Pakete werden bei DHL verladen
Analyse

Krisenpolitik der Ampel Mit Paketen gegen die Krisen

Stand: 27.12.2022 11:34 Uhr

Pakete wie am Fließband hat die Bundesregierung geschnürt, um die hohen Preise abzufedern. Erst waren es eher kleine Beträge, am Ende der 200 Milliarden Euro schwere "Doppelwumms". Wer zahlt den Preis dafür - und wann?

Eine Analyse von Hans-Joachim Vieweger, ARD-Hauptstadtstudio

Erst ging es um sieben Milliarden Euro, dann um 15, in einem dritten Schritt um weitere 65 und schließlich um 200 Milliarden Euro: In den vergangenen zwölf Monaten hat die Bundesregierung wegen drastisch gestiegener Preise ein Entlastungspaket nach dem anderen beschlossen. 

Schon vor dem russischen Überfall auf die Ukraine war die Inflation auf über fünf Prozent geklettert - die Verantwortung der Europäischen Zentralbank für diese Entwicklung geriet mit dem Krieg in den Hintergrund. In den Vordergrund rückte die Frage, ob und wie die Politik für einen Ausgleich der höheren Preise sorgen kann. 

Am Anfang standen direkte Hilfen für ärmere Haushalte. Die Regierung beschloss unter anderem einen Heizkostenzuschuss und einen Energie-Zuschlag für Hartz IV-Empfänger. An den Preisen wollte die Ampel zunächst nicht drehen. Ihr Argument: Der Anreiz zum Energiesparen solle nicht verloren gehen. "Jede Kilowattstunde zählt", betonte Wirtschafts- und Klimaminister Robert Habeck (Grüne).

Habeck und sein Kabinettskollege Christian Lindner von der FDP bremsten zudem die Erwartung, der Staat könne alle Folgen von Inflation und Krieg ausgleichen. Der Finanzminister hatte dabei den Haushalt im Blick. An seinem Ziel, nach drei Corona-Ausnahmejahren die Schuldenbremse des Grundgesetzes 2023 wieder einzuhalten, will er nicht rütteln. Neue schuldenfinanzierte Ausgaben passten da nicht ins Konzept. 

Auch die Zinsen steigen

Zumal mit den steigenden Preisen auch die Zinsen stiegen. Das heißt: Die Zeit, in der der Bund dank Minuszinsen mit Schulden kurzfristig Gewinne machen konnte, war vorbei. Lindner drückte es drastisch aus: Mit der Zinswende baue sich "eine Steilwand" vor dem Bundeshaushalt auf. Die steigende Zinslast sei ein klares Signal an die Politik, dass es kein "Weiter so" geben könne, so der FDP-Chef und Finanzminister. 

Doch die Sorge, dass die hohen Energiepreise zu einer Pleitewelle in der Wirtschaft und zu sozialen Protesten im Land führen könnten, trieb die Politik in Richtung der immer massiveren Entlastungsprogramme. Die Stichworte lauteten: Tankrabatt, 9-Euro-Ticket, Energiepreispauschale, höheres Kindergeld, höherer Grundfreibetrag, Preisbremsen. Auch bereits geplante Reformen wie die zum Wohngeld und die Reform von Hartz IV hin zum Bürgergeld wurden in die Entlastungspakete mit eingerechnet. 

Zielgenau oder Gießkanne?

Dabei stellten sich Fragen: Wie können Hilfen zielgenau gestaltet werden? Also so, dass sie vor allem diejenigen erreichen, die von den höheren Preisen am meisten betroffen sind. Und wie können sie am besten ausgezahlt werden? Einfache Zahlungswege gibt es vielfach nicht. So ist zum Jahresende beispielsweise noch nicht klar, wie das Energiegeld bei Studierenden ankommt. Dazu soll erst noch eine Plattform errichtet werden, bei der sich Betroffene registrieren müssen. 

Oft zeigt sich das Dilemma: Je gerechter eine Maßnahme sein soll, desto komplizierter ist sie. Je einfacher wiederum eine Maßnahme ist, umso stärker funktioniert sie nach dem Prinzip Gießkanne.

Ein Problem, das auch die sogenannten Wirtschaftsweisen in ihrem Jahresgutachten beschäftigte. Viele Maßnahmen wie der Tankrabatt und die allgemeine Umsatzsteuersenkung auf Gas seien "weder energiepolitisch noch verteilungspolitisch zielgenau", sagte Ökonom Achim Truger. Die Energiepreispauschale und die Gaspreisbremse seien zwar energiepolitisch vernünftiger, aber verteilungspolitisch nicht zielgenau: "Denn sie entlasten auch Haushalte mit hohen Einkommen, die die Belastung eigentlich selbst schultern können."

Der Sachverständigenrat forderte daher für eine begrenzte Zeit Steuererhöhungen für Besserverdienende beziehungsweise einen Energie-Soli. Das lehnte aber Finanzminister Lindner vehement ab, wohl auch, weil die Erfahrung lehrt, dass zeitlich begrenzte Solidaritätsabgaben ein starkes Beharrungsvermögen haben. 

Formal wird Schuldenbremse eingehalten

Bleiben nur Schulden zur Finanzierung des größten Teils der milliardenschweren Entlastungsprogramme. Denn nur ein Teil kann durch steigende Steuereinnahmen und die Abschöpfung von Extra-Gewinnen der Stromproduzenten finanziert werden. Und so ließ sich der Bund noch im Jahr 2022 neue Kredite genehmigen, die in Sondervermögen gesteckt wurden. Formal kann Lindner dadurch die Schuldenbremse im Bundeshaushalt 2023 einhalten. Doch nicht nur die Opposition wirft dem Finanzminister vor, dadurch die wirkliche Verschuldung zu verschleiern: "Ihr Haushalt ist nicht ehrlich und nicht nachhaltig", sagte Unionsfraktions-Vize Mathias Middelberg in Richtung Lindner.

Insgesamt erreichen die verschiedenen Sondervermögen (inklusive Bundeswehr und Klimafonds) ein Volumen von mehreren Hundert Milliarden Euro, der Bundesrechnungshof hält das verfassungsrechtlich für bedenklich. Doch die Politik verschafft sich einen zeitlichen Puffer. Auch dadurch, dass die Tilgung der Extra-Schulden für die Gas- und Strompreisbremse erst im Jahr 2031 beginnt. Was freilich nichts anderes bedeutet, als dass der heute ermöglichte Konsum von künftigen Generationen bezahlt werden muss.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 27. Dezember 2022 um 06:22 Uhr.