Neue Studien Wenn die Einsamkeit alles bestimmt
Einsamkeit ist für viele Menschen bedrückend. Laut einer Studie ist das Gefühl weiter verbreitet als bisher angenommen. Der Bedarf an Unterstützung ist riesig.
"Manchmal denke ich morgens früh, warum stehst du überhaupt auf. Ich habe nichts, worauf ich mich freuen kann. Jeder Tag ist gleich", sagt Karola Lottmann. Die 64-Jährige steht in ihrer kleinen Küche und setzt einen Tee auf. "Meistens stehe ich auf und gucke einfach, wie ich den Tag rumkriege."
2018 ging das bei ihr mit der Einsamkeit los, als ihr Mann ins Pflegeheim kam. Sämtliche Kontakte brachen irgendwie ab. "Früher war ich viel unter Menschen. Und dann habe ich mich immer mehr zurückgezogen. Ich habe Angst mich zu blamieren und nicht wahrgenommen zu werden. Die Einsamkeit hat mich krank gemacht."
Die Einsamkeit habe sie in die Depression getrieben, doch heute ist sie nicht alleine. Diana Pau ist zu Besuch und will ihr Hoffnung machen. Die beiden Frauen nehmen auf dem Sofa Platz. Die Seniorenberaterin ist für die Arbeiterwohlfahrt in Kevelaer auf Einsamkeit spezialisiert. Sie versucht, Karola Lottmann den Weg aus der Einsamkeit behutsam zu zeigen. "Menschen, die einsam sind, sind oft in ihrer Häuslichkeit gefangen und treten mit ihren Problemen in der Öffentlichkeit gar nicht auf."
Einsamkeit weit verbreitet
Dieses Gefühl der Einsamkeit scheint weiter verbreitet zu sein als bisher angenommen. Das geht aus aktuellen Studien hervor. Jeder zweite Befragte ab 40 Jahren aufwärts gab bei einer Studie an, einsam zu sein. Der Studie der Techniker Krankenkasse zufolge sind jüngere Menschen nicht nur häufiger betroffen, sie leiden auch stärker unter dem Gefühl der Isolation.
Auch die Bertelsmann-Stiftung hat das Problem untersucht. In allen sieben analysierten EU-Ländern sind Menschen mit niedrigem Bildungsstand stärker von Einsamkeit betroffen. Und auch hier: Besonders junge Menschen leiden unter Einsamkeit.
"Wir spüren da noch immer die Auswirkungen der Corona-Pandemie", sagt Anja Langness von der Bertelsmann-Stiftung. "Da gab es ja einen sprunghaften Anstieg der Einsamkeitserfahrung, die noch nicht wieder vollständig abgeebbt ist. Benachteiligte Jugendliche sind besonders von Einsamkeit betroffen. Und auch solche, die Diskriminierungserfahrungen gemacht haben. Die fühlen sich besonders einsam."
Sportangebote und Vereine helfen
Gerade für junge Menschen sei es besonders wichtig, dass sie Sportangebote, offene Jugendtreffs, Zentren haben für Austausch und Begegnung. "Das ist in der Corona-Phase nicht möglich gewesen und auch jetzt sind diese Angebote für junge Menschen von politischen Einsparungen betroffen", sagt Anja Langness. "Das ist eine gefährliche Entwicklung, weil analoge Begegnungen so wichtig sind."
Viele Vereine und Institutionen sind auf Spendengelder und politische Unterstützung angewiesen. Das Land Nordrhein-Westfalen unterstützt die Einsamkeitshotline "Silbertelefon". Täglich können Betroffene sich anonym unter 0800 470 80 90 melden und landen bei den bundesweit 250 Ehrenamtlichen am Telefon. Wie bei Andrea aus dem Ennepe-Ruhr Kreis.
"Ich glaube, dass die Menschen in Deutschland in Gefahr sind, immer einsamer zu werden", erzählt die Ehrenamtliche. Viele würden unterschätzen, was es bedeutet, einsam zu sein. "Es ist wichtig das Thema zu enttabuisieren und politisch darüber zu sprechen." Bis zu 250 Menschen nutzen das Telefonieren gegen Einsamkeit mittlerweile jeden Tag.
Konsequenzen für Gesundheit
Einsamkeit hat Konsequenzen für die physische und psychische Gesundheit der Betroffenen. "Einsamkeit ist längst nicht mehr ein Phänomen, das ausschließlich ältere Menschen betrifft. Die jungen Menschen sind eine neue Risikogruppe. Diese Entwicklung erfordert eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung, um Einsamkeit effektiv zu bekämpfen", so Anja Langness von der Bertelsmann-Stiftung.
Es bräuchte gezielte Maßnahmen zur Reduzierung von Einsamkeit: mehr Prävention, mehr Beratung online und durch pädagogische Fachkräfte und Psychologinnen.
Anlaufstellen fallen weg
Genau das versucht die Seniorenberaterin Diana Pau aus Kevelaer täglich anzuwenden. Sie leitet am Niederrhein ein Büro, bietet Beratung und gemeinsame Treffen an. Aber Ende Dezember ist Schluss in Kevelaer. Stadt und Träger finanzieren die Arbeit nicht weiter, was die Stimmung vor Ort drückt. "Die Menschen können uns noch weiter anrufen", sagt Diana Pau von der Arbeiterwohlfahrt. "Wir sind telefonisch erreichbar, aber wir sind keine Anlaufstelle mehr."
Egal ob junge oder ältere Menschen: Einsamkeit kann den kompletten Tag einnehmen, wie bei Karola Lottmann. Und dann vieles überschatten, wenn die Leere das eigene Leben der 64-Jährigen bestimmt.
"Die Einsamkeit hat mich krank gemacht und mich in die Depression getrieben. Ich bin dadurch lustlos geworden. Ich bin antriebslos geworden", sagt Karola Lottmann. Sie alle wünschen sich, dass das Problem Einsamkeit von vielen ernster genommen wird. Und dass die Menschen hingucken und helfen beim Weg heraus aus der Einsamkeit.