Schulze in Nigeria Wie Deutschland Fachkräfte anlocken will
Entwicklungsministerin Schulze ist in Nigeria, um die Fachkräfteeinwanderung aus dem Land zu fördern. Doch nicht nur Deutschland buhlt um die junge Bevölkerung. Die neue Strategie kommt womöglich etwas spät.
Noch hängt ein rotes Band vor der unscheinbaren Tür. Ein Flachbau, rosa gestrichen, alles neu - mitten an einer staubigen Ausfallstraße in Nyanya, einem Vorort der nigerianischen Hauptstadt Abuja. "Schon vor der Eröffnung wollten richtig viele Leute reinkommen", sagt Sandra Vermeuijten, die hier alles vorbereitet hat und das Projekt in der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) leitet.
Das große Interesse dürfte an dem grünen Schild vor dem Zaun liegen: "Migrant Resource Centre" steht darauf - und dass es ein deutsch-nigerianisches Büro ist. Das klingt für viele hier nach großen Hoffnungen. "Ab jetzt erwarte ich einen Tsunami", ruft Vermeuijten, als das Absperrband durchgeschnitten ist.
Drei solcher Beratungszentren gibt es bisher schon in Nigeria, finanziert auch mit deutschem Entwicklungsgeld. Bislang haben sie Rückkehrern, die zum Beispiel aus Deutschland abgeschoben wurden, geholfen, wieder Fuß zu fassen. Außerdem wurde über die Gefahren irregulärer Migration aufgeklärt.
Sehr niedrige Schutzquote als Asylbewerber
Jetzt sollen diese Zentren, auch das neue in Nyanya, für den "Paradigmenwechsel" stehen, den die Bundesregierung beschlossen hat: Sie dürfen nun auch über legale Migration nach Deutschland informieren, Fachkräfte umwerben und ihnen helfen.
Am Ende geht es darum, mehr zu steuern, wer nach Deutschland kommt und wer nicht. Nigerianer haben als Asylbewerber eine sehr niedrige Schutzquote von nur zwölf Prozent. Ein Problem ist, dass nach Angaben des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge rund 90 Prozent von ihnen keine Identitätspapiere vorlegen, was eine Rückführung erschwert.
Sehr unterschiedlich sind die Geschichten, die sich Entwicklungsministerin Svenja Schulze in einem Zelt vor dem Zentrum anhört. Junge Männer und Frauen sitzen dort an einem Tisch im Schatten. Eine von ihnen ist Elizabeth Nwaokoro. Sie hat sechs Jahre in München gelebt, bevor sie abgeschoben wurde. "Ich war ein Niemand, als ich zurückkam", erzählt sie der Ministerin.
Das Migrationszentrum in Lagos habe ihr geholfen, in die Modebranche einzusteigen. Sie habe eine Ausbildung im Stempeln von Stoffen und ein bezahltes Praktikum machen können. "Jetzt habe ich einen Shop und zwei Mitarbeiter", sagt Nwaokoro.
Neben ihr sitzt Debo Adebambo Adebaya. Er will ebenfalls nach Deutschland - aber als gut vorbereiteter Arbeitsmigrant. Der 28-Jährige lernt Deutsch und ist Datenanalyst. "Wir brauchen Datenwissenschaftler", ruft Schulze über den Tisch.
Enormer Migrationsdruck
Adebaya erzählt, dass er sein Wissen über Deutschland bisher aus Büchern habe und es "nach einem spannenden Platz" klinge. Er liebe den FC Bayern München. "Aber die Sprache ist die größte Herausforderung", sagt er.
Die Gesprächsteilnehmer sind vorher von den Migrationszentren ausgewählt worden. Ob alle Geschichten so viel Positives haben - unklar.
Die Zentren bieten keine große Auswahl an Weiterbildungen an. Kleidung schneidern, Taschen nähen, Autos reparieren - das machen in Nigeria ohnehin viele. Im Schulungsraum läuft am Eröffnungstag ein Video über Frauen, die in einem Kurs Braids gelernt haben, also diverse Flechtfrisuren. All das sind am Ende in Nigeria eher Straßenjobs, mit denen man von der Hand in den Mund lebt.
Klar ist: Das Land hat einen enormen Migrationsdruck. Laut Prognosen soll die Bevölkerung von derzeit 220 Millionen Menschen bis 2050 auf das Doppelte anwachsen. Doch schon jetzt können weder Infrastruktur noch Arbeitsmarkt mit diesem Anstieg mithalten.
Grassierende Korruption
"Über 80 Prozent arbeiten im informellen Sektor, also beispielsweise als Straßenverkäufer", sagt Lennart Oestergaard, Leiter des Büros der Friedrich-Ebert-Stiftung in Abuja. Selbst Studienabsolventen hätten oft keine andere Chance. "Gerade die junge gebildete Schicht ist enorm frustriert", so Oestergaard. Das starke Bevölkerungswachstum führe dazu, dass der Ansturm auf die wenigen offiziellen Arbeitsplätze in Unternehmen oder Verwaltungen immer größer werde.
Hinzu kommt die grassierende Korruption. "Das hemmt die Wirtschaft und jeden, der sich hier etwas aufbauen will", sagt Lukas Laible, stellvertretender Leiter der Konrad-Adenauer-Stiftung in Nigeria. Er verweist auch auf die enorme Inflationsrate, die in den letzten Monaten bei 28 Prozent lag. "Die Lebenshaltungskosten steigen und steigen. Über zwei Drittel sind inzwischen von Armut betroffen, 40 Prozent leben unter der Armutsgrenze."
Letztlich habe all das Nigeria in den vergangenen Monaten auch deutlich unsicherer gemacht. "Kidnapping ist zu einer Einnahmequelle geworden", sagt Laible. "Zuletzt gab es oft mehrere Fälle pro Woche." Das Ziel: umgerechnet Tausende Euro erpressen. "Manchmal legt ein ganzes Dorf zusammen, um jemanden freizukaufen."
Andere Ländern werben schon seit Jahren
Viele träumten deshalb davon, es woanders zu versuchen. Doch Deutschland sei nicht das beliebteste Zielland. "Nigerianische Fachkräfte sind sich ihres Wertes sehr bewusst", sagt Oestergaard. Sie hätten oft mehrere Angebote. "Kanada oder die USA stehen ganz oben auf der Wunschliste. Das liegt nicht nur an der Sprache", so Oestergaard.
Andere Länder werben auch schon seit Jahren viel mehr um die Fachkräfte, vor allem aus dem Gesundheitswesen. Deutschland kommt mit seiner neuen Strategie womöglich etwas spät - und muss auch sensibel vorgehen. Mediziner oder Pflegekräfte fehlen schon massenhaft in Nigeria. Das Parlament arbeitet sogar an einem Gesetz, das junge nigerianische Ärzte dazu verpflichten soll, zunächst fünf Jahre in der Heimat zu bleiben.
"Wir wollen Migration zum Erfolg für alle Beteiligten machen", sagt Entwicklungsministerin Schulze nach der Eröffnung des Zentrums, umringt von lokalen Medien und Politikern. "Für Deutschland, für Nigeria und für die Menschen selbst." Migration sei kein Problem, sondern ein Fakt. Aber sie müsse gesteuert werden. "Hier können Menschen etwas über legale Wege nach Deutschland lernen", sagt Schulze vor dem neuen Zentrum, das mit Luftballons in den Farben beider Länder geschmückt ist.
Deutschland oder Nigeria? Datenspezialist Debo Adebambo Adebaya ist sich noch nicht ganz sicher, wohin sein Weg am Ende führen wird: "Ich glaube, ich möchte ein paar Jahre in Deutschland arbeiten", sagt er. "Und dann nach Nigeria zurückkommen und hier etwas mit aufbauen."