Asylbewerber aus Georgien Das Migrationsabkommen steht
Georgier erhalten nur sehr selten Asyl in Deutschland. Ein Migrationsabkommen soll nun Abschiebungen erleichtern - und zugleich auch die Einwanderung von Arbeitskräften vereinfachen.
Ein Migrationsabkommen auszuhandeln, ist eine komplexe Angelegenheit. Es gibt dafür keine Blaupause, ganz individuell muss Joachim Stamp auf jedes einzelne Land eingehen. Was will Deutschland, was der Verhandlungspartner und wo trifft man sich?
Stamp ist der Sonderbevollmächtigte der Bundesregierung für Migrationsabkommen. Seit Februar ist der FDP-Politiker im Amt, kurz vor Jahresende liegt sein erstes fertiges Abkommen auf dem Tisch - das mit Georgien.
Seit 2017 dürfen Bürgerinnen und Bürger aus der früheren Sowjetrepublik Georgien für eine Dauer von drei Monaten ohne Visum in die Europäische Union reisen. Georgier, die in der EU einen Asylantrag stellen möchten, können also legal mit Bus oder Flugzeug einreisen.
Deutsche Bürokratie überlastet
Mehr als 15 Prozent aller abgelehnten Asylanträge werden aktuell von Menschen aus Georgien und der Republik Moldau gestellt. Rund 8.000 Asylanträge pro Jahr kommen von Menschen aus Georgien. Weil deren Schutzquote aber gering ist, werden mehr als 99 Prozent der Anträge abgelehnt.
Auch wenn die Zahl 8.000 vergleichsweise gering ist und die Anträge in der Regel abgelehnt werden, erhalten die Menschen für mehrere Monate eine finanzielle Unterstützung - und die Anträge müssen bearbeitet werden. Fielen diese Anträge in der Zukunft weg, würde das das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) entlasten.
Land | Erst- und Folgeanträge insgesamt |
---|---|
Syrien | 84.739 |
Türkei | 46.237 |
Afghanistan | 45.955 |
Irak | 10.477 |
Iran | 8.947 |
Georgien | 8.513 |
Russische Föderation | 7.629 |
Somalia | 4.766 |
Eritrea | 3.711 |
Quelle: BAMF
Viele gut Ausgebildete haben Georgien verlassen
Mit Blick auf Georgien hatte Deutschland also zwei Ziele: Weniger Georgier sollen in Deutschland Asyl beantragen, weil sie es meist nicht bekommen und die Verfahren dennoch die deutsche Bürokratie belasten. Stattdessen sollen Georgierinnen und Georgier in den regulären Arbeitsmarkt einwandern, denn Deutschland fehlen Fachkräfte.
Stamps erstes Verhandlungsangebot an die georgische Regierung war eine Ausweitung der Westbalkanregelung, die den Georgierinnen und Georgiern den Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt erleichtert hätte. Aus deutscher Sicht ein sinnvoller Schachzug - doch für Georgien war diese Idee gänzlich uninteressant.
Das Land leidet ohnehin unter dem "Brain Drain": Viele junge, gut ausgebildete Menschen, haben das Land bereits verlassen, die noch verbliebenen Arbeitskräfte werden in Georgien selbst dringend gebraucht. Der Grund dafür liegt zum einen in der beruflichen Perspektivlosigkeit, zum anderen ist Georgien zum Teil von Russland besetzt.
Die Angst davor, wie die Ukraine komplett von Russland überfallen zu werden, sitzt tief in der jungen Generation. Deswegen sind viele weg. Viele arbeiten schon in der EU, allerdings in teils prekären Jobs.
Georgien ist kooperativ bei der Rücknahme
An diesem Punkt fanden die deutschen und die georgischen Interessen wieder zusammen, meint Stamp: Es geht in dem Abkommen in erster Linie um die Georgierinnen und Georgier, die bereits ihre Heimat verlassen haben und nun in der EU unterwegs sind.
Diese Arbeitskräfte sollen "vor allem aus den Bereichen Logistik, Transport und Pflege, wo wir selber Mangel haben, nach Deutschland in den Arbeitsmarkt eingeladen werden".
Ausgehandelt haben die beiden Staaten so etwas wie eine Sammlungsbewegung im gesamteuropäischen Arbeitsmarkt: Georgierinnen und Georgier, die beispielsweise in Polen oder Griechenland einen schlecht bezahlten Job haben, sollen nach Deutschland weiterreisen, um hier in besser bezahlte Jobs zu kommen.
Wenn das klappt, gewinnen beide Seiten - zumindest aus Sicht der Staaten. Ob dieses Arbeitsangebot auch für die Menschen aus Georgien interessant ist, ist eine ganz andere Frage.
Bereits jetzt ist das Land laut Bundesregierung kooperativ bei der Rücknahme ausreisepflichtiger Georgierinnen und Georgier. Diese Zusammenarbeit soll fortgesetzt werden. Im Gegenzug sollen zum Beispiel Saisonarbeitskräfte mit dem Abkommen bessere Perspektiven erhalten, um in Deutschland für einen bestimmten Zeitraum zu arbeiten.
Auch bei der Ausbildung von Fachkräften und generell im Bildungsbereich soll die Zusammenarbeit gestärkt werden, etwa über den Austausch von Studierenden, Auszubildenden und Forschenden. Dafür soll mit Georgien eine bilaterale Expertengruppe eingerichtet werden.
Perfektes Timing
Nur wenige Tage vor Innenministerin Faesers Reise nach Georgien hatte der Bundesrat zugestimmt, Georgien und die Republik Moldau in die Liste der sicheren Herkunftsstaaten aufzunehmen. Dieser Schritt ist notwendig, um die Asylverfahren mit Menschen aus Georgien zu beschleunigen.
Beim EU-Gipfel im Dezember haben die EU-Staaten beschlossen, Georgien den Kandidatenstatus zu verleihen. In Georgiens Hauptstadt Tiflis haben das am vergangenen Freitag Zehntausende Menschen gefeiert. Ministerpräsident Irakli Garibaschwili sprach auf von einem "historischen Sieg".
Vom Timing her ist die Reise perfekt, sagt der Migrationsforscher Gerald Knaus. In der georgischen Bevölkerung setzten viele auf eine europäische Zukunft. Die georgische Regierung sei unklarer, wo sie stehe, sagt Knaus. Nach massiven Protesten hatte die Regierung in Tiflis im März einen umstrittenen Gesetzentwurf wieder zurückgezogen, der ausländischen Einfluss auf Medien und Organisationen beschränken sollte. Kritiker fürchteten, Blaupause dafür sei ein russisches Gesetz gegen ausländische Agenten, das dort oppositionelle Politiker, Aktivisten und Organisationen unterdrückt.
Mit dem Besuch ihrer Delegation zum jetzigen Zeitpunkt mache Faeser deutlich, dass Deutschland hinter dem Beschluss des EU-Rates und weiterhin auch hinter der Visafreiheit für Georgier stehe, sagt Migrationsforscher Knaus.
Es sei nun eine entscheidende Phase, damit Georgien sich weiter an den demokratischen EU-Staaten orientiert und sich dem Einflussbereich Putins entzieht. Derzeit sind rund 20 Prozent Georgiens russisch besetzt.
Innenpolitisches Signal in Deutschland
Um einen Effekt auf die Asylantragszahlen zu erreichen, müsste nach Abschluss des Abkommens vor allem Deutschland seine Hausaufgaben machen, sagt Migrationsforscher Knaus. Etwa, indem das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge relativ aussichtslose Asylantragsverfahren schneller durchführt, damit diese Anträge gar nicht erst gestellt werden.
Mit der Einstufung Georgiens als sicheres Herkunftsland können Asylverfahren nun beschleunigt werden. Zum Beispiel haben Klagen gegen einen Ablehnungsbescheid keine aufschiebende Wirkung - das heißt, betroffene Personen können abgeschoben werden, während die Klage noch läuft.
Insgesamt wurden im Zeitraum Januar bis November 2023 mehr als 300.000 Asylanträge in Deutschland gestellt. Die meisten davon kommen von Menschen aus Syrien, der Türkei, Afghanistan, Irak und dem Iran, also aus Ländern mit einer hohen Schutzquote. Im Vergleich dazu dürften die Steuerungseffekte durch das Migrationsabkommen mit Georgien überschaubar bleiben.
Marcus Engler vom Deutschen Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM) sieht in dem Abkommen vor allem auch ein innenpolitisches Signal an die deutsche Bevölkerung. "Natürlich steht der Sonderbevollmächtigte für Migrationsabkommen Stamp unter dem Druck der Öffentlichkeit und auch sicher aus der eigenen Regierung, dass er jetzt mal liefern soll", sagt Engler.
Auch mit der Republik Moldau will Stamp bald eine Migrationsvereinbarung zum Abschluss bringen. Zudem verhandelt die Bundesregierung aktuell mit Kenia, Kolumbien, Usbekistan, Kirgisistan und Marokko.
Um die Asylantragszahlen erkennbar zu reduzieren, müsste Deutschland aber auch Vereinbarungen mit wichtigen Transitländern und Hauptherkunftsländern treffen, etwa der Türkei, sagt Migrationsforscher Knaus.
Außerdem braucht es Lösungen für die Fluchtrouten über das Mittelmeer. Ein wohl deutlich schwierigeres Unterfangen als das Abkommen mit Georgien. Denn aus menschrechtspolitischer Sicht ist eine Zusammenarbeit mit Libyen derzeit undenkbar - und auch mit Ländern wie Tunesien und der Türkei heikel.