Serieller Holzwohnungsbau Der Schlüssel für bezahlbaren Wohnraum?
Seit Amtsbeginn trommelt Bauministerin Geywitz dafür, für 14 Milliarden Euro mehr Sozialwohnungen zu schaffen. Ein Unternehmen in Sachsen-Anhalt versucht genau das mit seriell gefertigten Holzhochhäusern.
Die Augustsonne wirft die scharfen Schatten der hochkarätigen Besuchergruppe auf den gepflasterten Weg, der zu einem Haus führt, das sein Ideengeber als Antwort auf die Wohnungsbaukrise versteht. Vor dem fünf Stockwerke hohen Haus stehen Bundesbauministerin Klara Geywitz und der sachsen-anhaltische Ministerpräsident Reiner Haseloff. Der Gründer der Firma nokera, Norbert Ketterer, erklärt, dass die Zukunft im seriell gefertigten Holzhochhaus liege.
Der Vorteil, so Ketterer, liege in der Geschwindigkeit beim Aufbau: "Dieses Haus haben wir innerhalb von dreieinhalb Monaten aufgestellt." Von außen sieht man dem Haus nicht an, dass es aus Holzbaufertigteilen zusammengesteckt ist.
Badmodul per Kran eingesetzt
Ketterer steht vor den elektronisch beschrifteten Klingel- und Briefkastenschildern. Die Namen Geywitz und Haseloff leuchten auf Klingelschild und Briefkasten - ein Gag der Firma für den hohen Besuch. Ketterer erklärt: "Das kann eine Hausverwaltung, die zum Beispiel in Brandenburg sitzt, zentral steuern. Beim Ein- und Auszug die Namen ändern, da muss niemand rausfahren und einen Papierstreifen wechseln oder dranpappen."
Mit dem Fahrstuhl geht es in den dritten Stock zur Musterwohnung. Die Wohnungstür wird statt mit einem Schlüssel mit einem programmierten Token geöffnet. Geywitz interessiert sich als erstes für die Badezimmerausstattung. Auf den ersten Blick erkennt man keinen Unterschied zu einem herkömmlichen Badezimmer.
Umso erstaunter sind die Besucher, dass es als separates Modul an einem anderen Standort in Süddeutschland gefertigt wird: Toilette, Dusche, Badewanne, Waschtisch mit einem Boden aus Metall in Fliesenoptik, alles schon vormontiert. Auf der Baustelle wird das Badmodul per Kran an den dafür vorgesehenen innenliegenden Platz der Wohnung eingelassen. Es kann, laut Unternehmen, innerhalb einer halben Stunde mit den vorgefertigten Anschlüssen verbunden werden.
Vier Produktionsstraßen stehen bereit
Einen Monat später ist ein Team des ARD-Hauptstadtstudios wieder im Gewerbegebiet Stegelitz bei Möckern im Landkreis Jerichower Land in Sachsen-Anhalt: In der Produktionshalle, die noch beim Besuch im August leer stand, stehen inzwischen mehrere Maschinen und Bandstraßen. Die Roboterarme ruhen noch verpackt an einer Lagerhallenwand. Nach Angaben des erst vor gut zwei Jahren gegründeten Unternehmens ist die Halle die größte ihrer Art weltweit.
Die Maße suchen ihresgleichen: 700 Meter lang und 170 Meter breit ist die Produktionshalle, mit Fußbodenheizung, damit möglichst immer eine gleichbeliebende Temperatur herrscht für Arbeitnehmer, das Holz und auch, um Heizkosten zu sparen. Vier Produktionsstraßen sollen dafür sorgen, dass Wand- und Deckenteile nicht wie bisher üblich in 38 Minuten produziert werden, sondern in neun bis zehn Minuten. Deshalb rechnet das Unternehmen damit, bis zu 20.000 Wohnungen pro Jahr in serieller Holzbauweise fertigen zu können.
Kosten sollen gesenkt werden
Am Anfang steht das Konstruktionsvollholz. Daraus wird das sogenannte Riegelwerk montiert, eine Art Skelett. Je nach Bestimmung, also ob Außen-, Innenwand oder Decke kommen unterschiedliche Holz- und oder Gipsplatten zum Einsatz. Gedämmt werden z.B. die Holzfertigwände mit Naturstoffen und auch Brandschutzelementen. Am Ende wird das fertige Wandelement ins Lager transportiert. Dort wird es so lange gelagert, bis es auf der Baustelle benötigt wird.
"Ein großer Teil der Kosten sind Baunebenkosten wie Planungskosten und Statik. Die haben wir pro Haustyp nur einmal. Das ist wie bei VW, wenn die einen Golf entwickeln, dann haben die einmal die Entwicklungskosten und die gehen dann je mehr sie dann verkaufen, nach unten. So wird es auch bei uns sein, sagt Unternehmer Ketterer. "Am Anfang ist das nicht so viel preiswerter, aber wir liegen heute schon unter den Preisen des herkömmlichen Wohnungsbaus", sagt er im Gespräch mit dem ARD-Hauptstadtstudio.
Ziel ist die Typengenehmigung
Doch anders als beim Auto gibt es keine zentrale Zulassungsstelle für Holzhäuser dieser Art. Verantwortlich für die Genehmigung wäre die oberste Baubehörde in Sachsen-Anhalt, doch dort ist bis heute noch kein Antrag auf Typengenehmigung eingegangen. Seit 2019 ist eine solche Genehmigung in der Musterbauordnung der Länder möglich. "Nur gemacht hat es seitdem noch keiner", sagt Ketterer, der bei seinem Vorhaben auf die Mithilfe der Politik angewiesen ist, weshalb er erst mit den Verantwortlichen reden will, bevor er einen Antrag losschickt.
Sein Ziel: eine Typengenehmigung, die in allen 16 Bundesländern gilt. Denn bislang könnte ein in Sachsen-Anhalt genehmigtes Haus nicht ohne erneute Prüfungen und Genehmigungen in Bremen oder Berlin aufgebaut werden. Er verspricht sich von der Typengenehmigung eine Beschleunigung bei Bau- und Genehmigungsvorhaben in ganz Deutschland. "Und bezahlbare Wohnungen braucht Deutschland doch, oder?", sagt der in Böblingen aufgewachsene, eingebürgerte Schweizer Ketterer.
Sozialwohnungen verschwinden vom Markt
Damit trifft Ketterer einen Nerv in Deutschland. Im Jahr 2021 sind in Deutschland nach Angaben der Arbeitsgemeinschaft für zeitgemäßes Bauen e.V. nur ca. 27.000 sozial geförderte Wohnungen gebaut worden. Wie viele es im Jahr 2022 sind, darüber gibt es noch keine konkreten Zahlen.
Auch der Bundesbauministerin ist klar, dass die Zahl weit entfernt sein wird vom Ziel von 100.000 sozial geförderten Wohnungsbau in diesem Jahr. "Nur mit Glück erreichen wir die Zahlen aus dem Vorjahr", sagt Lukas Siebenkotten, Präsident beim Deutschen Mieterbund. Im vergangenen Jahr sei rein rechnerisch alle 19 Minuten eine Sozialwohnung vom Markt verschwunden, so Matthias Günther vom Pestel-Institut, weil sie aus der Preisbindung falle.
"Die Situation ist sehr ernst"
Die Regierung müsse deutlich mehr investieren, um 100.000 sozial geförderten Wohnungen zu schaffen. Statt 14 Milliarden Euro für die gesamte Legislatur, müssten 12 Milliarden Euro pro Jahr investiert werden, so Siebenkotten gegenüber dem Bericht aus Berlin. Das haben Berechnungen des Verbändebündnisses Wohnungsbau, ein Zusammenschluss unter anderem von Bauindustrie, Mieterverbänden und der IG Bau errechnet.
"Die Situation ist sehr ernst", sagt Siebenkotten. "Wir haben eine deutliche Zuwanderung. Allein aus der Ukraine sind nahezu 900.000 Menschen gekommen, und wir haben auch viele Menschen, die hier schon leben, die dringend eine bezahlbare Wohnung benötigen." Er befürchtet, dass es zu sozialen Verwerfungen kommt, wenn sich nicht bald etwas tut.
Mehr dazu im Bericht aus Berlin heute um 18:00 Uhr im Ersten