschaft bauen. Nebenan soll ein sogenanntes Referenzkraftwerk stehen.
Das Speicherkraftwerk soll beweisen, dass eine Energiewende mit Netzstabilität gelingen kann. Wasserstoff wird mit grünem Strom produziert, um als Stromspeicher und Industriestoff zur Verfügung stehen. Der Bund fördert das als "Reallabor der Energiewende".
Windkraft im Stadtwald
Herntier will, dass Spremberg auch ohne Kohle ein "Energiestandort" bleibt. Doch dabei ist sie jetzt aus Sicht ihrer Kritiker zu weit gegangen. Anfang Dezember beschloss die Stadtverordnetenversammlung (SVV) auf Anstoß der Bürgermeisterin eine Änderung des Flächennutzungsplans der Stadt - und machte damit den Weg frei für den Bau von Windrädern im Spremberger Stadtwald.
Das Naherholungsgebiet gilt laut einem Umweltgutachten als ökologisch nicht bedeutsamer Wald. Seit 2009 stehen dort bereits 17 Windräder. Die kommunalen Stadtwerke wollen gemeinsam mit zwei Brandenburger Energieunternehmen 13 weitere Anlagen neuesten Typs aufstellen.
"Das Konfliktpotenzial ist groß", sagt Herntier, aber die Stadt würde auf vielfältige Weise finanziell profitieren. Und der Ort sei der einzige, von wo aus eine Direktleitung in den Industriepark und damit zum Referenzkraftwerk gelegt werden könnte.
In der SVV gab es dafür eine große Mehrheit. Doch die Entscheidung ist in der Stadt umstritten: Bei einer Unterschriftensammlung waren über 4.100 Unterschriften für eine größere Bürgerbeteiligung zusammengekommen. Der Streit könnte die Wahl des Stadtparlaments am 9. Juni beeinflussen.
AfD will stärkste Kraft werden
Laut dem AfD-Fraktionsvorsitzenden Michael Hanko wächst die Unzufriedenheit unter Sprembergs Bürgern. Nicht nur, aber auch wegen der Stadtpolitik. Vieles wie die Windräder würde am Bürger vorbei entschieden, sagt Hanko. "Für uns ist die Stimmung daher ziemlich positiv."
Im Osten Deutschlands kam die in Teilen rechtsextreme Partei zuletzt mehrfach in Stichwahlen um Landrats- und Bürgermeisterämter. Selbst wenn sie davon nur drei gewann: Es war ein Fingerzeig für die Kommunalwahlen. Die AfD könnte in mehreren Kreisen und Gemeinden deutlich stärkste Kraft werden.
In Spremberg kam die AfD schon vor fünf Jahren auf 27 Prozent der Stimmen. Hanko holte kurz darauf auch das Direktmandat für den Landtag. Bei der Bürgermeisterwahl 2021 kam er in der Stichwahl auf fast 40 Prozent. Ein ähnliches Ergebnis traut er jetzt seiner Partei zu.
Gemeinsam mit Wählervereinigungen, so Hanko, könnte die AfD dann Mehrheiten in der SVV stellen. Die Partei plakatiert aktuell gegen die Windkraftpläne.
Verein organisiert Protest
Dabei ist die AfD gar nicht federführend beim Protest, sondern Naturschützer. So hat der Regionalverband des NABU große Bedenken angemeldet. In einem Teilbereich würden die geplanten Windräder 150 Jahre alte Bäume, eine geschützte Schwalbenart und den Trinkwasserschutz gefährden.
NABU-Mitglieder und andere Bürger starteten deshalb die Unterschriftensammlung für eine Einwohnerversammlung und drängten erfolglos auf eine andere Auslegung des Flächennutzungsplans.
Sie seien abgebürstet worden, sagt einer der Organisatoren, Kai-Uwe Reipert. Die Entscheidung sei aus seiner Sicht gegen großen Widerstand der Stadtbevölkerung getroffen worden, und "ohne dass man miteinander spricht".
Die Befürworter des Windparks verweisen dagegen auf eine einjährige Beratungsphase in der SVV. Es habe Bürgerbeteiligungstermine, offene Gesprächsabende, Besichtigungen des Stadtwalds und Anhörungen gegeben - auch mit dem NABU.
Doch Reipert und andere organisieren sich jetzt im Verein "Natura Spremberg". Sein Vereinsvize ist der Ortsvereinsvorsitzende der SPD, Reipert selbst war früher CDU-nah. Am meisten habe ihn befremdet, dass er "in die Ecke der AfD gestellt" worden sei, sagt Reipert.
Streit um Alternativen
Während es Natura nur um einen der neuen Teilbereiche geht, geht es der AfD um den ganzen Stadtwald. "Es war ein Fehler, die ersten Windkraftanlagen damals dort zu genehmigen", sagt AfD-Mann Hanko. Er würde eher eine ehemalige Abraumhalde im Westen der Stadt zum Windkraftgebiet machen. Oder private Flächen.
Kai-Uwe Reipert schlägt vor, die Kommune sollte sich Flächen vom Kohlekonzern LEAG zurückholen. Oder die nötigen Windräder sollten im Süden des Industrieparks - auf sächsischem Gebiet - gebaut werden.
Die Befürworter des Waldvariante argumentieren, dass ein Wildwuchs der Windkraft in Spremberg verhindert werden soll. Dass nur Anlagen auf städtischem Gebiet Pachteinnahmen brächten - und nur Anlagen im Netzgebiet der Stadtwerke es Letzteren ermöglichten, billigeren Strom anzubieten.
Bürgermeisterin Christine Herntier versucht, den Konflikt eher grundsätzlicher zu fassen. Auch jedes Atomkraftwerk, jeder Tagebau und jede Erdgasleitung sorge für Konflikte. Zudem müssten die Betreiber der Windräder erst ein Immissionsschutzverfahren bestehen, um eine Genehmigung zu bekommen. "Wir halten alle gesetzlichen Vorschriften ein", so Herntier.
Kommunalwahl am 9. Juni
Doch mit Sorge blicken manche nun auf die Wahl Anfang Juni. Die Waldschützer hätten eine Sache nicht bedacht, sagt etwa der Ex-SPD-Bundestagsabgeordnete Ulrich Freese: Ihre Aktion könnte "auf das Konto der AfD einzahlen". Die Partei sei schon immer gegen Windkraft "und gegen alles" gewesen.
Reipert widerspricht. Genau das sei der größte Antrieb für Natura gewesen, bei der Stadtratswahl mit einer eigenen Liste anzutreten. Er sagt: "Ich möchte keine hellblaue Flagge am Rathaus haben."
Dort sitzt Christine Herntier und äußert sich als Bürgermeisterin nur allgemein zur Wahl. Sie freue sich, dass 154 Kandidaten und neun Parteien und Wählerbündnisse antreten. "Es gibt eine Wahl", sagt Herntier. Man sei hier allerdings in einer ostdeutschen Kleinstadt und mache keine Bundespolitik. Und sie würde ja gerne mal sehen, "wer sich hier hinstellt und die wirtschaftliche Entwicklung der Stadt blockiert".
Sprembergs Stadtverordnetenversammlung tagt noch einmal Ende Mai. Dann soll sie über die Einberufung einer Einwohnerversammlung zur Windkraft abstimmen. Wegen eines Formfehlers mussten die Unterschriften ein zweites Mal gesammelt werden. Stattfinden würde die Versammlung aber in jedem Fall erst nach der Wahl.