Energiepreise Ist der "Doppel-Wumms" rechtlich zulässig?
Der "Doppel-Wumms" der Ampel-Regierung soll die Folgen der Energiekrise abfedern. Aber erlaubt die Schuldenbremse im Grundgesetz 200 Milliarden mehr Schulden? Und was sagt das Europarecht?
Von Max Bauer, ARD-Rechtsredaktion
Seit 2009 gibt es die Schuldenbremse im Grundgesetz. Es ist also die Verfassung selbst, die dem Staat beim Schuldenmachen Schranken setzt. Als Grundregel gilt: Die Bundesländer dürfen überhaupt keine neuen Schulden aufnehmen. Und für den Bund ist die Neuverschuldung beschränkt, auf lediglich 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Von dieser Regel gibt es aber auch Ausnahmen.
Ausnahmen, die für die Politik wichtig sind, weil sie bei ernsten Krisen finanzielle Spielräume braucht. Ob Finanzkrise, Corona oder jetzt Russlands Krieg gegen die Ukraine - es ist am Ende doch der Staat, der die Folgen für Bürgerinnen und Bürger sowie Wirtschaft abfedern muss, im Zweifel mit milliardenschweren Rettungsschirmen, die über Schulden finanziert werden. Bereits 2020 und 2021 hatte der Bundestag wegen der Corona-Pandemie die Schuldenbremse außer Kraft gesetzt.
Die Energiekrise als Notsituation
Der 200-Milliarden-"Doppel-Wumms" gegen hohe Gas- und Strompreise soll ebenfalls schuldenfinanziert sein. Im Grundgesetz steht, dass die Schuldenbremse nicht gilt, "im Fall von Naturkatastrophen oder außergewöhnlichen Notsituationen, die sich der Kontrolle des Staates entziehen".
Die jetzige Energiekrise sei so eine Notsituation, meint Alexander Thiele, Professor für Staatstheorie und Öffentliches Recht an der BSP Business & Law School Berlin. "Wir haben es aktuell mit einer außergewöhnlichen Energiekrise zu tun, die durch den Angriffskrieg auf die Ukraine durch die Russische Föderation hervorgerufen wurde", so Thiele. Ohne das finanzielle Eingreifen des Staates drohten enorme soziale und ökonomische Verwerfungen. Und exakt für solche extremen Situationen sehe das Grundgesetz eine erweiterte Schuldenaufnahme vor. Dass die Krise durch eine verfehlte Energiepolitik in den vergangenen Jahren mitverursacht wurde, spiele dabei keine Rolle, so der Verfassungsrechts-Experte. Es gehe jetzt "um Gefahrenabwehr, nicht um Schuldzuweisungen."
Verstößt der "Doppel-Wumms" gegen Europarecht?
Auch aus europäischer Sicht wirft der 200-Milliarden-Abwehrschirm Fragen auf. Die EU-Kommissare für Binnenmarkt und Wirtschaft Thierry Breton und Paolo Gentiloni haben in einem Gastbeitrag für die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" mögliche Wettbewerbsverzerrungen kritisiert. Wenn Deutschland seine Wirtschaft mit Milliarden unterstützt, während andere EU-Staaten sich das nicht leisten können, werde die europäische Solidarität in der Krise infrage gestellt.
Viele in Brüssel zeigen sich irritiert angesichts des schnellen 200-Milliarden Euro-Vorstoßes aus Berlin. Und auch rechtlich gibt es Fragezeichen. Die 200 Milliarden für die Gaspreis- und Strompreisbremse sollen die deutsche Wirtschaft entlasten und sind rechtlich gesprochen eine staatliche Beihilfe. Solche Beihilfen sind aus Sicht des EU-Binnenmarkts problematisch. Damit der Wettbewerb zwischen den europäischen Unternehmen nicht durch staatliche Unterstützungen verzerrt wird, sagt das EU-Recht: Die Europäische Kommission muss staatliche Beihilfen prüfen und genehmigen.
Die EU-Kommission wird wohl prüfen
Auch das deutsche 200 Milliarden Euro-Programm werde die EU-Kommission auf jeden Fall prüfen, schätzt Matthias Goldmann, Professor für Internationales Recht an der EBS Universität für Wirtschaft und Recht. Der EU-Rechts-Experte verweist auf Art. 107 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV). Art. 107 AEUV erlaube bestimmte Staatshilfen für die Wirtschaft durchaus. Bei Naturkatastrophen, Kriegen, aber auch "zur Behebung einer beträchtlichen Störung im Wirtschaftsleben eines Mitgliedstaats" könne jeder EU-Staat seinen Unternehmen unter die Arme greifen und zum Beispiel Energiepreise stabilisieren.
Wie die EU-Kommission über die 200 Milliarden Euro des deutschen Energiepakets entscheiden würde, sei völlig offen, so Matthias Goldmann. Die Entscheidung der Kommission werde sicher auch von politischen Fragen abhängen. Beispielsweise davon, wie Deutschland sich verhält, wenn es um den Schuldenspielraum anderer Mitgliedstaaten nach den Maastricht-Kriterien geht.